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Die Stasi im DDR-Sport

Die Liste der hauptamtlichen und inoffiziellen Stasi-Mitarbeiter, die in den vergangenen 20 Jahren öffentlich verhandelt wurden, ist ellenlang. Die Taten und der Grad der Verstrickung jedoch sind ganz unterschiedlich.

Von Jens Weinreich | 26.09.2010
    Am Ende haben sogar seine Genossen über ihn gelacht. Über die unbeholfenen Versuche des Stasi-Chefs Erich Mielke, sich im November 1989 vor der DDR-Volkskammer zu erklären:

    ""Ich liebe doch alle. Alle Menschen. Also ich liebe doch. Ich setze mich doch dafür ein ...”"

    Das hier ein Schwerkrimineller zur Witzfigur wurde, sollte den Blick auf das Wirken der Stasi nicht vernebeln. Bis heute hört man immer wieder, es sei übertrieben und ungerecht, den DDR-Hochleistungssport nur auf Stasi und Doping zu reduzieren. Nun, es mag Nischen gegeben haben, selbst im Hochsicherheitstrakt, den der Sport darstellte, wo sich mehr als 3000 Spitzel oft gegenseitig überwachten, was etwa in der Kabine des Fußballvereins Dynamo Dresden absurde Blüten trieb. Sollte es also tatsächlich Nischen gegeben haben, dann waren dies die Ausnahmen von der Regel. Wer das Wirken der Stasi-Krake im DDR-Sport leugnet und schön redet, der verfälscht Geschichte.

    Die Perversionen sind in Standardwerken beschrieben: "Die Stasi und das runde Leder" von Hanns Leske, "Sicherheitsvorgang Sport” von Giselher Spitzer oder in der Broschüre "Staatsplan Sieg” von Thomas Purschke. Dazu gibt es einige beeindruckende Biografien von Sportlern, deren Karrieren die Stasi zerstört hat: etwa der Radsportler Wolfgang Lötzsch und der Handballer Wolfgang Böhme.

    Kurz gefasst hatte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) die Sportpolitik der SED durchzusetzen. Verantwortlich dafür war die Hauptabteilung XX/3. Zu den Kernaufgaben zählten:

    - Die Geheimhaltung und zu großen Teilen auch die Organisation des Dopingsystems

    - Die Stasi wollte die Flucht von prominenten Sportlern und sogenannten Geheimnisträgern verhindern

    - Bei internationalen Sportbegegnungen in der DDR strebte man absolute Kontrolle an und wollte jegliche Kontakte zwischen DDR-Bürgern und Gästen aus dem Westen unterbinden

    - Die Stasi hat auch versucht, internationale Sport-Spionage zu betreiben.

    Die Sportvereinigung (SV) Dynamo des Stasi-Chefs Erich Mielke war der größte Verband unter dem Dach des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) und produzierte also selbst Medaillen - mit den Aushängeschildern SC Dynamo Berlin, den Fußballklubs BFC Dynamo und Dynamo Dresden, der SG Dynamo Zinnwald und etlichen mehr.

    SED-Politbüromitglied Mielke war somit stets auch ein Gegenspieler des langjährigen DTSB- und NOK-Präsidenten Manfred Ewald, Mitglied des SED-Zentralkomitees. Beide waren Überzeugungstäter – sie kämpften aber auch gegeneinander. Die Rivalität trieb absurde Blüten: Als Ewald & Co. einige olympische Sportarten als nicht-förderungswürdig einstuften, leistete sich Mielke halt die kleinste Eishockeyliga der Welt mit Dynamo Berlin und Dynamo Weißwasser. Ende der 80er-Jahre, als dem DTSB schon fast das Geld ausgegangen war, befahl Mielke den Bau ultrateure Sportanlagen für Dynamo-Sportler: Errichtet wurden die Eislaufbahn in Berlin-Hohenschönhausen und der Bob- und Rodelbahn in Altenberg.

    Eishockey und Eisschnelllauf in Berlin, Kufensport in Altenberg – es mag politisch nicht korrekt klingen, doch wenn man so will profitiert der deutsche Sport bis heute vom Vermächtnis des Erich Mielke.

