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"Die Situation heute in Italien ist wesentlich besser"

Mario Monti habe gezeigt, dass man durch harte Disziplin in kurzer Zeit gute Resultate erreichen könne, sagt der italienische Botschafter in Berlin, Michele Valensise. Daher bestehe in Parlament und Öffentlichkeit breiter Konsens zur Sparkultur des italienischen Ministerpräsidenten.

Michele Valensise im Gespräch mit Christoph Heinemann | 24.02.2012
    Christoph Heinemann: Eine Warnung: Alles ist erlaubt, nur nicht das, was zur Auflösung und Spaltung der Europäer führt – und dieses Risiko besteht. Die Krise in der Eurozone hat zu viele Feindseligkeiten heraufbeschworen. Das hat Mario Monti gesagt.

    Seit 100 Tagen leitet der ehemalige EU-Kommissar Mario Monti die italienische Regierung. Mit großer Erleichterung haben die Kolleginnen und Kollegen in der Europäischen Union seine Berufung zur Kenntnis genommen. Der Unterschied des gebildeten Staatsmannes zu seinem Vorgänger Silvio Berlusconi könnte größer kaum sein – Stichwort "Bunga Bunga". Im Zuge der Schuldenkrise wurde viel Porzellan dies- und jenseits der Alpen zerschlagen. Die Italiener wurden in Deutschland als "leichtfertige Gigolos" beschrieben – das Vorurteil wurde verstärkt durch die Navigationsleistung des Kapitäns der Costa Concordia -, die Deutschen in Italien als tumbe und hässliche Zuchtmeister beschrieben, da tauchte gelegentlich auch das Hakenkreuz auf. – Wir wollen über Mario Monti und über die deutsch-italienischen Beziehungen sprechen. Am Telefon ist Dr. Michele Valensise, der italienische Botschafter in Deutschland. Guten Morgen!

    Michele Valensise: Guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Botschafter, der Name Monti ist der Plural von Monte, das heißt der Berg. Welche Berge hat der Ministerpräsident bisher versetzt?

    Valensise: Ja, vor allem den Berg der Zuversicht, und zwar er hat gezeigt, dass durch eine harte Arbeit, durch eine harte Disziplin man auch in relativ kurzer Zeit schon gute Resultate erreichen kann. Die Situation heute in Italien ist wesentlich besser als die Situation, die wir vor drei Monaten hatten. Das müssen wir der Regierung Monti verdanken, nicht nur seiner Person, sondern der ganzen Mannschaft, die sich sehr, sehr ernst in diesem neuen Reformkurs engagiert hat.

    Heinemann: Stichwort neuer Reformkurs. Die Regierung kämpft um eine Reform des Arbeitsmarktes, da geht es unter anderem um eine Regelung aus dem Jahr 1970, die betriebsbedingte Kündigungen in Betrieben über 15 Beschäftigten erschwert. Wieso ist das so furchtbar schwierig, diese Reform?

    Valensise: Das ist schwierig, weil es geht um einen Komplex von Rechten, die wir seit Jahrzehnten in unserer Gesetzgebung haben. Wir sind aber da auch ziemlich zuversichtlich, dass auch in diesem Feld, auch in diesem Bereich es zu guten Resultaten kommen kann. Sehen Sie, wir waren sehr skeptisch am Anfang, was die Handlung der Regierung über Liberalisierung oder über Reform des Rentensystems angehen konnte, und wir mussten feststellen, dass wir in diesen zwei Bereichen zum Beispiel, Liberalisierung und Rentenreform, hier schon sehr fortgeschritten sind. Wir haben sehr konkrete Resultate innerhalb von wenigen Wochen erreicht. Deshalb ist die Stimmung in Italien Richtung eben Zuversicht, dass wir auch in diesem delikaten Gebiet von Reform des Arbeitsmarkts so ähnlich positive Resultate mit Gleichgewicht erreichen werden. Der Ministerpräsident Monti hat schon gesagt, dass er als Arbeitsmethode diejenige wählt, die der Konsultierung mit den Gewerkschaften, mit den politischen Parteien, mit den parlamentarischen Kräften, aber dass er am Ende von diesem Prozess, und zwar spätestens Ende März, wird sowieso eine Entscheidung treffen.

    Heinemann: Mario Monti hat eine Verdoppelung des europäischen Stabilitätsmechanismus von 500 Milliarden auf eine Billion Euro gefordert. Was erwartet der Ministerpräsident von Deutschland?

    Valensise: Gefordert ist vielleicht nicht das richtige Wort, Herr Heinemann.

    Heinemann: Vorgeschlagen.

    Valensise: Ja. – Italien ist vor allem in den letzten Monaten auf einem sehr harten Kurs engagiert: große Disziplin, Haushaltsdisziplin, Schuldenbremse, Kürzungen von den öffentlichen Ausgaben, Erhöhung von den Einnahmen, von den Staatseinnahmen. Stichwort Disziplin, Haushaltsdisziplin – die ist notwendig, wir sind davon überzeugt. Gleichzeitig, sagt der Ministerpräsident, müssen wir uns auch um das Problem des Wachstums und der Entwicklung von unserer Wirtschaft kümmern und wir brauchen auch eine Kompensierung, langfristig, mittelfristig brauchen wir auch eine finanzielle Kompensierung, damit diese strengen Maßnahmen, die sowieso notwendig sind und die sowieso getroffen worden sind und werden, dass diese Maßnahmen eben auch mit Mechanismen, mit Maßnahmen, die das Wachstum fördern, assoziiert werden, begleitet werden.

    Heinemann: Das heißt genau, welche Erwartungen richten sich dann an Berlin?

