Donnerstag, 25. April 2024

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"Die Sitten waren damals rau"

Rupert von Plottnitz, ehemals Anwalt von Jan-Carl Raspe und Ex-Justizminister von Hessen, hält es für möglich, dass es im Rahmen der RAF-Prozesse zu Justizirrtümern gekommen ist. Damals sei die Versuchung groß gewesen, "etwas weniger genau als es vielleicht vom Rechtsstaat verlangt wird vorzugehen, wenn es um die Beweise im Falle von Einzelanschlägen ging".

Moderation: Jochen Spengler | 24.04.2007
    Jochen Spengler: Die RAF, die Rote Armee Fraktion, hat viele Menschen auf dem Gewissen und wie bei Siegfried Buback, dem vor 30 Jahren ermordeten Generalbundesanwalt, wissen wir bis heute in den meisten Fällen nicht, wer konkret die Mörder waren, wer geschossen hat.

    Es ist wie gesagt unklar, wer Generalbundesanwalt Siegfried Buback am 7. April 1977 ermordet hat. Der "Spiegel" berichtet, das frühere RAF-Mitglied Verena Becker habe dem Verfassungsschutz schon zu Beginn der 80er Jahre mitgeteilt, dass ihr Ex-Kampfgenosse Stefan Wisniewski der Todesschütze gewesen sei. Das hat nun auch Peter-Jürgen Boock bestätigt. Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt BKA hätten aber, so der "Spiegel", die Informationen zu den Tätern zurückgehalten, um ihre Informanten zu schützen. Wäre diese Version wahr, hätte dies möglicherweise Folgen für das Gnadengesuch Christian Klars, das der Bundespräsident derzeit prüft, denn Klar wäre allenfalls Tatbeteiligter, nicht aber Täter gewesen. Der 1980 wegen Mittäterschaft ebenfalls verurteilte Knut Folkerts soll sogar, so der "Spiegel", am Tattag gar nicht in Karlsruhe gewesen sein.

    Das sind alles Meldungen, die aufgeschreckt haben. Bundesinnenminister Schäuble lässt die Vorwürfe gegen die Behörden derzeit prüfen. Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages kommt morgen zu einer Sondersitzung zusammen. Aufklärung wird von allen Seiten gefordert.

    Am Telefon begrüße ich nun den ehemaligen hessischen Justizminister Rupert von Plottnitz. Bevor er für die Grünen in die Politik ging war er als Rechtsanwalt Strafverteidiger des RAF-Terroristen Jan-Carl Raspe. Guten Morgen Herr von Plottnitz!

    Rupert von Plottnitz: Guten Morgen!

    Spengler: Wurden Sie denn von den Meldungen überrascht, dass Stefan Wisniewski der Mörder Siegfried Bubacks sein soll?

    von Plottnitz: Überraschend ist zumindest das, was jetzt behauptet wird, dass es bereits früher etwa beim Bundesamt für Verfassungsschutz Hinweise auf Täter oder Mittäter gegeben habe, die der Justiz gegenüber nicht offenbart worden sein sollen. Das wäre ja nun etwas, was im Rechtsstaat so nicht vorgesehen ist, zumindest so lange nicht vorgesehen ist, als damit das Risiko von Justizirrtümern verbunden sein könnte.

    Spengler: Aber wenn nur das überraschend war heißt das, dass Sie diese Namen der Täter nicht überrascht hat?

    von Plottnitz: Das würde voraussetzen, dass ich die Akten kenne, was nicht der Fall ist. Entscheidend für das, was jetzt diskutiert wird, ist ja die Frage wie stichhaltig ist das, worüber berichtet wird. Wie steht es um die Glaubwürdigkeit derjenigen, die da jetzt als Zeugen und Hinweisgeber eine Rolle spielen? Gibt es da Interessen, die möglicherweise im Sinne einer Ablenkung von eigener möglicher Täterschaft eine Rolle spielen können? Das muss alles von den zuständigen Justizbehörden genau aufgeklärt werden. Natürlich muss aber der Frage nachgegangen werden, solange die Frage im Raume steht, ob es hier mit Wissen von Sicherheitsbehörden sozusagen und sehenden Auges zu Justizirrtümern gekommen ist.

    Spengler: Was wäre denn die Konsequenz daraus?

    von Plottnitz: Die Konsequenz könnte, wenn sich das als hieb- und stichfest jetzt erweisen sollte, darin bestehen, dass Ermittlungsverfahren gegen Personen in Gang gebracht werden, gegen die bisher wegen bestimmter Einzelanschläge nicht ermittelt worden ist, und dass Wiederaufnahmeverfahren in anderen Fällen, in denen es zu Verurteilungen gekommen ist, obwohl täterschaftliche Beiträge ausscheiden, auch in Gang gebracht werden könnten.

