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Die spezifische Qualität von Frauenliteratur

Die Überschrift "Frauen verstehen keinen Spaß" macht neugierig. Jedenfalls den männlichen Leser. Das Geschlechterthema ist ja überhaupt der rote Faden, der sich durch das Buch zieht, auch wenn Margit Schreiner oft genug betont, dass sie nicht zunächst als Frau gesehen werden wolle und schon gar keine "Frauenliteratur" schreibe, was auch immer das sein soll.

Von Martin Krumbholz | 30.07.2008
    Denn wenn man danach fragt, was die spezifische Qualität von Frauenliteratur sein könnte, abgesehen davon, dass sie eben von einer Frau geschrieben wurde, fallen einem wiederum nur Klischees ein, oder nicht einmal Klischees, sondern nur unhaltbare Unterstellungen: etwa die, Frauen (und also auch schreibende Frauen) interessierten sich besonders für die Liebe - oder mehr, als Männer dies tun. Richtig ist, dass Männer (und zumal schreibende Männer) sich in der Regel ebenso sehr für Liebe, Erotik und so weiter interessieren und infolgedessen auch seit jeher die entsprechenden Bücher geschrieben haben. Das eingangs zitierte Klischee über Frauen und die Freude am Spaß will Margit Schreiner natürlich entlarven, und so ist es kein Zufall, dass in ihrer Aufzählung der hervorstechenden Eigenschaften neuer weiblicher Literatur auch der Humor nicht fehlt, und zwar in Form der "Verdrehung aller Tatsachen, bis einem schwindelt." Die anderen Qualitäten sind Schreiner zufolge "Schamlosigkeit", "Neigung zu Autobiographie und Philosophie" und "Vermischung von Persönlichem und Abstraktem."

    Nun ist es so, dass Klischees in der Literatur noch unangenehmer auffallen als in anderen Lebensbereichen, und selbst wenn gewisse Beobachtungen über geschlechtstypische Eigenschaften im statistischen Durchschnitt stimmen mögen, treffen sie für Schriftsteller und Schriftstellerinnen wiederum nicht zu. Wenn Schreiner also festhält:

    Männer sind die größeren Verdränger, die größeren Spieler, die größeren Träumer. Frauen wären demnach pragmatischer, kälter, unmittelbarer, direkter, stabiler.

    So ist das eine Aussage, die vermutlich sogar viele Männer, wenn sie ehrlich sind, aus eigener Erfahrung bestätigen würden; doch für Literaten gilt sie am wenigsten. Jeder Autor muss über einen kalten Blick und eine Portion Pragmatismus verfügen, und jede Autorin muss auch eine Träumerin sein. Stereotype helfen also nicht viel weiter. Nun kann man Margit Schreiner nicht vorwerfen, dass ihre Rolle als Frau im Leben beziehungsweise als Frau im Literaturbetrieb sie sehr umtreibt, wenngleich sie damit ein weiteres Klischee zu bestätigen scheint: dass Frauen ihr Frausein stärker beschäftigt als Männer ihr Mannsein.

    Du kannst als Frau auch irgendwie schlecht einen Typen nach dem anderen aufs Kreuz legen wie etwa Henry Miller die Frauen, weil der Unterschied ist: Henry Miller ist ein Genie und du bist eine Schlampe. Okay.

    Thomas Bernhard hat keine Frauen aufs Kreuz gelegt, soweit bekannt, was ihn nicht davor schützen muss, weiblichen Lesern verdächtig zu sein; Margit Schreiner allerdings liebt und bewundert ihn, wie der Titelaufsatz belegt, der eben deshalb die Erwartungen enttäuscht: Statt einer ironischen oder auch polemischen Abrechnung eine zahme Liebeserklärung. Der Schlussfolgerung, Thomas Bernhard müsse sozusagen eine Schriftstellerin sein, weil eine Leserin ihn lieben kann, vermag unsereins nicht zu folgen. Anders herum sei es bei Ingeborg Bachmann: Ihre Haltung könne ausgesprochen männlich sein, meint Schreiner.

    Es ist eine analytische, logische Haltung, auch wenn sie - unter anderem - weibliche Gefühle beschreibt. Männlich = analytisch = logisch ist die magische Formel und sie gilt, behaupte ich, bis heute.

