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Die Tea-Party-Republíkaner im US-Kongress

Der Nervenkrieg um eine Erhöhung der US-Schuldengrenze geht an diesem Wochenende in die entscheidende Phase. Dabei scheinen sich alle Parteien gegenseitig zu behindern. Worum geht es bei den zermürbenden Zänkereien? Eine Innensicht der politischen Lage in den USA.

Von Silke Hasselmann | 30.07.2011
    Als er vorigen Montag nach Präsident Obama eine kurze Fernsehansprache zur Schuldenkrise hielt, stellte sich der Sprecher des gesamten Abgeordnetenhauses vor - so unbekannt ist John Boehner noch immer dem Großteil der Amerikaner. Dabei sitzt er seit 20 Jahren im Parlament und führt seit Wochen die Schulden-Verhandlungen für die "house"-Republikaner.

    John Boehner hat es zurzeit besonders schwer: Gegen seinen Schuldenplan stimmten Freitagnacht nicht nur alle Demokraten, sondern auch 22 GOP-Abgeordnete. Die fanden die angepeilte Sparsumme lachhaft. Jason Chaffetz aus Utah war hart geblieben. Was der auf die CNN-Frage nach dem "unverantwortlich sturen Handeln" der Tea-Party-Republíkaner zu sagen hatte, gleicht derweil einem Leitmotiv:

    Dass er gegen den Vorschlag seines Sprechers gestimmt habe, zeige doch, dass er sich seinen Prinzipien und seinem Land mehr verpflichtet fühlt als dem üblichen `Komm, mach mit, dann vertragen wir uns´.

    Nein, die derzeit 86 Mitglieder der informellen Fraktionsgruppe namens Tea Party Caucus sind nur schwer bis gar nicht einzugemeinden. Für John Boehner liegt die bittere Ironie liegt darin, dass er gerade diesen Abgeordneten seinen Aufstieg zum Parlamentssprecher verdankt. Sie versprachen im Kongresswahlkampf vorigen Herbst, was vor allem die libertären und rechts-konservativen Amerikaner mit Sympathie für die Tea-Party-Bewegung hören wollten. Regierung schrumpfen, Ausgaben streichen, endlich sparen, keine Steuererhöhungen und vor allem: keine faulen Kompromisse. Genau daran halten sie sich nun; und es kam mit Ansage:

    "Wir wissen, dass die Macht im Abgeordnetenhaus heute Nacht in andere Hände übergehen wird", rief Tea-Party-Darling Marco Rubio aus Florida in der Wahlnacht 2010. Und weiter:

    "Wir begehen jedoch einen großen Fehler, wenn wir annehmen, dieses Wahlergebnis hätte etwas mit einer Begeisterung der Menschen für die Republikanische Partei zu tun. In Wahrheit ist dies eine zweite Chance für diese Partei, wieder das zu werden, was sie vor nicht allzu langer Zeit versprochen hatte zu sein."

    Abgesehen vom religiösen und patriotischen Grundton verstehen sich Republikaner als Verfechter von Freiheit, Individualismus und Selbstverantwortung. Jeder ist seines Glückes Schmied, nicht die Regierung. .

    Das Problem: Hatten nicht acht Regierungsjahre mit einem republikanischen Präsidenten Bush satte Staatsüberschüsse in einen horrenden Schuldenberg verwandelt? Hatten nicht auch die Republikaner im Kongress für immer mehr Regierungsprogramme und folglich einen stets wachsenden Bürokratenapparat gesorgt? Gehörten nicht auch Republikaner wie John Boehner zu dem Washingtoner Establishment, das Leute wie Kip Burke aus der Kleinstadt Washington in Georgia so sehr verachten?

    Die meisten Leute finden Washington DC abstoßend, sagt der. "Ob Demokraten oder Republikaner – alles Idioten auf dem Capitol Hill". Er versteht das gut, obwohl - nein, weil er selbst jahrelang für die Regierung in DC gearbeitet hat: im Verteidigungsministerium.

