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Die Stadt mit dem kulinarischen Dreigestirn

Im italienischen Treviso kann man sich auf eine kulinarische Reise begeben, denn die Stadt legt viel Wert auf irdische Genüsse. Jede Jahreszeit hat eine andere Köstlichkeit zu bieten und die Stadt ein kulinarischen Dreigestirn, auf das sie stolz ist.

Von Manfred Schuchmann | 03.02.2013
    Treviso ist eine Stadt des Wassers. Im Süden nimmt der Sile seinen ruhigen Lauf durch die Ebene des Veneto und speist die Gräben des alten Befestigungsrings, von den Hügeln im Norden her eilt die Botteniga heran und fächert sich in mehrere Arme auf. Treviso ist mir schon immer wie ein Hörspiel vorgekommen: fast überall, wo man geht, rauscht und gurgelt es, tost und gluckert. Am Fischmarkt oder an der Brücke von San Francesco drehen sich mächtige Mühlräder. Dort treffe ich Luciana Zorzetto:

    "Das ist eine der wenigen Mühlen, die übrig geblieben sind von einmal über 7o, die früher entlang der vielen Wasserläufe gestanden haben. Wir sind hier im Viertel der Kanäle und des Fischmarktes, also genau dort, wo Treviso am schönsten ist. In diesen Mühlen wurde vor allem Getreide gemahlen und dann nach Venedig geschafft. Treviso diente der Versorgung der Republik Venedig, der Serenissima. Von den Mühlen gibt es nur noch wenige, aber die werden von den Besuchern der Stadt um so lieber fotografiert - das sind die klassischen Bilder von Treviso!"

    Luciana Zorzetto ist eine hochgewachsene, schlanke Frau mit dunklen Haaren und Zorzetto ein alter Name in Treviso. Luciana Zorzetto ist begeisterte Trevisanerin. Lokalpatriotismus ist eine hohe Tugend in Italien, auch wenn er hier oben im Veneto, in dem die rechtspopulistische Lega Nord eine ihrer Bastionen hat und noch immer den wirren Traum vom eigenen Staat Padanien träumt, leicht bizarre Züge annehmen kann. Luciana Zorzettos Blick ist davon ungetrübt, sie liebt ihre Stadt ganz einfach. Basta!

    "Der Laubengang, unter dem wir hier gerade entlang gehen, nennt sich "Il pórtico dei Buranelli" - nach dem Kanal, der direkt neben den Arkaden fließt. Das ist einer der bekanntesten Laubengänge von Treviso, die sich fast durch die ganze Altstadt ziehen. Wenn man durch das Zentrum schlendert, bleibt man im Herbst und Winter bei Regen immer schön im Trockenen, und im Sommer, wenn einem die Sonne zusetzt, ist man entlang der Kanäle im kühlen Schatten."

    Im frühen Mittelalter war die Stadt Verwaltungssitz der kaiserlichen Mark von Treviso. Den Titel hat man sich bis heute nicht nehmen lassen: la Marca di Treviso. Luciana Zorzetto redet lieber von der gioiosa Marca, der fröhlichen Mark - das treffe die Lebensart der Trevisaner viel besser, meint sie. Denn im Veneto, dem alten Hinterland der Lagunenstadt Venedig, legt man Wert auf irdische Genüsse: Jede Jahreszeit schenkt eine andere Köstlichkeit.

    "Im Winter wird auf dem Markt zum Beispiel Radicchio verkauft, der Radicchio von Treviso ist eines der herausragenden Produkte unserer Gegend. Der Radicchio ist fast ein Wahrzeichen der Mark von Treviso, der "Marca gioiosa", der fröhlichen Mark. Den Namen haben wir weg, weil wir nun mal ausgesprochen gerne gut essen und gut trinken. Also jetzt ist Radicchio-Zeit, und da trinken wir am liebsten einen Prosecco, der kommt von unseren Hügeln - aber Prosecco trinken wir eigentlich das ganze Jahr über. Ein gutes Essen endet bei uns dann immer mit einem Grappa, einem guten Destillat aus dem Trester von Prosecco. Das ist unsere Lebensart."

    Der Radicchio von Treviso ist tiefburgunderrot mit breiten, weißen Rippen, keine runde Kugel, sondern wie ein kunstvolle, längliche Blüte geformt, oben leicht geöffnet, im Geschmack bitter und süß zugleich. Es gibt so gut wie nichts, was die Trevisaner nicht aus ihrem Radicchio zaubern würden. Leicht anzubauen ist er nicht, im Gegenteil: ein anspruchsvolles Gewächs. Luciana Zorzetto und ich fahren ein paar Kilometer entlang des Sile, dort beginnen die Radicchio-Felder. Die der Brüder Giovanni und Gino Dotto, zum Beispiel.

    Auf dem Feld sieht der "Radicchio di Treviso" völlig anders aus als die rot-weiße Schönheit vorhin auf dem Markt: kniehohe Blätter in Grün und Rot, wie überlange Kaninchenohren. Zu viel Regen mag der Radicchio ganz und gar nicht, und Gino Dotto kann dann auch nicht mit dem Traktor auf den Acker. Alles muss von Hand gehen, Schwerstarbeit.

