Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


"Die Situation wird immer dramatischer"

Offenbar ist Griechenland nicht darauf eingestellt, etliche Menschen aus Afghanistan, Somalia oder Eritrea bei sich unterzubringen. Der Europareferent der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, Karl Kopp, fordert das Land auf, im Umgang mit Flüchtlingen die Menschenrechte einzuhalten.

Karl Kopp im Gespräch mit Jasper Barenberg | 11.09.2009
    Jasper Barenberg: Am Telefon begrüße ich jetzt Karl Kopp, den Europareferenten von "Pro Asyl". Einen schönen guten Morgen, Herr Kopp.

    Karl Kopp: Guten Morgen!

    Barenberg: Herr Kopp, Sie sind gerade selber aus Griechenland zurückgekehrt, haben sich, so denke ich, ein Bild gemacht vom Umgang der griechischen Behörden mit Asylsuchenden, mit Flüchtlingen. Mit welchen Eindrücken sind Sie zurück nach Deutschland gekommen?

    Kopp: Ich war sehr häufig in den letzten zwei Jahren in Griechenland und die Situation wird immer dramatischer. Man kann kaum noch die Steigerung beschreiben. Ich war auf der Insel Lesbos, in einem Haftlager, Pagani, sind über 1000 Menschen letzte Woche inhaftiert gewesen, darunter 500 besonders schutzbedürftige Frauen, Babys, eine alte Frau aus Afghanistan, 70 Jahre alt, 250 Minderjährige. In einer Zelle sind 250 Menschen, eine Toilette, eine Dusche, und sie sind bis zu 55, 70 Tage inhaftiert unter erbärmlichsten Bedingungen. Diese Menschen werden dann irgendwann entlassen und sie werden ins nichts entlassen. Sie kommen nach Athen und landen in der Obdachlosigkeit. Familien mit Kindern, unbegleitete Minderjährige schlafen in Parks und finden keinen Schutz. Wenn Sie sich die Situation vor der sogenannten Asylbehörde in der Tetorali-Straße angucken, dann kann man nicht von einem Asylsystem reden. Wir haben die Absurdität, dass Menschen in Europa nicht mal das Gebäude der sogenannten Asylbehörde betreten können. Von daher muss man momentan von europäischer Seite dringend handeln, muss Griechenland zwingen, die Menschenrechte einzuhalten, aber man muss vor allem Griechenland unter die Arme greifen und einen Teil dieser Flüchtlinge aufnehmen.

    Barenberg: Das ist die eine Seite, Herr Kopp. Die andere ist, dass jetzt das Bundesverfassungsgericht auf die Zustände in Griechenland aufmerksam wurde. Jedenfalls soll ein irakischer Flüchtling, der inzwischen in Deutschland gelandet war, ursprünglich aber in Griechenland einen Asylantrag gestellt hat, zurückgeschickt werden, abgeschoben werden zurück nach Griechenland, und das hat jetzt das Bundesverfassungsgericht zunächst einmal gestoppt und will prüfen, ob es überhaupt zulässig ist, unter den Bedingungen, über die wir gerade gesprochen haben, Asylsuchende wieder zurück nach Griechenland zu schicken. Welche Bedeutung, welchen Stellenwert hat dieses Urteil nach Ihrer Meinung?

