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Die Sonnenuhr. Oder: Das geheime Leben meiner Freundin Roos

Eine Frau verliert ihre beste Freundin – aber statt zu trauern – hadert sie mit ihren Strümpfen. Und zur Beerdigung erscheint sie im abgelegten Designerkostüm der Verstorbenen.

Patrick van Odijk | 26.03.2003
    Maarten het Haart zeigt dem Leser von Anfang an – worum es ihm geht in seinem neuen Buch. Seine Hauptfigur Leonie Kuyper wird das geheime Leben ihrer Freundin Ross nicht nur erkunden, sondern sie wird hineinschlüpfen. Und zwar mit Haut und Haar. Das wird nicht so ganz einfach werden, denn die beiden Freundinnen unterschieden sich allzu sehr.

    Leonie Kuyper ist Mitte Vierzig, geschieden, alleinstehend, Dolmetscherin mit kargem Einkommen und bescheidenem Lebensstil. Ihre verstorbene Freundin Roos war extravagant, trug schicke Kleider, hohe Stiefel und exzentrisch-lange künstliche Fingernägel. Sie starb an einem Sonnenstich am Nordseestrand. Leonie ist nun die Alleinerbin eines schicken Appartments mit drei Katzen, um die sie sich laut Testament auch kümmern muss. Und zwar so, als ob sie Roos selbst wäre. Das befiehlt ihr ein kauziger, stotternder Notar. Die Katzen haben sprechende Namen und sind ein Hinweis, worauf sich Leonie bald einlassen wird.

    Es sind drei Spektren von Roos. Tijg ist Tiger – das ist ein Aspekt von Rroos, das sie ein art Tiger ist. Und ob er – er ist auch Ober, Kellner. Das ist, das sie in einem Labor arbeitet und immer andere Leute hat die sie sagen was sie tun muß was man als Ober auch hat, dass man eine Bestellung bekommt. Und Lellebel – ja was soll man das auf deutsch nennen. – ist nicht richtig eine art von hure, aber dennoch diese richtung auch. So eine Frau die ziemlich leicht mit sex und so umgeht.

    Leonie die Frau ohne große Leidenschaften nähert sich vorsichtig dem geheimen ihrer Freundin Roos an. Widerwillig klebt sie sich die gleichen, langen, künstlichen und knallroten Fingernägel wie Roos an. Aber schon bald trägt sie auch deren ausgefallene Garderobe, lässt sich die Haare schneiden wie die Freundin und schockt damit die gemeinsamen Bekannten. Und sie trifft fremde Männer, die von Roos mehr zu wissen scheinen als sie und die glauben, dass Roos ermordet wurde. Wer stirbt schon an einem Sonnenstich, denkt sich nun auch Leonie und beginnt zu recherchieren, was sich für sie als lebensgefährlich herausstellt.

    Maarten het Harts neuer Roman " Die Sonnenuhr" beginnt mit viel Humor und entwickelt sich dann zu einer spannenden WhoDunnit , also: "Wer ist der Täter" – Geschichte. Aber es ist nur vordergründig ein Krimi . Was den Autor wirklich interessiert, ist die Frage: Inwieweit kann man sich als Mensch verwandeln – kann man sogar in die Rolle und in das Leben eines anderen Menschen hineinschlüpfen? Als Schriftsteller verwandelt sich Maarten het Hart jeden Tag. Wenigstens in der Fantasie macht er sich das Leben seiner Figuren zu eigen – selbst wenn es zwei so unterschiedliche Frauen sind.

    Das< ist gar nicht schwierig. Das hat mir kein problem bereitet. Ich konnte das einfach schreiben. Das war wirklich als ob ich ein frau war.

    Die eine - Leonie - ist eine graue Maus, bescheiden und unauffällig wie meistens auch Maarten het Hart erscheint. Aber ihre tote Freundin Roos führte ein schrilles Leben. Sie arbeitete heimlich als Domina in einem privaten Sexclub.

    Das ist mehr eine Frau die ich beobachtet habe. Nicht eine Frau die ich von innen raus beschrieben habe. Ich bin eher die graue Maus mit einer Sehnsucht nach dieser Rolle als diese Roos.

    In den Niederlanden kennt jeder die Geschichte, dass Maarten het Hart vor über 20 Jahren als Frau verkleidet in Stöckelschuhen und Abendkleid bei einem Galaabend des niederländischen Buchhandels erschien. Kurz zuvor war er als Spießer verspottet worden. Und als Mevrouw Maartje war er dann noch öfters unterwegs – op Stap – wie die Niederländer sagen.

    Nein .. sie ist nicht mehr op stap. Jedermann denkt : Ach da ist Maartje ja – findet es ganz normal. Man kann einfach in Geschäfte gehen und ein brot kaufen und jedermann ist freundlich und dann ist es keine Provokation mehr und nicht etwas besonderes. Das war mehr eine rolle der provokation und nicht der frau – obwohl ich es schön fand, als frau angesehen zu werden. Aber das war doch nicht das wichtigste.

    Jedenfalls hat Maarten het Hart aus seiner Zeit als Mevrouw Maartje eine Menge Erfahrung im Rollentausch und im praktischen Umgang mit künstlichen Fingernägeln, Strapsgürteln und Stöckelschuhen. Für das geheime Leben der Freundin Roos musste er allerdings noch recherchieren.