    "Sehr schwere Arbeit, man braucht ein starkes Kreuz! Den Nachmittag über musst du dich 2ooo mal bücken, ein ums andermal. Man fängt am Nachmittag an, weil der Radicchio in der Frühe noch schwer vom Tau ist. Und wenn das Herz des Radicchio noch gefroren ist, macht man ihn ganz leicht kaputt. Bei Frost zu ernten ist nicht ganz ungefährlich."
    Die langen Kaninchenohren werden sofort entfernt: Bis Gino Dottos Radicchio in die Halle kommt, hat er schon die Hälfte seiner Blätter verloren. Jetzt wird er mit seiner Wurzel in ein großes Wasserbecken gesteckt.

    "In diesen Becken ist reines Trinkwasser, das wir aus unseren Brunnen fördern. Der Radicchio bleibt ungefähr 15, 2o Tage im Wasser, das hängt davon ab, welche Temperaturen es draußen hat. So reift der Radicchio aus und kriegt seine natürlichen Farben, den Kontrast von Rot und Weiß! Da hinten, das ist mein Vater, der arbeitet noch mit, Jahrgang 1929, er hat sein Leben mit dem Radicchio verbracht, der Großvater genauso - wir sind halt echte Trevisaner, mit Gütesiegel!"

    Wenn die Radicchioernte Anfang November beginnt, sind die Prosecco-Trauben im Norden der Provinz Treviso längst gelesen und gekeltert, Prosecco muss jung ins Glas. Die Fahrt auf der "Strada del Prosecco" mache ich alleine. Es ist die schönste Strecke in der "gioiosa Marca", durch die Dörfer zwischen Valdobbiadene und Conegliano. Aus den Weinbergen steigt hier und da blauer Rauch auf, die Winzer schneiden und verbrennen die Reben. Kleine Parzellen, steiles Gelände, der Blick geht über wogende Hügel und verliert sich im Dunst der Ebene.

    Ich lege Mozart auf, denn ich bin auf dem Weg zu einer Grappa-Brennerei, die einen berühmten Namen trägt: da Ponte. Zu den Vorfahren gehört ein gewisser Lorenzo da Ponte - ja: genau der, der das Libretto zu "Figaros Hochzeit" geschrieben hat, zur "Zauberflöte" und zum "Don Giovanni". Auch Lorenzo da Ponte war ein Mann der "gioiosa Marca" von Treviso.

    Sobald in den Weinbergen der Prosecco gelesen ist, beginnt in der Brennerei die Hochsaison: Grappa wird aus Trester gebrannt, den ausgepressten Trauben. Graziano Freschet ist der Önologe der Distilleria Andrea da Ponte. Graziano Freschet:

    "In der Provinz Treviso werden rund 4o Prozent des Grappas in ganz Italien gebrannt. Im Wesentlichen sind es drei große Brennereien wie unsere, dann noch drei kleinere. Zusammen also sechs."

    Wenn man ein paar Kleinst-Destillen außer Betracht lässt. Graziano Freschet wirft einen schnellen Blick auf die Instrumente: Temperatur, Druck, Alkoholgrad - alles im grünen Bereich. In den riesigen Brennkolonnen zischt und blubbert es jetzt 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche: 4oo.ooo Flaschen Grappa wollen destilliert sein!

    Grappa ist nicht nur ein hochprozentiges Getränk, der Nationalschnaps des Veneto - er ist ein Stück regionaler Identität: Radicchio, Prosecco, Grappa, das ist das kulinarische Dreigestirn der fröhlichen Mark Treviso!

    "Für jemandem aus dem Veneto, ist Grappa mehr als nur Schnaps, er ist ein Stück der Kultur unserer Vorväter. Grappa hat uns geholfen, mit der Winterkälte zurechtzukommen, er hat uns Kalorien und Energie gegeben. Früher hat er eine große Rolle in der Volksmedizin gespielt, er wurde mit Heilkräutern angesetzt, auch zur Desinfektion. Und ich erinnere mich, als ich klein war, wurde noch mit Grappa massiert, das half gegen Schmerzen und Rheuma."

    Zurück in Treviso, es ist Abend geworden. Die besten, die hübschesten Lokale verstecken sich in den Gassen der Altstadt. Heute vielleicht das "Antica Torre da Reis": dort isst und trinkt man, umgeben von Italiens gemalter Nachkriegsmoderne. Signor Reis, ein kleiner, feiner, grauhaariger Herr, dem man seine 8o Jahre nicht ansieht, ist ein begeisterter Sammler. Er hat viele Künstler verköstigt, sie haben sich mit einer Zeichnung, einem Gemälde bedankt. Renato Guttuso war hier zu Gast und auf der Durchreise auch der Österreicher Oskar Kokoschka.

    "Also, als Vorspeise: sautierte Jakobsmuscheln auf einem Radicchio-Bett; dann Risotto mit Radicchio und Scampi; als Hauptgericht Rotbarschfilet mit Radicchio; und als Dessert haben wir eine Radicchio-Torte."

    So findet denn zusammen, was zusammengehört: Prosecco, Radicchio und nach all diesen Gängen ein famoser Grappa zum Abschluss. Das Leben kann so gut sein in der fröhlichen Mark von Treviso.