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"Die Stammzellforschung geht über vertretbare Grenzen hinaus"

Forscher haben erstmals künstlich hergestellte embryonale Stammzellen geklont. Ein Meilenstein zur Heilung schwerer Krankheiten oder ethisches Tabu? Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der evangelischen Kirche, warnt davor, embryonale Zellen als "Sache" zu betrachten - der Mensch dürfe nicht "verdinglicht" werden.

Das Gespräch führte Dirk-Oliver Heckmann | 17.05.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Die meisten überregionalen Blätter erschienen gestern mit Überschriften wie "menschlicher Embryo geklont" und widmeten dem Thema gleich mehrere Seiten. Auch der Wochenzeitung "Die Zeit" war das Thema der Aufmacher wert, und das hat seinen Grund. Nachdem sich vor rund zehn Jahren die Behauptung eines Wissenschaftlers aus Südkorea, einen menschlichen Embryo geklärt zu haben, als Fälschung herausstellte, ist einem amerikanischen Wissenschaftler nun etwas Ähnliches gelungen, das Klonen von künstlich hergestellten embryonalen Stammzellen. Seither läuft eine heftige Debatte über Sinn oder Unsinn solcher Versuche und vor allem über deren ethische Verantwortbarkeit.

    Ich habe vor dieser Sendung Nikolaus Schneider gefragt, den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, was ihm die Heilung eines schwerkranken oder gar todgeweihten Patienten wert ist.

    Nikolaus Schneider: Eine solche Heilung ist ein ganz hohes Gut und wir sind als Menschen verpflichtet, alle vertretbaren Formen von Forschung, aber auch Therapie einzusetzen, um solchen Menschen zu helfen.

    Heckmann: Und die Stammzellforschung, die ist aus Ihrer Sicht des Teufels?

    Schneider: Die Stammzellforschung geht über vertretbare Grenzen hinaus, weil es sich um embryonale Stammzellen des Menschen handelt, und hier sind wir einfach gebunden, weil wir sagen, Menschen, auch embryonale Stammzellen eines Menschen dürfen nicht verdinglicht werden, dürfen nicht Mittel zum Zweck werden.

    Heckmann: Die amerikanischen Forscher aus Oregon, Herr Schneider, die würden sagen, die Methoden, die da angewendet worden sind, bewegen sich noch innerhalb der vertretbaren Grenzen, denn das Ziel sei ja eben nicht das Reproduzieren von Menschen, sondern die Therapie von Krankheiten.

    Schneider: Ja. Hier kann man wirklich nur sagen, das Ziel heiligt nicht die Mittel. Das ist auch ein alter Satz, der sowohl in der philosophischen Ethik, wie in der theologischen Ethik unbestritten ist. Die Frage bleibt: Wie ist es mit menschlichen embryonalen Stammzellen, dürfen die wie eine Sache betrachtet werden, ja oder nein. Und hier ist unsere Position ganz klar: Sie dürfen nicht wie eine Sache behandelt werden.

    Heckmann: Weshalb nicht?

    Schneider: ... , weil es sich auf den Menschen bezieht und der Mensch ist Geschöpf Gottes und er ist nach Immanuel Kant – da geht es um die andere Seite der philosophischen Ethik – zu benennen. Er darf nach Immanuel Kant nie zu einem Mittel werden.

    Heckmann: Aber diese Embryonen, die sind ja künstlich hergestellt worden, nämlich aus einer weiblichen Eizelle und dem Kern einer menschlichen Hautzelle. Das heißt, es geht nicht um eine Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Macht das für Sie keinen Unterschied?

    Schneider: Nein, das macht für mich keinen Unterschied. Hier wird im sensibelsten Bereich menschlicher Existenz, nämlich da, wo es um die grundlegenden genetischen Voraussetzungen menschlichen Lebens geht, hier wird manipuliert, und das ist ein Punkt, den wir ablehnen, den wir, finde ich, aus ethischen Gründen ganz deutlich ablehnen müssen.

