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"Die Stimmung ist nach wie vor nervös"

Die norwegische Polizei reagiere massiv auf jede noch so kleine Spur, so Deutschlandfunk-Korrespondent Tim Krohn in Oslo. Der norwegische Geheimdienst sehe keine konkreten Hinweise auf Verbindungen des Attentäters zu Hintermännern oder Zellen, so Krohn weiter.

Tim Krohn im Gespräch mti Silvia Engels | 27.07.2011
    Silvia Engels:Am fünften Tag nach dem Doppelanschlag von Oslo herrscht Nervosität in Norwegen: In der Nacht fanden die Ermittler Sprengstoff auf dem Bauernhof des geständigen Attentäters und sprengten ihn kontrolliert in die Luft. Daneben geht Sorge um, Sorge vor möglichen Nachahmungstätern. Unser Korrespondent Tim Krohn ist uns zugeschaltet. Beginnen wir mit den jüngsten Entwicklungen: Das norwegische Fernsehen hat am Morgen berichtet, die Polizei sorge sich vor einem tendenziell gefährlichen Mann, nach dem laufe auch eine Fahndung. Wie hat sich diese Meldung entwickelt?

    Tim Krohn: Ja, die Polizei gab prompt ein Fahndungsfoto heraus. Der Hintergrund war: Dieser Mann hatte auf einer Wache randaliert und dabei wohl gesagt, dass er den Attentäter Anders Behring Breivik bewundern würde, ja, und diese Eilmeldung ging dann prompt ja um die halbe Welt: Dieser Mann sei gefährlich, stand da drin. Jetzt aber plötzlich der Rückzieher: Nein, das ganze sei ein Irrtum. Das ist der Polizei wirklich ziemlich peinlich. Der Mann ist krank, das ja, das stimmt, aber eine Gefahr für andere Leute besteht nicht. Ich glaube, diese Meldung macht schon recht deutlich, wie nervös, wie angespannt die Lage ist nach wie vor, hier am Tag fünf nach den Anschlägen in Oslo.

    Engels:Das heißt: Das ist keine Fahndung, die derzeit ausgeschrieben wird?

    Krohn: Natürlich: Man sucht nach diesem Mann, er war am Montag aus der Polizei, aus dem Gefängnis und dem Untersuchungsgefängnis wieder entlassen worden. Man macht sich ein bisschen Sorgen, weil das offenbar ein wirklich, ich sage es mal etwas flapsig, ziemlich durchgeknallter Typ ist, aber der tut in dem Sinne keinem weh oder ist nicht gefährlich, so wie das klang in diesen Meldungen. Da ist wohl irgendeinem Polizisten die Nerven durchgebrannt oder irgendeinem Polizeisprecher, und so entwickeln sich dann Meldungen und man denkt schon, huch, da sei jetzt ein Komplize unterwegs - all dem ist nicht so, das Ganze hatte mit dem anderen wohl wirklich nichts zu tun.

    Engels:Stichwort Nervosität: Auch der Hauptbahnhof von Oslo ist am Vormittag zwischenzeitlich wieder teilweise evakuiert worden. Vor welchem Hintergrund geschah das?

    Krohn: Dort hatte man einen herrenlosen Koffer gefunden, da hatte ein unbekannter Mann, so wurde es geschildert, diesen Koffer abgestellt, und der war dann spurlos verschwunden, dieser Mann. Inzwischen gibt es aber auch hier die Entwarnung: Das Gepäckstück war harmlos, das Ganze offenbar nur ein Missverständnis. Die Polizei reagiert - und das sieht man hieran sehr deutlich - immer noch massiv auf jede noch so kleine Spur, auf jeden noch so kleinen Hinweis. Es ist schwer für die Norweger, da zum Alltag zurückzukehren. Gerade dieser Hauptbahnhof war ja nun schon oft von Sperrungen betroffen. Man versucht es irgendwie, wieder zur Arbeit zu gehen, normal seinem Leben nachzugehen, und dann immer wieder so was: Sperrungen und nervöse Meldungen, Eilmeldungen, die auch im Fernsehen sofort als Laufband eingeblendet werden - also die Stimmung ist nach wie vor sehr nervös.

    Engels:Dann betrachten wir den Stand der Ermittlungen rund um den geständigen Attentäter selbst. Was geschah denn da in der Nacht rund um diesen Bauernhof des Attentäters?

    Krohn: Es wurde noch mal nachgeguckt, was und wie viel da an Sprengstoff liegt, und es wurde auch was gefunden. Die Polizei hat bisher nicht gesagt, welche Art von Sprengstoff das war. Viel davon wurde gleich in die Luft gejagt vor Ort, und zwar aus dem Grund, weil man das nicht hat transportieren können. Man hatte ein bisschen Sorgen, dass das unterwegs in die Luft geht. Man hat also vor Ort auf diesem Bauernhof eine Sprengung vorgenommen. Übrigens gab es auch da eine kleine Polizeipanne, die ein bisschen peinlich ist: Man hatte nämlich vergessen, den Nachbarn Bescheid zu sagen, also auch die haben einen gehörigen Schrecken bekommen, als es plötzlich knallte - aber das nur am Rande. Die Polizei sagt nicht genau, ob es dort neue Spuren gegeben hat, da wissen wir nichts genaues. Der Geheimdienst selber hat sich heute noch mal geäußert beziehungsweise deren Chefin Janne Christiansen, die hat gesagt: Wir gehen allen Spuren nach. Es gibt aber bislang keine konkreten Hinweise auf irgendwelche Hintermänner oder Mittäter, es gibt auch keine Hinweise auf Verbindungen des Attentäters zu irgendwelchen Zellen von Gleichgesinnten irgendwo in Europa. Man geht diesen Spuren trotz alledem aber weiter nach.

    Engels:Wie steht es um den Attentäter selbst, den geständigen Attentäter Anders Behring Breivik? Wie wird nun seine nächste Zeit aussehen?

    Krohn: Der Mann sitzt nach Medienberichten in einer Sieben-Quadratmeter-Zelle, er sitzt acht Wochen in Untersuchungshaft, die ersten Wochen in absoluter Isolation. Die Polizei beobachtet ihn 24 Stunden lang, man will genau wissen, was er da eigentlich tut. Und in den ganzen Vernehmungen scheint er auch so ein bisschen Katz und Maus zu spielen mit den Beamten, er stellte angeblich Forderungen, teilweise welche, die man unmöglich erfüllen kann, das heißt, auch die Gespräche - so redselig der Mann auch immer ist -, die Gespräche gestalten sich offenbar äußerst, äußerst schwierig mit ihm.

    Engels:Unser Korrespondent Tim Krohn, vielen Dank für die aktuellen Informationen aus Oslo!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.