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"Die Taten müssen geahndet werden"

Malische Truppen haben offenbar beim Vormarsch gegen die Rebellen Tuareg-Soldaten hingerichtet und deren Frauen vergewaltigt. Deutschland dürfe nicht an einem Krieg teilnehmen, "in dem Menschenrechtsverletzungen geduldet werden", warnt der UNO-Beauftragte für den Sudan, Gerhart Rudolf Baum.

Das Gespräch führte Doris Simon | 25.01.2013
    Doris Simon: In Mali dringen die Verbände der französischen Armee und der malischen Regierungstruppen immer weiter in den Norden des Landes vor. Sie sollen sich jetzt nur noch 160 Kilometer entfernt von der Islamistenhochburg Gao befinden. Die Kämpfer der Extremisten haben sich nach französischen Luftangriffen weiter zurückgezogen.
    Bisher hat Deutschland den französischen Einsatz in Mali nicht direkt unterstützt, sondern nur Transportkapazität bereitgestellt für die Truppen der westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS, die nach Mali verlegt werden sollen. Dass Deutschland nicht mehr leistet, hat vielfach Kritik ausgelöst, in Frankreich, aber auch hierzulande. Der will die Bundesregierung jetzt Rechnung tragen.
    In Mali hat es im Schatten des Vormarsches der französischen Truppen Menschenrechtsverletzungen gegeben. Das berichten mehrere Quellen unabhängig voneinander. Malische Soldaten sollen Tuareg-Soldaten hingerichtet und deren Frauen vergewaltigt haben. Zudem kommt es wohl in den befreiten Gebieten immer wieder zu Racheakten. Betroffen sind Menschen, die helle Haut haben, Araber oder Tuareg. Am Telefon ist jetzt Gerhart Rudolf Baum (FDP), der frühere Bundesinnenminister. Er setzt sich seit vielen Jahren für die Menschenrechte ein, so auch zum Beispiel als UNO-Beauftragter im Sudan. Guten Tag!

    Gerhart Rudolf Baum: Guten Tag!

    Simon: Herr Baum, in Mali, sind da jetzt nicht klare Worte gefordert der französischen Regierung, klare Worte auch der französischen Offiziere vor Ort?

    Baum: Ja absolut! Das ist ein schlimmer Befund. Die Truppen sind dort eingesetzt, die französischen Truppen, Menschenrechtsverletzungen zu bekämpfen, und wenn jetzt bei der Bekämpfung die Bekämpfer selber schuldig werden, ist das ein ganz schlimmer Befund, dem nachgegangen werden muss. Hier müssen die Täter festgestellt werden, die Taten müssen geahndet werden. Wir haben ein Bewusstsein entwickelt in den Vereinten Nationen im Völkerrecht, dass das Schutzobjekt aller unserer Anstrengungen der einzelne Mensch ist. Also wenn dem Mensch hier tiefes Unrecht geschieht, dann ist auch die Völkergemeinschaft gefragt. Wir haben eine Schutzverantwortung, sagt im Übrigen auch unser Grundgesetz.

    Simon: Herr Baum, bleiben wir noch kurz bei Frankreich. Der französische Verteidigungsminister hat ja, angesprochen auf die Menschenrechtsverletzungen, von einem Risiko gesprochen, und meine Kollegin in Paris sagte mir vor dem Gespräch, dass auch darüber in der französischen Presse berichtet werde, dass es aber keine Diskussion gebe über die Menschenrechtsverletzungen. Glauben Sie, dass man in Frankreich diese Diskussion derzeit nicht führen will?

    Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP), aufgenommen am 10. Oktober 2007 in Karlsruhe.
    Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) (AP)
    "Da gibt es möglicherweise Rücksichten und einen Menschenrechtsrabatt"
    Baum: Möglicherweise wird man sie nicht führen wollen, weil man die malische Armee braucht, und das ist auch ganz schlimm, dass wir uns bei der Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen verbünden mit Kräften, die hier nichts tun, sich nicht an Menschenrechten orientieren. Das ist ja nach dem 11. September vielfach geschehen. Beispielsweise hat man den Diktator Gaddafi umschmeichelt, weil er gegen den El-Kaida-Terrorismus vorgegangen ist. Also da gibt es möglicherweise Rücksichten und einen Menschenrechtsrabatt, wie man das böse sagen muss, wenn es darum geht, gemeinsam gegen Feinde vorzugehen. Aber das darf es nicht sein, damit verliert der Einsatz zum Schutz der Menschenrechte in Mali seine Glaubwürdigkeit.

    Simon: Die Europäische Union und damit auch Deutschland ganz konkret unterstützen den Einsatz in Mali. Was müsste die Bundesregierung jetzt tun?