    Kopp: Dieser Beschluss hat möglicherweise eine sehr, sehr weitreichende Konsequenz. Mittlerweile haben über 70 deutsche Verwaltungsgerichte gesagt, nein, wir dürfen nicht abschieben nach Griechenland, weil die Verhältnisse dort katastrophal sind, weil Schutzsuchende, wenn man sie zurückschickt aufgrund einer europäischen Zuständigkeitsregelung, schutzlos sind und obdachlos. Und jetzt kommt das Bundesverfassungsgericht und stellt genau die Fragen, die wir seit zwei Jahren stellen: darf man blindlings abschieben, ohne dass es gestoppt werden kann – so sieht es unser Gesetz vor -, oder müssen wir prüfen. Das Bundesverfassungsgericht will prüfen, einmal die Möglichkeit des Rechtsschutzes in diesem europäischen Verschiebebahnhof, dass man auch eine Abschiebung stoppen kann, und das Bundesverfassungsgericht stellt eine zentrale Frage an die europäische Solidarität. Darf man jemand noch abschieben, wenn ein System zusammenbricht, wenn es völlig überfordert ist? Das könnte weitreichende Konsequenzen haben, nämlich auch, dass der Gesetzgeber handeln muss. Es muss möglich sein, generell, nicht nur bei Griechenland, dass man eine Abschiebung stoppen kann per Rechtsmittel – das verbietet momentan das Gesetz -, und zum anderen, dass wir einen völlig anderen Solidaritätsmechanismus in Europa brauchen. Es kann nicht angehen, dass man den Außenstaaten die Kernverantwortung für den Flüchtlingsschutz zumutet und Flüchtlinge, die beispielsweise aus dem Irak kommen, aus Afghanistan, Somalia, Eritrea, die den Weg über Griechenland wählen müssen – das ist der reine geografische Zufall -, wieder postwendend blind nach Griechenland ins Elend abschiebt.

    Barenberg: Das heißt aber auch, Herr Kopp, dass Sie Verständnis haben für die Klagen in Griechenland selber, man sei überlastet, und auch für die Forderung, mehr Solidarität zu erfahren von den europäischen Partnern?

    Kopp: Ja, dafür haben wir Verständnis. Wir haben sehr viele Berichte geschrieben zur desolaten Situation in Griechenland. Man muss aber sehen, dass selbst auf dieser Insel Lesbos, die ich vor kurzem besucht habe, dreimal so viele minderjährige Flüchtlinge ankommen als in dem großen Deutschland innerhalb von einem Jahr. Das kann nicht angehen, dass wir uns sozusagen in den Logenplatz zurücklehnen und sagen, wir haben eine Insellage, wir schieben die Verantwortung nach Griechenland, nach Malta, nach Zypern oder sonst wo hin ab, sondern Deutschland muss einen Beitrag zur Solidarität leisten und wir brauchen eine ernsthafte Debatte – die EU-Kommission hat es vorgelegt -, dieses Zuständigkeitssystem Dublin II endlich zu reformieren oder gar abzuschaffen und einen wirklichen Solidaritätsmechanismus innerhalb Europas zu schaffen. Momentan haben wir eine Einigkeit bei der Abschottung, bei der Abwehr an der Außengrenze, koste es was es wolle, aber wir haben keine Solidarität innerhalb der EU-Staaten und wir haben vor allem damit auch die Humanität verloren, weil für viele Menschen heißt das wirklich Elend und Schutzlosigkeit und das kann nicht angehen.

    Barenberg: Mal abgesehen, Herr Kopp, von den Folgen, die ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts möglicherweise für die Politik hat, wie schätzen Sie denn die politische Bereitschaft der Innenpolitiker in Deutschland ein, Veränderungen vorzunehmen, wie Sie sie vorschlagen?

    Kopp: Bis jetzt wurde unserer Forderung nicht gefolgt. Seit Februar 2008 haben wir eine Petition beim Deutschen Bundestag anhängig, die Abschiebung nach Griechenland generell zu stoppen. UNHCR in Genf fordert das seit April 2008, aber es gibt Bewegung. Im ersten Schritt wurden Minderjährige rausgenommen aus den drohenden Abschiebungen, dann besonders Schutzbedürftige und wir sehen, dass mittlerweile mehr humanitäre Entscheidungen in Deutschland getroffen werden, und wir sehen vor allem, dass die Gerichte unserer Expertise folgen, und jetzt möglicherweise auch das Bundesverfassungsgericht. Von daher ist die Forderung genauso aktuell wie damals: wir brauchen einen Abschiebestopp jetzt und wir brauchen wirklich humanitäre Solidaritätsmaßnahmen in Richtung Griechenland und vor allem in Richtung Schutzsuchende.

    Barenberg: Heute Morgen im Deutschlandfunk Karl Kopp, der Europareferent der Menschenrechtsorganisation "Pro Asyl". Danke für das Gespräch, Herr Kopp.

    Kopp: Ich danke Ihnen.