    Heckmann: Die künstliche Befruchtung, Herr Schneider, die ist ja erlaubt. Weshalb ist es ethisch, Leben zu schaffen, aber nicht Leben zu retten?

    Schneider: Schon die künstliche Befruchtung macht ja Probleme wegen der sogenannten überzelligen Embryonen. Auch das ist schon ein Riesenproblem. Hier ist es ja so, dass die Forschung sich bemüht hat, diesem Problem Herr zu werden. Aber hier geht es ja denn darum, dass bei der künstlichen Befruchtung dann ein menschliches Leben im Mutterleib heranwachsen kann, und das ist eine völlig andere Dimension, als dieses künstlich geschaffene Leben zu benutzen, um zu entkernen, woanders hinzupflanzen und dabei eben auch das Absterben in Kauf zu nehmen.

    Heckmann: ... , um schließlich Leben zu retten.

    Schneider: Ja. Aber das ist halt ein Interessenkonflikt, der dann nicht aufzulösen ist, denn die Folgen sind andere. Die Folgen beim einen sind das Heranwachsen eines menschlichen Lebens im Mutterleib, sodass dann auch ein individueller Mensch geboren wird, und bei dem anderen ist es die Verzwecklichung, um anderes zu schaffen, sei es Zellmaterial oder anderes, und das geht nicht.

    Heckmann: Herr Schneider, mit der Veröffentlichung solcher Meldungen, da verbinden sich ja auch Heilungserwartungen für viele Menschen, die schwer krank sind.

    Schneider: Ja.

    Heckmann: Heilungserwartungen, die oft ja gar nicht eingehalten werden können. Ist das nicht auch ein ethisches Problem?

    Schneider: Das ist ein weiteres Argument, das ich auch heranziehen möchte. Die Vorhersage, dass so was möglich wird, und das Eintreten dieser Möglichkeiten ist ja nun wirklich zweierlei und manches wird einfach auch nur versprochen, was dann gar nicht zu realisieren ist. Außerdem gibt es unübersehbare Folgen eines solchen Verhaltens. Wie das funktioniert und was daraus wird, weiß ja noch kein Mensch. Aber all das sind im Grunde abgeleitete Argumente. Das Grundargument ist wirklich: Menschen nicht verdinglichen.

    Heckmann: Jetzt wurde gestern verschiedentlich gefordert ein weltweites Verbot des reproduktiven Klonens. Wenn das allerdings durchsetzbar wäre, dann hätten wir das ja eigentlich schon längst. Was ist denn, wenn das nicht kommt und wenn Teile der Welt das eben anders sieht und eine andere Abwägung trifft? Muss man das dann nicht akzeptieren?

    Schneider: Wir werden natürlich nicht mit Zwang und Gewalt unsere Position durchsetzen können, sondern wir können nur dafür werben und wir können auch dann nur dafür werben, dass die Weltgemeinschaft sich insgesamt darauf verständigt, diese Formen des Klonierens nicht weiter zu betreiben. Einem solchen Konsens waren wir ja schon einmal sehr nahe. Wenn aber Einzelne ausscheren, dann wird man sie nicht daran hindern können. Das ist dann nun leider so. Das gilt ja für viele andere Dinge, die dann auch mit Konsequenzen verbunden sind, die wir völlig ablehnen.

    Heckmann: Das heißt, es kann schon sein, dass in Zukunft klonierte Menschen durch die Gegend laufen?

    Schneider: Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen.

    Heckmann: Und was ist damit verbunden?

    Schneider: Damit ist verbunden, dass in einem tiefsten Sinne, na ja, so dieses Frankenstein-Syndrom dann entsteht, mit all dem, was in den entsprechenden Filmen oder Romanen dann auch beschrieben ist. Hier maßt der Mensch sich eine Position an, die nicht seine ist.

    Heckmann: Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, war das hier im Deutschlandfunk. Herr Schneider, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch.

    Schneider: Sehr gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.