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Die Stunde Null Libyens

Welche Rolle wird der Nationale Übergangsrat haben, welche das Volk selbst und in wie weit werden die Kräfte des Westens sich einbringen. Peter Philipp auf der Suche nach Antworten.

Von Peter Philipp | 22.08.2011
    Der heute 66-jährige Abdessalam Jalloud war einst ein enger Weggefährte von Muamer al Gaddafi: Zusammen stürzten sie den damaligen König, und jahrelang bildeten beide die Spitze des Staates. Wobei Jalloud Gaddafi kaum an Radikalität nachstand. Nach seiner Zeit als Ministerpräsident fiel er in den neunziger Jahren aber in Ungnade und stand lange unter Hausarrest. Erst jetzt macht er wieder von sich reden: Vor einigen Tagen verließ er Libyen und rief - in einem Interview mit dem qatarischen Fernsehsender "Al Jazeera" - andere führende Libyer auf, seinem Beispiel zu folgen:

    "Ihr müsst die letzten Stunden und Minuten nutzen und vom Schiff des Betrugs und der Tyrannei auf das Schiff des Volkes umzusteigen. Es bleiben euch nur noch Augenblicke oder Stunden dafür, denn der entscheidende Moment ist gekommen, so Gott will ... "

    Jallouds Worte sollten sich sehr rasch als wahr erweisen: Gerade einmal zwei Tage später übernahmen die Rebellen den größten Teil der libyschen Hauptstadt Tripolis, zwei Gaddafi-Söhne wurden festgenommen, nur von ihrem Vater fehlt bisher jede Spur. Das Ende der 42 Jahre langen Gaddafi Ära ist gekommen. Und damit natürlich auch der Beginn einer internen Neu-Ordnung und Neu-Verteilung der Macht. Wobei vorläufig alles offen scheint. Denn zu wenig ist letztlich von dem aus Bengasi operierenden "Nationalen Übergangsrat" bekannt, um zuverlässig einschätzen zu können, ob und wie dieser bereit und in der Lage sein wird, Libyen einen friedlichen Übergang von einem totalitären Regime zu einer wenigstens einigermaßen freiheitlichen Demokratie zu ermöglichen.

    Die Frage ist natürlich auch, in wie weit der Übergangsrat für diesen politischen Prozess auf die Hilfe des Auslandes angewiesen sein wird. Der Chef des Rates, Mustafa Mohamed Abdel Jalili, ließ bereits wissen, die Aufgabe der NATO sei jetzt erfüllt und man werde nun ohne fremde Hilfe auskommen. Eine mutige und sicher übertriebene Einschätzung, wenn man bedenkt, dass es den Rebellen ohne die massive militärische Hilfe der NATO nie gelungen wäre, bis nach Tripolis vorzudringen: Die Flugzeuge des nordatlantischen Bündnisses bombten ihnen den Weg in die Machtzentrale Gaddafis frei und es ist kaum anzunehmen, dass die Staaten, die diesen monatelangen Krieg unterstützten - in erster Linie Frankreich und Großbritannien, aber auch die USA - nun tatenlos zusehen werden, wie sich der Machtwechsel in Libyen vollzieht.

    Falls sich die Aufständischen also einbilden sollten, dass sie künftig eine unabhängige und vielleicht sogar der NATO zuwider laufende Politik verfolgen können, dann dürften sie sich in diesem Punkt täuschen. Der NATO-Einsatz kam weniger aus Mitleid gegenüber der unterdrückten Bevölkerung in Libyen zustande, sondern vielmehr aus handfesten wirtschaftlichen und strategischen Überlegungen, bei denen die eigenen Interessen im Vordergrund standen. Vor allem die Energieversorgung aus Libyen, aber auch die Frage der illegalen Einwanderung aus Schwarzafrika nach Europa. Und natürlich die Möglichkeiten ausländischer Investitionen in Libyen, das zwar eine überwiegend arme Bevölkerung, aber dafür um so reichere Öl- und Gasvorkommen besitzt.

    Auch auf Seiten der Rebellen standen die eigene Interessen stets im Vordergrund: Diese wussten nur zu gut, dass sie ohne fremde Hilfe ihr Ziel wohl nie erreichen würden. Und wenn aus der Arabischen Welt nur eben die Vereinigten Arabischen Emirate bereit waren zu helfen, so nahm man die Hilfe aus Europa gerne an. Selbst wenn sie aus Ländern kam, die man bisher als ehemalige Kolonialmächte doch eher abgelehnt hatte.

    Abdel-Fattah Yunis war Innenminister unter Gaddafi und lief schon bald nach Beginn der Revolte zu den Rebellen über, bei denen er lange die prominenteste Figur abgab. Yunis ist inzwischen auf mysteriöse Weise - offenbar von islamistischen Rebellen - ermordet worden, er sprach aber durchaus im Namen des Übergangsrates, als er im März in einem Interview überschwängliches Lob an Franzosen und Engländer austeilte:

    ""Wir werden nie vergessen, welche Haltung Großbritannien und Frankreich eingenommen haben. Die Position Deutschlands ist bedauerlich; Merkel sagt, dass bestimmte Bedingungen für eine Flugverbotszone vorherrschen sollen oder dass das überhaupt nicht nötig sei. Manche Länder sind der Situation nicht gewachsen. So habe ich auch ein Problem mit den USA. Wenn man Clintons Erklärungen hört, dann könnte man meinen, sie arbeitet für Gaddafi, als seine Sekretärin oder so was. Obama sagt etwas aber seine Außenministerin, die ja die Fäden in der Hand hat, sagt etwas anderes. Das ist schon merkwürdig"."

    Wie sich unter der neuen Gemengelage allerdings die Beziehungen zwischen dem Übergangsrat und dem Ausland entwickeln wird, kann man im Moment nur erahnen. Dabei wird es von entscheidender Bedeutung sein, welche Zusammensetzung die neue Führung haben und welche interne Richtung sie einschlagen wird. Libyen war immer schon ein Land mit stark ausgeprägter Stammesgesellschaft, in dem nur ein kompliziertes Geflecht unter den verschiedenen Stämmen in der Lage war, für Stabilität zu sorgen. Vor allem, wenn die Führung - wie im Fall Gaddafis - nicht einem der größeren Stämme angehörte. Bei den möglichen Konflikten zwischen verschiedenen Stämmen droht auch die Religion Einfluss zu nehmen - und dabei sicher auch islamistische Kreise und Gruppen.

    Ein weiteres ist sicher: Staat und Gesellschaft Libyens nach Gaddafi werden von Grund auf neu errichtet werden müssen. Denn Gaddafi hatte mit seinen radikalen Staatstheorien praktisch alles abgeschafft, was einen konventionellen Staatsapparat ausmacht. Bei diesem Wiederaufbau kann das Ausland natürlich behilflich sein. Es darf dies aber nur vorsichtig und behutsam tun: Die Libyen waren immer schon empfindlich gegenüber zu großen Einflüssen von außerhalb. Und bei aller Dankbarkeit gegenüber der NATO für die Hilfe der letzten Monate: In eine Abhängigkeit von der EU oder den USA werden auch die Rebellen sich dafür nicht begeben.