    Valensise: An Berlin richten wir die Erwartung von weiterer Solidarität. Wir gehen davon aus, dass die deutsche Politik setzt auf Disziplin, wie wir es tun, aber setzt auch auf die notwendigen Impulse zum Wachstum. Das ist eine Rede, die wir oft auch in Berlin hören.

    Heinemann: Haben die Italiener die Sparpolitik angenommen?

    Valensise: Das ist eine gute Frage. Ich würde sagen, ein klares Ja – Ja, weil es ist erstaunlich für uns alle, auch für die ausländischen Beobachter, aber sogar für meine Kompatrioten ist es erstaunlich zu merken, wie breit der Konsens zu dem politischen Kurs von Ministerpräsident Monti im Parlament ist und wie breit diese Unterstützung auch bei der Öffentlichkeit, bei den Bürgern ist. Ich glaube, sie haben diesen Sparkurs als absolut notwendig erkannt und sie machen mit.

    Heinemann: Nun leitet Mario Monti eine technische Regierung, die von den Parteien abhängt. Wie dauerhaft ist seine Sparpolitik?

    Valensise: Die Sparpolitik wird über die Regierung Monti dauern. Monti wird voraussichtlich Ministerpräsident bis zu den nächsten Wahlen 2013 bleiben, aber was in diesen Monaten geschehen ist, ist schon sehr relevant und interessant. Diese Sparkultur hat sich verbreitet unter den politischen Parteien, und übrigens unter den positiven Faktoren, die wir jetzt erleben, ist auch, ich würde sagen, eine große verantwortungsvolle Haltung von den politischen Parteien, die die Regierung Monti unterstützen, und zwar die ehemalige Mehrheit und die ehemalige Opposition sind heute zusammen und halten zusammen für den Erfolg von Ministerpräsident Monti.

    Heinemann: Stichwort "ehemalige Regierung". Hat Mario Monti die politische Kultur in Italien verändert?

    Valensise: Ich glaube, er ist dabei, jetzt bei aller Vorsicht, einige wesentliche Änderungen in meinem schönen Land einzuführen, und wir sind ihm wirklich dankbar, dass er das macht, dass er das mit Kompetenz und Ernsthaftigkeit macht. Natürlich gibt es bittere Pillen, die von verschiedenen Sektoren in Italien runterzuschlucken sind, aber die Reaktionen, wie Sie gesehen haben, sind sehr positiv und ermutigend. Stichwort: Wir hatten Proteste, wir hatten einige Unzufriedenheiten, aber zu wahren Streiks oder zu wahren Auseinandersetzungen kam es Gott sei Dank nicht, und das ist der Verdienst von der Regierung.

    Heinemann: Herr Botschafter, eine Zeitung meines schönen Landes, nämlich die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", überschrieb in diesen Tagen einen Leitartikel "Renaissance des Vorurteils", ein Artikel über die Kollateralschäden der Schuldenkrise. Die Europapolitiker hätten die Beharrungskräfte des Nationalgedankens unterschätzt. Es gab auch im deutsch-italienischen Verhältnis Reibereien. Hat die Schuldenkrise auch dieses deutsch-italienische Verhältnis beschädigt?

    Valensise: Nein, nein. Ich würde sagen, nein, im Gegenteil. Sie wissen, Deutschland ist seit Langem, nicht nur seit Monaten als ein Vorbild in Italien gesehen. Man spricht in Italien oft von dem "modello tedesco", das deutsche Vorbild. Es gibt eine verbreitete Sympathie und Bewunderung für Deutschland. Ich habe auch den Artikel gelesen, den Sie erwähnen. Ich glaube, in schwierigen Zeiten besteht natürlich die Gefahr, dass man zu nationalen oder nationalistischen Stereotypen zurückkommt, aber ich glaube, dass die Mehrheit von den deutschen Bürgern, die Mehrheit von den italienischen Bürgern und, wenn Sie erlauben, die Mehrheit von den europäischen Bürgern sehr gut geimpft ist gegen diese Rückkehr zu nationalen oder nationalistischen Vorurteilen.

    Heinemann: ... , die man dennoch lesen konnte: in italienischen Zeitungen der Rückgriff auf das Dritte Reich, in deutschen Zeitungen die Italiener als Gigolos.

    Valensise: Ja, das sind Andeutungen, die wirklich überhaupt nicht repräsentativ sind von der Art und Weise, in der die große, die größte Mehrheit von unseren Bürgern denkt – Gott sei Dank. Lassen wir ein paar Journalisten auch über diese Klischees ein paar Witze machen, aber Hauptsache ist, dass wir darüber die Fähigkeit haben und behalten, zu lachen und sie nicht zu ernst zu nehmen.

    Heinemann: Wird die Schuldenkrise Europa verändern?

    Valensise: Die Schuldenkrise ist eine große Gelegenheit, um einiges in unserem Zusammenleben, in unserer Zusammenarbeit wieder zu überdenken, wieder zu laborieren. Es ist eine Chance, es ist eine Herausforderung und wir sind dabei, nicht nur in Italien diese Herausforderung wirklich sehr, sehr ernst zu nehmen. Ich wünsche mir, wenn die Krise endlich vorbei, bei Seite sein wird, dass wir die Gründe des Zusammenseins und des Zusammenwachsens noch besser erkennen werden.

    Heinemann: Michele Valensise, Botschafter der Italienischen Republik in Deutschland – Kompliment für Ihr ausgezeichnetes Deutsch, danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.

    Valensise: Danke auch! Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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    Seit 100 Tagen im Amt: Italiens Ministerpräsident Mario Monti (dpa / picture alliance / Claudio Onorati)