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"Die Simulanten" von Philippe Heule
Eine Art Fake-Feier des Unechten

Auf den Ruhrfestspielen in Recklinghausen wurde "Die Simulanten" unter der Regie von Philippe Heule uraufgeführt. Ein Gedankenexperiment, das den angeblichen Zustand der modernen Menschen auf die Spitze treibt. Doch auf die Dauer ist das, trotz knackiger Kürze, genau deshalb auch ermüdend und gleichförmig.

Von Dorothea Marcus | 08.06.2016
    Die Ruhrfestspielhalle in Recklinghausen (Nordrhein-Westfalen) von Außen aufgenommen.
    Die Ruhrfestspielhalle in Recklinghausen (Nordrhein-Westfalen) (dpa/Jan-Philipp Strobel)
    Da liegen sie, auf einem Haufen. Fünf Personen in einem länglichen Sperrholzraum ohne Fenster und Türen, hineingeworfen in das große virtuelle Nichts, das zugleich alles ist. Die einzigen Öffnungen, die Bühnenbildner Andreas Auerbach gestattet hat, sind zwei Triebwerke in der Wand – Sinnbild der permanenten Beschleunigung im rasenden Leben.
    "Oh mein Gott… oh Gott… Das ist nicht das Fernsehen! Ich bin hier völlig falsch. Ich glaub ich bin im falschen Film. Ich kann gar nicht ausdrücken, wie ich mich fühle, wie in einem Geiseldrama."
    In der existenzialistischen Hölle ohne Ausweg
    "Die Simulanten", das neue Stück von Philippe Heule, ist eine Zustandsbeschreibung, die von ferne an die verzweifelten Globalisierungs-Wortkaskaden eines René Pollesch erinnert. Die Figuren haben keine Charaktere, sie sind Typen oder besser: digital natives von heute: getriebene Plastikmenschen – oder Avatare. In Oberflächen gefangen, hineingeworfen in die geradezu existenzialistische Hölle ohne Ausweg:
    In den virtuellen Cyberspace, in dem sich nie jemand festlegen muss und es nichts Echtes mehr gibt. Oder ist es ein Selbsthilfeseminar für Opfer internationaler Fernbeziehungen? Eine Sekte? Ein Selbsterfahrungstrip? Immer wieder unterbricht ein Black Out mit apokalyptischem Dröhnen das Geplapper wie eine Bild- oder Stromstörung: Denn ohne Empfang oder Elektrizität herrscht gleich das Nichts. Und dann geht alles wieder von vorne los – ein endloser Loop der Bedeutungslosigkeit. Sie sind gefangen in einer Wirklichkeitssimulation.
    "Warum simulieren wir denn jetzt Klimagipfel? Später simulieren wir den UN-Weltklimagipfel! Das hat anscheinend Gründe! Ich bin ja nicht blöd! Alles geschieht aus einem Grund! Die Grundsituation der Liebe ist nun mal die Fernbeziehung. Sie ist gewachsen zu einem globalen Chaos. Das hier ist unsere Chance!"
    Gut beobachtet und komödiantisch gespiegelt
    Was da gesagt wird, hat letztlich genauso wenig Bedeutung wie die Tatsache, dass sie einen UN-Weltklimagipfel nachspielen wollen und sich dafür Schwellköpfe und Fatsuits unter den Anzügen anziehen. In einer Welt der Entscheidungsunfähigkeit und hohlen Konzepte ist ohnehin alles simuliert – Liebe und Sex genauso wie Politik, die natürlich rein gar nichts mehr ausrichten kann, schon gar nicht für das Klima. Regisseurin Claudia Bauer versucht redlich, für Philippe Heules Satzgewitter Situationen und Bilder zu erschaffen. Da setzen sich dann endlich die tösenden Turbinen in Bewegung, da erstehen drei Figuren als bunte Bärchen wieder auf. Immer wieder ist das durchaus erhellend und lustig. Etwa, als die Schauspieler Ekkehard Frye und Sebastian Kuschmann in beiger Unterwäsche nebeneinander sitzen, auf ihre Oberschenkel klatschen und so eine virtuelle Sexbegegnung simulieren, die schön zusammenfasst, was man im Internet alles vortäuschen kann. Oder wenn alle fünf ekstatisch unter der selbstausgelösten Sprinkleranlage tanzen, als Ersatz für die fehlende "Mini-Bar". Oder wenn irgendwo ein Handy vibriert und alle in einer Choreografie aus hektischen Alltagsbewegungen danach suchen, die wohl jeder kennt. Das ist gut beobachtet und komödiantisch gespiegelt. Immer wieder beziehen die fünf Schauspieler sich natürlich auch auf die eigene Theatersituation, den Gipfel der Künstlichkeit.
    Authentisch wirkende Verzweiflungsgefühle
    Der Abend ist eine Art Fake-Feier des Unechten, ein Gedankenexperiment, das den angeblichen Zustand der modernen Menschen auf die Spitze treibt. Doch auf die Dauer ist das, trotz knackiger Kürze, genau deshalb auch ermüdend und gleichförmig. Bei René Pollesch gibt es immerhin noch authentisch wirkende Verzweiflungsgefühle. Claudia Bauers und Philippe Heules Versuchsanordnung tritt letztlich auf der Stelle: Wenn alles gleich wieder hinterfragt wird, wenn sich keine Entwicklung oder Geschichte einstellt und jeder Satz den nächsten entlarvt. Oder, um es mit einem der schönsten Sätze aus dem Stück zu sagen: "Das ist eine lebensfeindliche Wüste. Und trotzdem machen wir es uns gemütlich…"