    Kip Burke: "Wenn Sie auf der Empfängerseite von Regierungsschecks sitzen - Rente, Sozialhilfe, Gehalt -, dann haben Sie vermutlich eine deutlich positivere Sicht auf die Bundesregierung. Doch nach meiner Erfahrung arbeiten Stadt- und County-Verwaltungen am effektivsten für die Bürger, weil die Politiker und Bürokraten Land und Leute genau kennen. Die Bundesregierung hingegen ist so aufgeblasen. Wir halten uns ein Bildungsministerium, das keinem einzigen Menschen etwas beibringt. Ein Energieministerium, das keine Energie produziert. Und dann die vielen unglaublich hoch bezahlten Angestellten - die Leute hier fragen sich: Was machen die eigentlich?"

    Vor allem jenseits der Megametropolen leben viele Amerikaner, die ähnlich ticken. Bei weitem nicht jeder von ihnen unterstützt die schrillen, fast militanten Vertreter der Tea Party Movement. Sie wollen eigentlich auch nicht, dass sich Amerika in aller Welt blamiert, weil es in einen Zahlungsverzug geriete. Doch sie sehen den enormen Schuldenberg und sie haben Angst davor. Diese Menschen sind beeindruckt davon, dass so viele frisch gewählte Abgeordnete fest zu ihrem Wahlversprechen stehen und auf sofortiges Sparen pochen. Dabei ist der Druck vieler Medien und vom politischen Establishment in Washington enorm.

    Bob Shrum, demokratischer Stratege: "Gegenwärtig versucht ein Fünftel des Abgeordnetenhauses das gesamte Land zu regieren. Ich nenne das einen Staatsstreich, weil sie sagen: 'Wir werden für nichts stimmen, solange wir nicht alles bekommen, was wir fordern.' Dieses Land hat nie so funktioniert. Das System kann auf diese Weise nicht arbeiten. Das wird noch ein sehr interessantes Wochenende."

    Doch für Parlamentsneulinge wie den 40-jährigen Anwalt Tom Reed aus New York wird andersherum ein Schuh daraus. Er weiß, dass auch er vorigen Herbst nur gewählt worden war, weil so viele Amerikaner die Nase voll hatten von diesem "System" und wie es "funktioniert" - vor allem mit seinen Hinterzimmerdeals nach dem Motto: 'Ich stimme für deine Gesetzesvorlage, wenn du für mein Projekt votierst, selbst wenn es sinnlos oder falsch ist und auf jeden Fall immer Steuergeld kostet.'

    Ein System, das earmarks zu einem der mächtigsten Instrumente des Weißen Hauses und der Fraktionsführungen im Kongress machte. Denn mit diesen Anhängen zu einem Gesetzesentwurf konnten sich einzelne Parlamentarier Staatsgelder selbst für die irrwitzigsten Projekte im eigenen Wahlkreis sichern.

    Allein dieses auf beiden Seiten exzessiv betriebene parlamentarische Verfahren verteuerte den US-Haushalt jährlich um zig Milliarden Dollar im Vergleich zum Ursprungsentwurf der Administration. Eine der ersten Amtshandlungen der sparwütigen Tea-Party-Leute bestand also darin, earmarks derart an den Pranger zu stellen, dass sie aus dem parlamentarischen Verfahren verbannt wurden. Nein, so Tom Reed in seiner Parlamentsrede Freitagnacht: Nicht wir handeln unverantwortlich, sondern die Alteingesessenen, die nie an die Wurzel des Übels gehen wollen:

    Tom Reed: "Als Mitglied der Anfängerklasse sage ich Ihnen: Die Kultur dieser Stadt ändert sich gerade. Wenn ich meine Kollegen von der anderen Seite mit dem Argument höre: 'Nur weil die Schuldengrenze schon 102 mal erhöht worden ist - allein sieben mal unter Präsident Bush -, wäre es recht und billig, dass auch wir das tun, ohne uns mit dem eigentlichen Problem zu befassen.' Das ist die unkontrollierte Ausgabenwut, die zu einem Schuldenberg von 14,4 Billionen Dollar geführt hat."

    Und so sehen sie sich nicht als verbohrte Ideologen, sondern als Volksvertreter, die sich nicht korrumpieren lassen, wie so viele vor ihnen. Dass das so ungewöhnlich ist, sage mehr über die verrottete Kultur in Washington aus als über sie.

    Schwer zu sagen, wie lange und wie weit diese Argumentation trägt. Doch niemand sollte unterschätzen, wie sehr sie dem entspricht, was viele Amerikaner - speziell auf dem Lande - empfinden.