    Strukturen sind das eine, Schicksale das andere. Geschichten erzählen Geschichte. Die Stasi hat Karrieren beendet, Menschen gebrochen, auch Sportler landeten im Gefängnis, viele nahmen Schaden an Leib und Seele. Der Fußballer Lutz Eigendorf, der "Sportverräter”, der "Republikflüchtling”, wie es im Jargon hieß, wurde höchstwahrscheinlich ermordet.

    Eine Aufarbeitung der Stasi-Problematik hat es im deutschen Sport nie gegeben, sondern meist nur verlogene, verdruckste Vertuschungsaktionen – auch in diversen Kommissionen -, wenn in den Medien mal wieder ein inoffizieller oder hauptamtlicher Mitarbeiter enttarnt wurde.

    Die Parallelen zum Dopingthema sind evident.

    Und vor allem: Bis heute stehen Täter von einst in Lohn und Brot. Sie gehörten gesamtdeutschen Olympiamannschaften an, die zwar überprüft wurden, doch sehr zögerlich, nur unter öffentlichem Druck. Oder sie arbeiten als Ehrenamtler – wie etwa unter dem großen Dach des DFB und seines Nordostdeutschen Fußballverbandes einige jener Stasi-Schiedsrichter, die einst dabei halfen, Erich Mielkes BFC Dynamo zum DDR-Serienmeister zu machen.

    Das Verständnis für Stasi-Mitarbeiter, die bei Enttarnung stets beteuern, "niemandem geschadet zu haben”, war und ist in der Sportfamilie groß – vor allem, wenn es sich um Sportler und Trainer handelt, die Medaillen, Siege und Tore garantieren.

    Den Opfern aber – und das ist eine weitere Parallele zur Doping-Problematik – wird bis heute fast jede Form der Anerkennung verwehrt. Sie sind Fremdkörper in einem System, das vor allem auf lokaler und regionaler Ebene - ob nun im Thüringer Wintersport oder in Sachsen-Anhalt - auf ehemalige Stasi-Mitarbeiter baut. Gerade in diesen unteren Bereichen des Sportsystems – in Landesverbänden, Landessportbünden, Olympiastützpunkten und den Quasi-Tochtergesellschaften – wurde kaum auf Stasi-Mitarbeit überprüft. Gerade dort treibt der Geist der Zersetzung noch immer sein Unwesen. Strukturen wirken noch. Opfer und Aufklärer werden gemieden, angefeindet und bedroht.

    Die Sprachlosigkeit, diese tiefen Gräben hat Hans-Georg Aschenbach unlängst bei einer Veranstaltung der "Bundestiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur” beschrieben. Sicher, Skisprung-Olympiasieger Aschenbach war als Oberstleutnant der NVA und Militärarzt weder Opfer noch Regimegegner – aber er hat die DDR verlassen und damit viel riskiert. Seine Erfahrungen dürfen durchaus als allgemeine Lagebeschreibung gelten:

    ""Man kommt einfach nicht mehr ins Gespräch. Es ist irgendwie noch ein System dazwischen, was einfach unüberbrückbar ist. Es ist halt so. Alle sind reserviert, keiner geht auf den anderen zu. Und dann bleibt's eigentlich immer unausgesprochen und nie diskutiert und nie bereinigt. So hab ich's zumindest erlebt. Auch mit Bekannten und Freunden. Nach so vielen Jahren bist Du eigentlich immer noch der, wie es so dagestanden ist. Es gibt keine Rehabilitation über die Jahre, das gibt es einfach nicht. Weil: Du bist gegangen und die Situation steht. Es hat nie eine andere Situation gegeben, zwischen den beiden. Das ist für mich ganz schwierig, auch zu Hause bei mir im Ort, da könnte ich sagen: Der halbe Ort ist für mich, der Rest ist gegen mich. Ja, was soll ich jetzt machen? Ich gehe trotzdem nach Hause. Und ich grüße alle ganz arg freundlich. Es wächst dann irgendwo. Es wächst dann.”"

    Aufarbeitung? Fehlanzeige. Wie sich bei jedem neuen oder jedem aufgewärmten Stasi-Fall bestätigt. Es wächst immer noch. Auch 21 Jahre nach dem Abtritt von Erich Mielke.

    ""Ich liebe doch alle. Alle Menschen. Also ich liebe doch. Ich setze mich doch dafür ein ...”"