    Wenn die sogenannte Frauenliteratur sich dadurch auszeichnet, dass sie die Rolle der Frau als die eines Opfers beschreibt, gilt das für Bachmann nicht, durchaus aber für Jelinek und Streeruwitz; das könnte aber auch daran liegen, dass der politische Ehrgeiz der Bachmann geringer ausgeprägt ist als der der Jelinek oder der Streeruwitz. Man sollte also mit solchen Polarisierungen vorsichtiger sein, als Schreiner es gemeinhin ist, auch wenn in ihren Pointierungen sicher eine humoristisch gemeinte (also frauenspezifische) "Überdrehung" steckt.

    Über männliche Selbstbilder kann Margit Schreiner übrigens sehr bissig schreiben.

    Ist es nicht gerade der Mythos des Erotomanen, den die Männer selbst so gerne von sich verbreiten? Nur dass wir diesen Erotomanen persönlich fast nie begegnen!

    Und über "die Männer, die wir lieben" bemerkt die Autorin maliziös:

    Die Männer, die wir lieben, sind verheiratet. Und sie lassen sich nicht scheiden. Und zwar deshalb nicht, weil ihre Frauen sich nicht scheiden lassen.

    Besonders empathisch und anrührend schreibt sie über das Mysterium der Pubertät, wie hier unter der Überschrift "Es hat sich etwas sehr Eigenartiges getan":

    Im Schwimmbad laufen auf einmal männliche Wesen herum, die haben lange Haare und so traurige Augen, als ob sie darauf warteten, dass ein einfühlsames Mädchen sie anspricht. Oder ein Achtzehnjähriger lächelt plötzlich in der Straßenbahn. Auf einmal spricht sogar ein älterer Schulkollege in der großen Pause mit uns. Die Schwierigkeit ist nur, dass wir nach all den Jahren der absoluten Funkstille zwischen den Geschlechtern nicht die geringste Ahnung haben, worüber wir uns eigentlich unterhalten könnten.

    Schön ist auch Schreiners Liebeserklärung für eine klassische Pubertätslektüre, den Roman "Wenn die Mondwinden blühen" von Jetta Carleton - weil es, anders als bei Thomas Bernhard, eine riskante Liebeserklärung ist, denn es handelt sich hier um sogenannte Trivialliteratur. Problematisch wird es dann wiederum, wenn Schreiner diese Liebe akademisch zu begründen versucht (eine Liebe müsste man ja nicht begründen, schon gar nicht akademisch, aber sie tut es eben):

    Es war das erste Buch, das ich gelesen habe, das nicht auf dem Gedanken des Verzichts aufgebaut war. Es ist ja so, dass in sämtlichen Werken der Weltliteratur immer von Verzicht die Rede ist. Wird der Verzicht, besonders in der Liebe, nicht geleistet, kommt es zu großem Unglück. Besonders für Frauen. Die landen im Gefängnis (Gretchen im Faust), in Einsamkeit, Armut und schließlich im Tod (Effi Briest), in Armut und Selbstmord (Madame Bovary), im Gifttod als Folge einer nicht standesgemäßen Verbindung (Kabale und Liebe).

    Undsoweiter. Das klingt süffig, ist aber wieder ein bisschen kurz gedacht: Keiner der hier angesprochenen Weltliteraturproduzenten wäre je auf die Idee gekommen, den Verzicht auf das Glück zu propagieren. Sie zeigen vielmehr, um welchen Preis das Glück erkauft wird (meistens ohne dass die Heldinnen auch nur die Möglichkeit hätten, dies zu reflektieren); die Idee der Suche nach dem Glück, geradezu die zentrale Idee aller Literatur, ob männlich oder weiblich, bleibt dabei vollkommen unangetastet, und der "Verzicht" ist in keinem Fall eine nennenswerte Alternative.

    Alles in allem also ein sympathisches Buch mit einigen Widerhaken, das eher wenig mit Thomas Bernhard zu tun hat, dafür umso mehr mit Frauenliteratur, ohne dass wir nach der Lektüre genauer sagen könnten, was das nun eigentlich ist.

    Margit Schreiner: Schreibt Thomas Bernhard Frauenliteratur? Über Literatur, das Leben und andere Täuschungen. Schöffling & Co., 315 S., Euro 18,90.