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Die sinnlose Sperrfrist

Was nutzt die schönste Sperrfrist, wenn sich niemand daran hält? Das mag sich in der letzten Woche der Blessing Verlag gefragt haben, sein Buch über die Verstrickungen des Auswärtigen Amtes in die NS-Vernichtungsmaschinerie war schon in aller Journalistenmunde, bevor es überhaupt vorgestellt worden war.

Von Dieter Wulf | 30.10.2010
    "Dieser Bericht zeigt das Auswärtige Amt als Teil der Vernichtungsmaschinerie der Nazis, der Ermordung des deutschen und europäischen Judentums, des Holocaust."

    So Joschka Fischer am Donnerstagabend im Berliner Haus der Kulturen. Der Saal bis zum letzten Platz gefüllt, darunter dutzende Journalisten. um die offizielle Präsentation des Buches zu erleben, das in den letzten Tagen die Politik- und Feuilletonseiten beherrschte. Die Analyse des Auswärtigen Amts während und nach dem Nationalsozialismus. Doch lange bevor die Autoren ihre knapp 900 Seiten Studie präsentieren konnten, war die Medienmaschine längst auf Hochtouren.

    Und das, obwohl der Münchener Blessing Verlag, bei dem das Buch erscheint, eine restriktive Sperrklausel verhängt hatte. Jede Redaktion, die über das Buch berichten wollte, hatte nur dann ein Exemplar erhalten, wenn man vorher schriftlich zugesicherte hatte, bis zum 28. Oktober, also dem Tag der Pressekonferenz am Donnerstag, über Thema und Inhalt des Werkes strengstes Stillschweigen zu bewahren. Bei Zuwiderhandlung drohte der Verlag jedem mit einer Vertragsstrafe von 100.000 Euro.

    Am vergangenen Sonntag aber preschte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung mit einem Gespräch mit Altbundespräsident Weizsäcker und einer ausführlichen Buchrezension vor. Auch der Spiegel hatte die Sperrfrist missachtet und das Thema früher als zugesichert ins Blatt gehoben.

    Damit war der Bann gebrochen. Schon am Sonntagabend berichteten Tagesschau und Tagesthemen ausführlich. Kein Problem, denn die Bücher lagen ja seit Wochen in den Redaktionen vor. Längst waren ausführliche Beiträge vorproduziert, die jetzt nur noch ins Programm genommen werden mussten.

    Noch am Sonntagabend wurde Außenminister Westerwelle in der ARD zum Thema befragt. Wer bis dahin wegen der zugesicherten Sperrfrist noch Bedenken hatte, spätestens jetzt überschlug sich die Berichterstattung. Überall erschienen Buchbesprechungen und Interviews zum Thema. Am Montagmittag erkläre der Blessing Verlag die Sperrfrist offiziell zur Makulatur.

    Mit solchen Sperrklauseln versuchen Verlage die mediale Aufmerksamkeit zielgenau auf den Termin der Veröffentlichung zu richten. Das sei prinzipiell nicht unüblich im Mediengeschäft, meint Henrik Zörner, vom Deutschen Journalistenverband

    "Dass also einzelne Medien ein Buch vorab bekommen und mit diesen Verlagen und Redaktionen im Vorfeld auch klar gemacht wird, dass dort eine besonders privilegierte Berichterstattung über dieses Buch erfolgt ist ja gar nicht mal unüblich."

    Man habe das Buch schon letzte Woche im regulären Buchhandel kaufen können, ließ der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher wissen. Und eine Sperrklausel gegen ein schon im Handel befindliches Buch gebe es nun mal nicht. Tatsächlich habe man aus Kostengründen einen Teil der Auflage schon an die Händler ausgeliefert, allerdings mit der Vorgabe den Verkauf nicht vor dem 28. Oktober zu beginnen, ließ der Verlag wissen.

    Die Chefredaktion des Spiegels teilt auf Nachfrage mit, dass es eine Absprache mit dem Verlag gegeben habe. Das aber bestreitet der Blessing Verlag und verweist auf die vorliegenden Unterlassungserklärungen von FAZ und Spiegel. Für ein Interview aber will sich keiner der Beteiligten zur Verfügung stellen. Man prüfe jetzt, ob man gegen Spiegel und FAZ juristisch vorgehen werde, heißt es vom Verlag.

    Die den Journalisten vorgelegte Unterlassungserklärung sei ein geradezu sittenwidriger Knebelvertrag, meint dagegen Henrik Zörner vom Journalistenverband. Und auch aus ganz praktischen Gründen glaubt er nicht an eine Klage des Verlages.

    "Ich halte diesen Vertrag für nicht gerichtsfest und darüber hinaus, ein Verlag, der mit einem möglicherweise auch großen Medienunternehmen möglicherweise auch juristisch überwirft, wird mit diesem Unternehmen künftig nicht mehr zusammen arbeiten können."

    Moshe Zimmermann, israelischer Historiker und einer der Autoren des Buches, vermutet sogar, dass all das ganz bewusst vom Verlag inszeniert wurde.

    "Also ich halte es für merkwürdig, dass erstens die Presse sich an die Vereinbarung nicht gehalten hat und zweitens dass der Verlag auch nicht sehr erzürnt reagierte. Es sah so aus, als ob der Verlag sich damit mindestens abfand, vielleicht sogar darüber erfreut war."

    Sollte es sich also wirklich um eine geplante Medienkampagne gehandelt haben, dann hätte der Blessing Verlag die Mechanismen des heutigen Rudeljournalismus bestens für sich genutzt.