    Baum: Die Bundesregierung muss sich darauf besinnen, dass es in der UNO ein Prinzip gibt: Responsibility to Protect. Das gilt hier zwar nicht unmittelbar, aber in seiner Zielrichtung. Wir dürfen nicht nur Papier und Proteste produzieren, sondern müssen hier mit unseren Verbündeten gemeinsam überlegen, was wir gemeinsam tun können. Also diese Angst, sich da zu engagieren, verstehe ich überhaupt nicht und ich habe überhaupt nicht verstanden, dass die Deutschen sich beispielsweise an dem Libyen-Einsatz nicht beteiligt haben.

    Simon: Aber wenn wir dabei bleiben, Herr Baum: Sie sagen, wir müssen mit den Verbündeten überlegen. Wenn aber, wie Sie auch selber sagen, die Franzosen da im Augenblick nicht so gerne drüber nachdenken möchten, wie sie gegen die Menschenrechtsverletzungen der Mali vorgehen, wie soll das klappen?

    Baum: Man muss den Franzosen sagen, dass das aufgeklärt werden muss. Wir können als Deutsche nicht an einem Krieg teilnehmen, in dem Menschenrechtsverletzungen geduldet werden. Das geht nicht! Aber wir haben eine Verpflichtung auch unseren französischen Verbündeten gegenüber und nach der UNO-Doktrin und nach unserer eigenen Verfassung, wenn irgend möglich den Menschen zu helfen, die unterdrückt werden, die massakriert werden, die getötet, vergewaltigt, gefoltert werden. Das ist ein Teil unserer Staats- und Grundrechtsidentität.

    Simon: Die EU wird ja Militärausbilder nach Mali schicken. Sollten wir gleich auch ein paar Beobachter da hinschicken, Menschenrechtsbeobachter?

    Baum: Das müsste mit den Verbündeten zusammen organisiert werden. Das könnte die UNO ja organisieren. Die UNO hat sich ja auch schon geäußert. Der Sicherheitsrat müsste das meines Erachtens ins Auge fassen, dass man sagt, wir wollen das jetzt beobachten. Wenn wir einen Einsatz billigen, ihn unterstützen, dann hat die Völkergemeinschaft, also der Sicherheitsrat, auch das Recht, ihn zu überwachen, ob die Prinzipien des Völkerrechts und des Kriegsrechts eingehalten werden.

    Simon: Herr Baum, Sie haben viel für internationale Organisationen, für die UNO gearbeitet. Sie wissen, wie langsam die Mühlen mahlen, auch wenn das Ziel gut ist. Wird das ausreichen, um weitere Menschenrechtsverletzungen in Mali zu verhindern?

    Baum: Die Mühlen mahlen sehr langsam und ich bin immer wieder zornig, wenn ich feststelle, dass man vorhersehbare Konflikte nicht zu lösen versucht, etwa in Darfur, in Sudan. Man hat gesehen, da gibt es einen Konflikt, Millionen von Menschen sind davon betroffen. Also eine vorsorgende Menschenrechtspolitik ist notwendig. Konflikte müssen entschärft werden. Verbrecher müssen aus dem Verkehr gezogen werden, wie der Internationale Strafgerichtshof das jetzt versucht. Wir werden nicht überall eingreifen können, wir werden nicht überall die Zustimmung des Sicherheitsrats bekommen. Zum Beispiel haben wir sie in Syrien nicht bekommen und müssen ansehen, wie die Menschen dort getötet werden – Zehntausende. Das ist im Grunde ein Verrat an den Prinzipien, die sich die UNO nach dem Kriege gegeben hat mit der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Das Gewissen der Menschheit ist zutiefst verletzt worden durch die Barbarei des vorigen Jahrhunderts und das Gewissen der Menschheit wird auch jetzt immer wieder verletzt durch Dinge, wie sie in Ruanda passiert sind, jetzt im Kongo passiert sind, in Srebrenica passiert sind. Wir müssen aufwachen und wirklich dazu kommen, ein Bewusstsein zu entwickeln, dass wir nicht erst eingreifen, wenn es beinahe schon zu spät ist.

    Simon: Werden Sie denn Ihren Einfluss in Berlin nutzen, um das zu tun?

    Baum: Ja. Mein Einfluss ist nicht sehr groß, aber der Einfluss der Menschenrechtsorganisationen beispielsweise, die sich hier schon geäußert haben, der ist in den letzten Jahren gewachsen, und ich hoffe, dass das auch etwas bewirkt.

    Simon: Herzlichen Dank für das Gespräch – das war Gehrart Rudolf Baum zu den Menschenrechtsverletzungen in Mali und vielem, was darüber hinausgeht.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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