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Die "solidarischen Restaurants" in Paris

Seit einem guten Jahrzehnt betreibt die Stadtverwaltung in Paris Armenspeisungen, für all jene, die sich keine warme Mahlzeit mehr leisten können. Derer werden immer mehr. Daher hat Oberbürgermeister Bertrand Delanoë vor eineinhalb Jahren ein neues Konzept eingeführt: die "solidarischen Restaurants".

Von Suzanne Krause | 03.02.2012
    Wenn abends um sechs das Restaurant Solidaire seine Pforten öffnet, kontrolliert ein Wachmann am Eingang die Berechtigungskarte jedes Kunden. Das Pariser Sozialamt entscheidet über den Einlass. Im großen Speisesaal mit seinen bunten Bilder und der reich bestückten Bibliothek ist Platz für gut 50 Bedürftige. Michel Vourche, Koch und Team-Chef, ist stolz auf seine Menüauswahl:

    "Als Vorspeise gibt es heute einen gemischten Salat, Taboule oder auch Suppe. Der Hauptgang ist entweder Roastbeef oder Seehecht-Filet. Mit Nudeln, Champignons-Sauce und einer Art Leipziger Allerlei. Danach Käse oder ein Joghurt und zum Nachtisch haben wir Eischnee mit Vanillesauce oder Kiwi. Wir bemühen uns, ausgewogene Mahlzeiten anzubieten."

    Neben einem zahnlosen Rentner füllt eine unauffällig wirkende Endfünfzigerin ihr Tablett an der Essensausgabe. Michel Vourche häuft eine Sonderportion Nudeln auf ihren Teller. Jeden Abend sitzt die Frau hier und isst schweigend und bedächtig ihre Mahlzeit. Ganz offensichtlich genießt sie es, hier zu sein. Warum sie ins Restaurant Solidaire kommt, mag sie nicht erzählen, nur, dass sie sich hier wohlfühlt.

    "Das Restaurant wird gut geführt, es ist sauber und das Personal sehr nett. Genau wie die ehrenamtlichen Helfer. Die Stimmung ist einfach gut. Auch wenn ich hier eigentlich niemanden kenne."

    Eine junge Asiatin kommt herein, an der Hand ihre zweijährige Tochter. Die beiden leben in einem sogenannten sozialen Hotel, einer Notunterkunft, eine Viertelstunde Fußweg entfernt. Kochen ist dort verboten. Eine junge Rentnerin schäkert mit dem kleinen Kind. Elisabeth gehört zu den ehrenamtlichen Helfern im Restaurant. Immer mal wieder arbeitet sie auch neue Helfer ein – wie die beiden Teenager aus guten Familien, die im Restaurant Solidaire mithelfen wollen. Sie sollen den Gästen Trinkwasser servieren, sagt Elisabeth, um dezent Kontakt aufzunehmen:

    "Es geht vor allem darum, den Menschen hier Interesse entgegenzubringen. Ihnen zu zeigen, dass sie trotz all ihrer wirtschaftlichen Probleme als Menschen etwas wert sind. Die Stadtverwaltung spendiert ihnen allabendlich eine kostenlose Mahlzeit und wir sind dazu da, menschlichen Kontakt herzustellen."

    Daniel stellt sein Tablett in den Kasten für dreckiges Geschirr. Mitte dreißig ist er, ein großer, flotter Kerl in Motorradjacke. Obdachlos, ohne Job. Seit einem Jahr Stammgast im Restaurant Solidaire. Daniel lobt den respektvollen Umgangston hier:

    "Für manchen, der den ganzen Tag alleine ist, ist das Restaurant ein Zufluchtsort, um sich wieder ein bisschen als Mensch zu fühlen. Um sich mit anderen auszutauschen und das Vertrauen in sich nicht komplett zu verlieren. Und neue Hoffnung zu schöpfen."

    Gegen sieben Uhr kommt die Nachhut, in einer halben Stunde ist Feierabend. Heute Abend hat Michel Vourche wieder an die 120 Gäste bedient.

    "Heute ist mal wieder alles gut gelaufen, den Leuten schmeckt es. Für mich ist es sehr befriedigend, hier zu arbeiten. Ich habe das Gefühl, wirklich etwas Nützliches zu tun."

    Mit einer Kopfbewegung weist der Chef auf eine Weihnachtskarte hinter ihm an der Wand. Ein Geschenk der Stammgäste, die allesamt unterschrieben haben. Um ihm und seinem Team für den täglichen Einsatz zu danken.