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Die Terrorgruppe ETA und ihr Umfeld

Die baskische Terrorgrupe ETA hat angekündigt, ihre Aktionen einzustellen. Bislang gab es 829 Tote durch die Terrorakte der ETA für ein unabhängiges Baskenland. Politiker in Spanien sind skeptisch über die ETA-Erklärung, auch wenn ihr politischer Arm, die Batasuna bereits verboten ist. Denn die Organisation versucht immer wieder Nachfolgeparteien zu gründen.

Von Hans-Günter Keller | 07.09.2010
    Die ETA will keine "offensiven bewaffneten Aktionen" mehr durchführen. Das hat baskische Terrorgruppe am Sonntag in einem von der britischen BBC ausgestrahlten Video mitgeteilt. Sie sagt nicht, wie lange diese Feuerpause dauern wird, auch nicht, was sie dafür im Gegenzug von der spanischen Regierung erwartet. Es handelt sich jedoch um die elfte Feuerpause einer Organisation, die bisher jedes Mal zu den Bomben und Genickschüssen zurückgekehrt ist. 829 Menschen sind ihren Aktionen bisher zum Opfer gefallen. Die Reaktionen der Politik auf die Erklärung der ETA sind darum sehr skeptisch, erneute Verhandlungen der spanischen Regierung und den Terroristen sind zunächst nicht in Sicht. Denn in Spanien hatte man mehr von der ETA erwartet. Hans-Günter Kellner erklärt die Hintergründe.

    Eigentlich ist die linksnationalistische Partei Batasuna längst verboten. Der spanische Oberste Gerichtshof erklärte den politischen Arm der ETA aufgrund eines Parteiengesetzes von 2002 für illegal. Doch immer wieder hat es Versuche gegeben, Nachfolgeorganisationen zu gründen, was Spaniens Polizei und Justiz stets versucht haben, zu unterbinden. Auch Txelui Moreno gehört zu den Linksnationalisten. Er hat entscheidend an einer Erklärung mitgewirkt, in der das Umfeld der ETA die Gewalt ablehnt. Dafür haben sie an Spanien konkrete Forderungen, erklärt Moreno:

    "Der Staat soll unsere Rechte anerkennen, Rechte, die andere Nationen haben, und wir verstehen nicht, dass sie uns verweigert werden. Diese Einheit Spaniens darf hier ja offiziell nicht einmal angetastet werden. Aber wir wollen, dass es Möglichkeiten gibt, dass die Bevölkerung entscheidet. Ohne Gewalt, aber auch ohne Einmischung von außen, auch nicht durch den spanischen Staat. Demokratisch eben."

    Das einzige Mittel der politischen Auseinandersetzung solle künftig die Debatte innerhalb und außerhalb der Parlamente sein, erklärt Moreno. Das haben die Linksnationalisten, die für einen eigenen baskischen und sozialistischen Staat eintreten, bereits vor mehreren Monaten auf einem Kongress entschieden. Damit haben sie der ETA quasi eine neue Richtung gewiesen. Die Terrororganisation hat auf diese Abgrenzung zur Gewalt allerdings verhalten reagiert:

    "Die ETA hat ganz klar gesagt: Sie respektiere, was die Linksnationalisten debattiert haben. Die ETA zweifelt aber daran, dass Spanien das akzeptieren wird. Aber sie haben mehrmals wiederholt, dass der von uns vorgeschlagene demokratische Prozess der einzige Weg für dieses Volk ist. "

    Das Ziel dieser Strategie ist, zu den Kommunalwahlen im nächsten Jahr wieder zugelassen zu werden. Die Linksnationalisten sind verboten und weder im spanischen noch im baskischen Parlament vertreten. In nur noch knapp der Hälfte der baskischen Stadtverordnetenversammlungen haben sie einige Sitze, aber auch droht ihnen ein Verbot. Nach den Kommunalwahlen würden sie damit auch in den Kommunen den letzten parlamentarischen Einfluss verlieren. Juan Aviles, Terrorismusforscher und Historiker der Uned-Universität, meint darum:

    "Die ETA und das politische Umfeld streben in unterschiedliche Richtungen. Es ist klar, die Linksnationalisten kämpfen um ihren politischen Einfluss. Aber auf der anderen Seite hat die ETA aber auch nicht mehr diese starke Rolle in der Szene wie früher. Sonst hätte sich in dem Umfeld niemand getraut, ihr zu sagen, was sie zu machen hat. Wer so etwas früher gewagt hätte, wäre einfach aussortiert worden. Die ETA ist schwach - und die anderen wollen Politik machen."

    Dem Historiker zufolge ist das eine völlig neue Situation. Bis vor kurzem beanspruchte die Terrorgruppe die Führungsrolle innerhalb des baskischen Separatismus. Daran ist bisher letztlich jeder Waffenstillstand gescheitert. Jetzt könnten erstmals die Rollen anders verteilt sein.

    "Wenn die ETA die Waffen niederlegt, fällt sie auseinander. Sie wären nichts mehr. Solche Organisationen funktionieren automatisch, wie eine Maschine. Es ist darum schwierig zu sagen, was nun passiert. Es könnte sein, dass wir jetzt scheibchenweise eine Abfolge mehrerer Erklärungen erleben."

    Denn statt großer Freude war in Spanien nach der Erklärung der ETA allenthalben Enttäuschung zu spüren. Alle Politiker – auch gemäßigte baskische Nationalisten – haben erklärt, das Kommuniqué der ETA mit der Mitteilung, ihre "offensiven bewaffneten Aktionen" eingestellt zu haben, sei unzureichend. Der Grund der hohen Erwartungen: Die Linksnationalisten um Txelui Moreno hatten noch letzte Woche öffentlich einen definitiven und von internationalen Beobachtern überprüfbaren Waffenstillstand gefordert, deutlich mehr, als die ETA letztlich zugestanden hat. Dennoch ist Historiker Avilés verhalten optimistisch:

    "Immer waren es die Leute mit den Pistolen, die die Entscheidungen getroffen hat. Seit etwa einem Jahr ändert sich das ganz deutlich. Zum ersten Mal sagen die Leute von Batasuna der ETA: Hört auf zu morden, wir gehen sonst unter. Das ist ein radikaler Wandel. Man darf jetzt nicht zu euphorisch werden, oder gar jetzt schon in Verhandlungen treten. Trotzdem sind es gute Nachrichten."