    Ich bin in einem S/M Club gewesen in Den Haag. Ich habe das alles da angeschaut und da hab ich dann gesehen , dass es alles so unglaublich kleinbürgerlich war. Unglaublich schön und sauber eigentlich auch sehr netjes / es war alles so als ob man in einem Krankenhaus war , sehr steril, auch sehr gemütlich / aber ganz und gar nicht was man dabei denkt, dass man angst haben könnte / ganz und gar nicht. Es war alles ganz freundlich und kleingeistig fand ich. Einmal pro Monat haben sie da einen Tag der offenen Tür und so bin ich da zweimal gegangen und was mich sehr gewundert hat, war das da so unglaublich viel Menschen waren und auch Menschen die ich kannte das war doch ziemlich pikant, dass man Menschen sieht, die man immer auf der Straße sieht und die saßen da auch und die haben mich auch gesehen.

    Ein Bauunternehmer, ein Fahrlehrer, ein Feuerwehrmann sind die einfachen Mitglieder des Sexclubs und bilden in dem Roman eine Gegenwelt zum offiziellen Leben von Roos. Dort arbeitete sie als Chemielaborantin in einem Institut für Pharmakologie und war umgeben von angesehenen Wissenschaftlern. Und auch die liebten sie, und zwar nicht nur wegen ihres Fleißes. Maarten het Hart ist studierter Biologe und hat lange als Verhaltensforscher in solchen Labors gearbeitet. Und das war für ich ihn auch eine gute Schule für die Schriftsstellerei.

    Ja das hilft sehr gut glaube ich. Dass man wissenschaftlich gearbeitet hat und Verhaltensforschung gemacht hat, dass man gut beobachten kann. Das hat man gelernt. Das finde ich sehr wichtig und auch dass man scharf beobachtet und auch gut hört was jeder sagt und wie man es sagt ?? / Dass man einfach versucht so gut und deutlich zu beschrieben und nicht sofort zu interpretieren was in der psychologie immer passiert.

    Marten het Hart lässt seinen Figuren Zeit, sich zu entwickeln und das kann zu Überraschungen führen. Als Leonie vermutet, ihre Freundin könnte ihren Reichtum mit Drogen verdient haben ist sie empört und reißt sich die langen Fingernägel von den Händen. Als sie dann erfährt, dass Roos als Domina tätig war, nimmt sie deren Rolle wieder an.

    Vielleicht wäre es anders gewesen, wenn sie zuerst gemerkt hätte , dass Roos als Domina gearbeitet hätte, dann hätte sie wahrscheinlich auch von sich afgestoßen, aber dass sie zuerst mit die drugs konfrontiert wurde, ist nachher die s/m nicht so schlimm mehr. Denk ich. Psychologisch ist das dann weniger schwierig um zu verarbeiten.

    Jedenfalls entdeckt Leonie und mit ihr die Leser noch viele Überraschungen im geheimen Leben ihrer Freundin Roos. Deshalb ist der Roman "Die Sonnenuhr" ein spannendes Buch mit viel Humor, ausgereiften Figuren und parodistischen Anspielungen auf das Krimigenre. Der Autor, der selbst nie Krimis liest, lässt seine Heldin Leonie zur klassischen Verfolgungsjagd antreten. Allerdings rast sie mit ihrem Hollandrad hinter einer schnellen Limousine her . Aber das ist alles nur der Rahmen für Maarten het Harts eigentliches Thema. Inwieweit können Menschen ihr Leben radikal verändern oder wenigstens über ihren Schatten springen. Der Autor zitiert hierzu kenntnisreich Schopenhauers "Die Welt als Wille und Vorstellung und aus Goethes Faust. Hier urteilt Mephisto:

    Du bis am Ende – was Du bist / Setz Dir Perücken auf von Millionen Locken. / Setzt deinen Fuß auf ellenhohe Socken, / Du bleibst doch immer, was du bist.

    Es ist das Thema, womit sich Maarten het Hart schon lange auch in vielen seiner anderen Büchern beschäftigte. In seinem berühmtesten und erfolgreichsten Roman: "Das Wüten der ganzen Welt" beschreibt er eindringlich, wie sich ein Junge aus der hartherzigen, engen, freudlosen und geizigen Welt seines streng religiösen Elternhauses versucht zu befreien. Das Buch ist autobiografisch gefärbt. Maarten het Hart ist so aufgewachsen. Aber er schaffte es zu studieren und endlich den verbotenen Musikunterricht zu bekommen. Er wurde Schriftsteller und scharfzüngiger Zeitungskolumnist und er scheute sich nicht, öffentlich in Frauenkleider aufzutreten. Dennoch ist er der Meinung, dass man nicht wirklich aus seiner angestammten Rolle ausbrechen kann. Ob es Leonie in seinem neuen Roman "Die Sonnenuhr" gelingt, das wird hier nicht verraten.

    Verraten wird allerdings – dass wir in dem neuen Roman noch viele Zutaten finden die sehr typisch sind für Maarten het Hart. Da ist zunächst die klare und prägnante Sprache und die ungekünstelten Dialoge. Hinzu kommen zahlreiche Bibel – und Musikzitate. Maarten het Hart sitzt selbst noch jeden Tag am Klavier und nimmt Klavierstunden. Die Musik Johann Sebstian Bachs ist für ihn unübertroffen. Dennoch gibt es in dem neuen Buch keinen Bach.

    Ich habe vorher so viel über Bach geschrieben. Und Leonie ist eine, die nicht so viel von Bach hält als ich selber. Darum kein Bach. - Schubert und Mozart. Aber das kommt vor allem davon, dass Schubert eine kleine Kantate geschrieben hat über die Sonne, die sticht. Und das ist was in Buch passiert. Die Sonne sticht auch im Buch. Roos stirbt - da die sonne sticht.