    Spengler: Das heißt man kann nicht nur neu aufrollen gegen jemanden, der neu angeklagt werden müsste, sondern man müsste auch die Fälle neu aufrollen, wo jemand möglicherweise zu Unrecht verurteilt worden ist?

    von Plottnitz: Wenn es sozusagen hieb- und stichfeste Hinweise darauf gibt. Auch Anklagebehörden können zu Gunsten von Verurteilten Wiederaufnahmeverfahren in Gang bringen.

    Spengler: Fordern Sie die?

    von Plottnitz: Ich kann nichts fordern, ohne zu wissen, wie es um die Hieb- und Stichfestigkeit derjenigen Angaben steht, über die jetzt berichtet wird. Das ist Sache von Ermittlungsbehörden jetzt, die Glaubhaftigkeit dessen zu überprüfen worum es geht.

    Spengler: Kommen wir auf diese Prozesse, die damals in den 70er und 80er Jahren geführt wurden, wo Menschen ja zu mehrfach lebenslanger Haft verurteilt worden sind. Man hat ihnen da nicht unbedingt konkret die Tat nachgewiesen. Musste man das nicht?

    von Plottnitz: Na ja, im Strafrecht gibt es den Begriff der Täterschaft, der Mittäterschaft auch und da kommt es im Einzelnen dann nicht unbedingt darauf an, wer sozusagen, wenn es um den Einsatz von Schusswaffen geht, den Abzugshahn betätigt hat. Da können auch andere Tatbeiträge in Betracht kommen. Insofern ist das etwas, was auch dem Strafrecht ansonsten nicht sonderlich fremd ist. Es gibt auch sonst natürlich Urteile, bei denen jemand verurteilt wird, der für eine Tötungshandlung nicht selbst verantwortlich war, der aber solche Tatbeiträge geleistet hat, dass die Tötung ohne diese Beiträge nicht möglich geworden wäre.

    Spengler: Das heißt Sie haben keinerlei Zweifel an der rechtsstaatlichen Qualität der damaligen Verfahren und der Urteile?

    von Plottnitz: So weit würde ich nicht gehen. Die Sitten waren ja damals rau. Man hatte es sehr häufig mit Beschuldigten und Angeklagten zu tun gehabt, die von ihrem Recht zu schweigen Gebrauch gemacht haben. Man hatte es auf der anderen Seite natürlich mit einem Bedürfnis nach harter Bestrafung zu tun und von daher war die Versuchung natürlich relativ nahe liegend, etwas weniger genau als es vielleicht vom Rechtsstaat verlangt wird vorzugehen, wenn es um die Beweise im Falle von Einzelanschlägen ging. Damals wurde sicherlich nicht selten der Versuchung nicht ausreichend widerstanden zu sagen, wer Mitglied einer terroristischen Vereinigung ist, ist im Zweifel eben auch immer verantwortlich für die Einzelanschläge.

    Spengler: Herr von Plottnitz, galt damals der Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten"?

    von Plottnitz: Er hätte gelten sollen. Ob er in jedem Einzelfall, wenn es um die Beteiligung an Einzelanschlägen ging, so praktiziert worden ist wie es vorgesehen ist, da kann man sicherlich die eine oder andere Frage oder das eine oder andere Fragezeichen anbringen.

    Spengler: Das heißt erhärtet sich jetzt das, was wir zum Beispiel im Falle Siegfried Buback hören, dann könnten wir tatsächlich von Fehlurteilen ausgehen?

    von Plottnitz: Na ja, von einem Fehlurteil müsste man dann ausgehen, wenn jemand verurteilt worden ist, der an der Tat nicht beteiligt war, also etwa weil er überhaupt keine Tatbeiträge zur Tatrealisierung geleistet hat. Das wird ja jetzt in einem Fall für möglich gehalten.

    Spengler: Ich wollte gerade sagen: der Fall Knut Folkerts, der nun gar nicht bei der Tat da war, sondern mehrere hundert Kilometer weit weg. Könnte der trotzdem beteiligt sein, indem er das billigt?

    von Plottnitz: Wenn es Tatbeiträge von ihm gegeben hat, die wie gesagt mittäterschaftlichen Charakter in der Zeit vor der Tat gehabt hätten, dann wäre das auch denkbar. Wenn es jetzt aber heißt, der war überhaupt in der Ferne und nicht in der Nähe des Tatortes, dann kann man natürlich mit Fug und Recht fragen, wieso wurde der als Mittäter verurteilt.

    Spengler: Warum reden die verurteilten Täter heute nicht endlich?

    von Plottnitz: Da müssen sie die in Frage stehenden Personen fragen. Es gibt allerdings einen nahe liegenden Grund. Man darf ja nicht vergessen: Im Rechtsstaat gibt es das Recht zu schweigen und sich nicht selbst zu belasten. Möglicherweise würden diejenigen, um deren Redebereitschaft es jetzt geht, sich neuen strafrechtlichen Risiken aussetzen und das könnte eine Erklärung sein.

    Spengler: Da Mord nicht verjährt. - Danke schön für das Gespräch! - Das war der ehemalige hessische Justizminister Rupert von Plottnitz.