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Die SPD und die K-Frage
"Man weiß nicht, wo Schulz innenpolitisch steht"

Der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer glaubt nicht, dass Martin Schulz neuer Kanzlerkandidat der SPD wird. "Ich verstehe überhaupt nicht, warum Sigmar Gabriel immer noch zögert", sagte Niedermayer im Deutschlandfunk. Schulz habe nicht per se bessere Chancen gegen Merkel.

Oskar Niedermayer im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 24.11.2016
    Porträtaufnahme von Oskar Niedermayer im November 2015
    Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer (dpa / Julian Stratenschulte)
    Dirk-Oliver Heckmann: Martin Schulz wechselt in die Bundespolitik. Haben wir damit auch den Kanzlerkandidaten der SPD erlebt? Die Frage ging heute an Professor Oskar Niedermayer, Politikwissenschaftler an der FU Berlin.
    Oskar Niedermayer: Ich glaube es nicht. Ich denke, dass Sigmar Gabriel Kanzlerkandidat der SPD werden wird. Er zögert zwar immer noch und ich verstehe das überhaupt nicht mehr, dass er immer noch zögert. Aber ihm ist natürlich auch klar: Wenn er jetzt ein zweites Mal nicht zugreift und Kanzlerkandidat wird, dann kann er auch den SPD-Vorsitz vergessen, und das würde bedeuten, dass er alle seine wirklich wichtigen Ämter verliert, und ich glaube nicht, dass er das will und macht. Deswegen gehe ich eigentlich davon aus, dass Martin Schulz Außenminister werden wird und Sigmar Gabriel Kanzlerkandidat.
    Heckmann: Wieso ist eigentlich jeder davon überzeugt, dass Sigmar Gabriel sein Amt als SPD-Chef los ist, wenn er diesmal nicht antritt als Kanzlerkandidat? Warum ist das so?
    Niedermayer: Eine Partei, die einen Machtanspruch hat, die den Regierungschef stellen will - und diesen Anspruch hat ja die SPD -, deren Vorsitzender muss ja im Prinzip auch kanzlertauglich sein. Er muss kanzlerfähig sein, er muss das beweisen, er muss diesen Machtwillen haben, dann auch wirklich gewinnen zu wollen und ganz vorne stehen zu wollen. Und wenn er den nicht hat, dann ist er meiner Ansicht nach auch als Vorsitzender nicht mehr geeignet.
    "Gabriel weiß, dass er in der Partei nicht unumstritten ist"
    Heckmann: Sie sagten es gerade selber: Sigmar Gabriel zögert noch. Jetzt kam ja die Meldung vor wenigen Tagen, dass er ein weiteres Mal Vater wird. Was glauben Sie? Sie sagten schon, Sie wissen nicht und können nicht ganz nachvollziehen, warum er zögert. Was glauben Sie, welche Abwägung wird er da gerade treffen?
    Niedermayer: Na ja, er weiß natürlich, dass er in der Partei nicht unumstritten ist. Das heißt, er weiß deswegen auch, dass, wenn er Kandidat wird, er Schwierigkeiten haben wird, im Wahlkampf die Partei einig hinter sich zu bringen. Und er weiß, dass seine Werte bei der Bevölkerung, die Beurteilung durch die Bevölkerung, obwohl Frau Merkels Image gelitten hat, immer noch deutlich schlechter sind als die von Frau Merkel. Das heißt, die Ausgangsposition für ihn ist natürlich nicht optimal.
    "Schulz hat nicht per se bessere Chancen gegen Merkel"
    Heckmann: Das heißt, es könnte sein, dass er davon ausgeht, er hat einfach schlechtere Chancen bei der Bundestagswahl, und das könnte für ihn ein Argument sein zu sagen, nein, mit mir nicht?
    Niedermayer: Es könnte ein Argument sein für ihn. Andererseits muss man auch sagen, dass die wenigen Umfragen, die es jetzt gibt, die Schulz deutlich bessere Chancen zumessen, noch überhaupt nichts aussagen. Denn Schulz ist sehr, sehr vielen Leuten hier in Deutschland noch überhaupt nicht bekannt. Er ist Europapolitiker, hat sich die letzten 30 Jahre nicht in Deutschland politisch betätigt, sondern in Europa. Man weiß nicht, wo er innenpolitisch steht. Das heißt, das ist jetzt alles noch so unwägbar, dass man überhaupt nicht davon ausgehen kann, dass Martin Schulz jetzt per se bessere Chancen hätte gegen Frau Merkel.
    Heckmann: Martin Schulz ist beliebter, wenn auch weniger bekannt. Sie sagten es. Wenn Sigmar Gabriel jetzt doch sagen würde, ich greife nicht zu, hätte dann Martin Schulz das Zeug zum Kanzler aus Ihrer Sicht, oder zumindest zum Kanzlerkandidaten?
