Freitag, 19. April 2024

Archiv


Die Stadt der wilden Götter

Die Widmung verrät es: Auch dieses Buch für jüngere Leser ist von einem sehr persönlichen Zugang inspiriert.

Gregor Ziolkowski | 08.01.2003
    Die Idee zu diesem Buch entstand durch meine Enkel. Ich habe drei Enkel, von denen zwei bereits im Lesealter sind, und sie sind auch eifrige Leser. Sie sind daran gewöhnt, dass ich ihnen jeden Abend Geschichten erzähle, wenn sie ins Bett gehen. In dem Maß, wie sie älter werden, werden auch die Geschichten komplizierter, und manchmal bestehen sie darauf, die Geschichte von vor einer Woche noch einmal wortwörtlich erzählt zu bekommen, was natürlich unmöglich ist. Also baten sie mich, eine der Geschichten, die ich über den Amazonas erzählt hatte, aufzuschreiben. Und daraus ist nun dieses Buch von 350 Seiten geworden, was nicht weniger Arbeit gemacht hat als ein Roman für Erwachsene. Mit dem einzigen Unterschied, dass ich hier die erotischen Szenen auslassen musste, was ich sehr bedauert habe. Aber, davon abgesehen, war die Arbeit die gleiche.

    Freilich gab es einen weiteren und womöglich wichtigeren Inspirator, und allein die Vermarktung des Werkes verweist auf ihn.

    Das ist ein Jugendroman, der sich entsprechend an ein junges Publikum richtet. Aber auch Erwachsene haben ihn gelesen, und wie es aussieht, gefällt er einigen von ihnen. Und so war die Werbung für dieses Buch ganz darauf ausgerichtet, dass es für Leser aller Altersgruppen geeignet ist. Ich denke, man kann seit Harry Potter ein Phänomen nicht leugnen: Die Welt der Erwachsenen hat entdeckt, dass Kinder lesen, sobald man ihnen etwas gibt, das ihnen gefällt. Zuvor dachte man, Kinder seien ganz von Videos und von Bildern in Anspruch genommen, was eben nicht stimmt. Ich weiß von drei, vier Autoren in Amerika, die zuvor nur für Erwachsene geschrieben haben und die jetzt begonnen haben, für jüngere Leser zu schreiben. Ich denke, Harry Potter hat sehr viele Schriftsteller ermuntert, sich jüngeren Lesern zuzuwenden.

    Da ist die Katze eigentlich schon aus dem Sack: beflügelt vom Erfolg der Harry-Potter-Romane, hat auch Isabel Allende diese Art der Doppelstrategie verfolgt, ein abenteuerliches Buch zu verfassen, das zwar Jugendlichen zugedacht ist, von Erwachsenen aber ebenso zu lesen wäre. Eine Schreiberfahrung, die für die Autorin viel Neues bereithielt.

    Wenn ich einen Roman für Erwachsene schreibe, dann ist das, als würde ich in einen dunklen Raum treten. Und in dem Maß, wie ich mich täglich ans Schreiben mache, entstehen allmählich die Figuren und die Geschichte entfaltet sich. Und ich weiß erst einmal gar nicht, was eigentlich geschehen wird - weder mit den Figuren noch wann und wie die Geschichte zu Ende gehen wird. Bei einem Buch für junge Leser, einem Abenteuerroman, muss man das aber schon am Anfang gelöst haben. Man muss sehr genau wissen, wohin man will. In diesem Sinn ist das sogar deutlich schwieriger.

    Vielleicht sind es diese konstruktiven Erfordernisse gewesen, mit denen Isabel Allende nicht ganz fertiggeworden ist, jedenfalls sind die Fugen und Klebestellen in dieser aus Abenteuerroman, Öko-Thriller, Phantastik und Ethno-Mysterium zusammengesetzten Geschichte nicht zu übersehen, und wer so vieles zusammensetzen will, kommt auch nicht ohne Klischees aus. Aber Originalität ist ohnehin keine Größe, auf die die Autorin allzu sehr vertrauen würde.

    Ich glaube, es gibt nichts Originelles. Man schöpft doch aus allem: Wenn von einem Riesen die Rede ist, haben wir Geschichten aus unserer Kindheit im Kopf, und wenn es um den Mond geht, denken wir vielleicht an ein bestimmtes Gedicht. Allenfalls das Resultat, die Erzählung, die aus diesen Elementen entsteht, ist ein Original. In diesem Roman ist das nicht anders: von merkwürdigen Wesen, deren Skelette man gefunden hat, habe ich in "National Geographic" gelesen, am Amazonas war ich selbst zweimal, die Kinder Nadia und Alexander hatten in meinen Enkeln ihre Vorbilder - alles war schon da, wie Zutaten, nichts davon ist ein Original. Nur eben das Ergebnis, die Kombination dieser Elemente. Alle Bücher, die ich gelesen habe, alle Filme, die ich gesehen und alle Gespräche, die ich gehört habe, haben einen Einfluss, weil sie irgend etwas im Gedächtnis zurücklassen.

    Seit Harry Potter konzipiert man so etwas wohl immer gleich als Fortsetzungswerk. Auch Isabel Allende wird der "Stadt der wilden Götter" weitere Bände folgen lassen.

    Mir selbst und meinen Enkeln habe ich versprochen, dass dies eine Trilogie werden würde. Der zweite Teil ist fertig, er wird "Das Reich des Goldenen Drachen" heißen und mit denselben Figuren im Himalaya spielen. Und jetzt bin ich dabei, den dritten Teil zu konzipieren.

    Aus den halbwüchsigen Jugendlichen Nadia und Alexander werden dann fast schon Erwachsene geworden sein - endlich auch Raum also für erotische Szenen.