    Niedermayer: Ja er wird dann wohl so ziemlich der letzte sein, den die SPD aufbieten kann. Es ist ja noch Herr Scholz im Hintergrund, der Bürgermeister von Hamburg, aber bei dem kann ich mir es eigentlich auch nicht vorstellen, dass er dann so kurz vor der Wahl sich auf so etwas einlässt, denn er ist auch bundesweit nicht sehr bekannt und er hat einen schönen Job in Hamburg - das betont er ja auch immer - und hat den Hamburger Wählern versprochen, auch dabei zu bleiben. Also wird es dann wohl auf Martin Schulz zulaufen, was aber, wie gesagt, nicht von vornherein bedeutet, dass er große Chancen hat, mit der SPD dann tatsächlich die Union und Frau Merkel zu überrunden.
    "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die SPD stärkste Partei wird"
    Heckmann: Sie sagen es! - Jetzt mal unabhängig von der Frage, wer jetzt als Kanzlerkandidat der SPD zur Verfügung steht: Wie groß sind denn die Chancen für die SPD, das Kanzleramt zu erringen? Die meisten Beobachter gehen ja davon aus, dass die AfD in den Bundestag kommt und damit möglicherweise sechs Parteien im Bundestag vertreten sind. Am Ende reicht es möglicherweise wieder nur für eine Große Koalition. Und die CDU, die ist ja nun deutlich vor der SPD.
    Niedermayer: Das ist genau das Problem, was die SPD hat, denn die CDU hat längerfristige Vorteile. Es gibt mehr Leute, die längerfristig an die CDU gebunden sind oder an die Union als an die SPD, und deswegen kann die SPD nur vorne sein, die Union nur schlagen, wenn die beiden kurzfristigen Faktoren, die das Wahlverhalten bestimmen, nämlich die Orientierung der Leute gegenüber dem Spitzenpersonal und gegenüber den Inhalten im Wahlkampf, optimal stimmen. Jetzt wissen wir schon, dass beim Spitzenpersonal Frau Merkel die Nase vorn hat, und ich sehe auch jetzt kein inhaltliches Thema, was der SPD so stark helfen würde, was mit ihr so stark verbunden wird, auch mit ihrem Markenkern der sozialen Gerechtigkeit, dass sie jetzt plötzlich inhaltlich im Wahlkampf ganz nach vorne kommen könnte. Und wenn man das alles zusammennimmt und sich anschaut, dass sie immer noch so um die zehn Prozentpunkte hinter der Union liegt, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, dass sie bei der Bundestagswahl zur stärksten Partei wird.
    Heckmann: Immer öfter, Herr Niedermayer, hört man aus der SPD heraus, von den führenden Leuten auch, dass man bereit sei, grundsätzlich sich auf Rot-Rot-Grün einzulassen. Die CDU und die CSU, die freuen sich ja schon regelrecht auf einen Lagerwahlkampf, der da auf sie zukommen könnte. Wie faszinierend ist die Aussicht auf Rot-Rot-Grün für das eigene Wählerpotenzial beziehungsweise wie groß ist der Abschreckungseffekt?
    "Eine Rot-Rot-Grün-Strategie ist mit hohen Gefahren verbunden"
    Niedermayer: Das Problem ist, dass man das nicht wirklich genau abschätzen kann. Es ist auf der einen Seite so, dass der linke Flügel der Partei dies sehr stark will. Aber wir haben Widerstände in der Partei selbst. Wir haben Widerstände bei den Grünen gegen eine solche Koalition, denn ein Teil der Grünen will ja Schwarz-Grün. Und wir haben - das hat auch Frau Wagenknecht ja vor kurzem wieder sehr deutlich gemacht - auch in der Linkspartei Widerstände gegen Rot-Rot-Grün. Das heißt, von den Parteien her alleine schon ist es sehr, sehr schwierig, und wenn man sich dann die Wähler anschaut, dann ist immer noch ein Teil der Wähler gerade aus Westdeutschland prinzipiell gegen Einbeziehung der Linkspartei in eine Koalition auf der Bundesebene. Wie viele das sind, das hängt sehr stark davon ab, wie der Wahlkampf aussieht, und deswegen ist eine Rot-Rot-Grün-Strategie durchaus mit Gefahren verbunden, die relativ hoch sind.
    Heckmann: Letzte Frage, Herr Niedermayer. Die SPD sagt ja, wir beantworten die K-Frage im Januar. Man wolle den Inhalt mit der Person verknüpfen. Denken Sie, dass es dabei bleiben kann?
    Niedermayer: Ich glaube nicht. Ich glaube, dass der Druck jetzt so stark steigen wird, auch durch die Tatsache, dass Schulz jetzt in die Bundespolitik will, dass man diesen Fahrplan Ende Januar nicht halten kann. Ich sehe auch überhaupt nicht ein, warum man den einhalten sollte, denn was ist denn damit gewonnen. Das einzige ist, dass Gabriel, der ja dann das Sagen hat, weil er das Erstzugriffsrecht hat als Parteivorsitzender, immer mehr als Zögerlicher und als Mensch wahrgenommen wird, der nicht wirklich weiß was er will. Und das ist, denke ich, doch eher schlecht als gut, und insofern sollte er jetzt bald Farbe bekennen.
    Heckmann: Der Politikwissenschaftler Professor Oskar Niedermayer war das von der FU Berlin. Herr Niedermayer, schönen Dank für das Gespräch.
    Niedermayer: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.