Dienstag, 19. März 2024

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Die Toskana als Bergbau-Region
Im italienischen Erzgebirge

Allerlei hartnäckige Klischees haben vergessen lassen: Die Toskana gehörte seit den Zeiten der Etrusker und Römer zu den bedeutendsten Bergbauregionen Europas. Der Bergbau ist Geschichte. Aber derzeit wird die Toskana zum Hotspot der Geothermie.

Von Manfred Schuchmann | 22.10.2017
    Ausblick vom Torre di Populonia auf die Burg und den Golf von Baratti, Populonia, Provinz Livorno, Toskana, Italien
    Blick vom Torre di Populonia auf den Golf von Baratti Einst so etwas wie der Kohlenpott der Antike (imago stock&people)
    Wie eine tiefblaue Sichel liegt der Golf von Baratti unter wolkenlosem Himmel. Ein paar Badende tummeln sich im Wasser, ein paar Sonnenbadende bräunen am Strand. Landeinwärts ein schmaler Streifen struppiges Gras, dann die Riesenschirme schattiger Pinien. Verborgen hinter dem südlichen Vorgebirge des Golfs liegt die Insel Elba im Tyrrhenischen Meer. Von dort aus liefen vor mehr als zweieinhalbtausend Jahren schwer beladene Schiffe den Golf von Baratti an

    Susanna Rometsch sucht aufmerksam den Strand ab, die Augen auf den Sand gerichtet, über den der leichte Wind trockenes Seegras treibt. Ab und zu bückt sie sich und hebt etwas auf. Keine Muscheln :

    "Sehen Sie , das sind Schlacken, Reste aus der Eisenverhüttung (..) vermutlich von den Etruskern, weil die Etrusker waren ja die ersten hier, die am Golf von Baratti in großem Stil Eisen verhüttet haben, vor über zweieinhalbtausend Jahren. Ein Hochofen nach dem anderen in dieser ganzen, wunderschönen Bucht."

    Die Schlackestücke, die Susanna Rometsch in der Hand hält, sind ungefähr so groß wie eine Kinderfaust - rostrot, rostbraun, in der Schmelze erstarrtes Metall das eine, dunkel funkelnder Glasfluss das andere. Sie liegen schwer in der Hand, schwerer als Stein. Die tiefblaue Sichel der Bucht von Baratti muss man sich in Feuer und Rauch gehüllt vorstellen in der Antike. Aber warum gerade hier am Strand? Und wo kam das Eisen her?

    "Von Elba erklärt Susanna Rometsch:"Elba ist ja sehr bekannt für seine großen Eisenerzvorkommen (..), über 70 Prozent Roheisengehalt, und das wussten die Etrusker auch. Die Etrusker (..) haben zum Betreiben ihrer Hochöfen immense Holzmassen gebraucht und man nimmt an, dass Elba zu der Zeit komplett abgeholzt war. Und dann haben sie sich eben entschieden, das Rohmaterial von Portoferraio, dem "Eisenhafen", rüber zu transportieren an den Golf von Baratti."
    Eiseninsel Elba
    Das südliche Vorgebirge des Golfs verdeckt nicht nur die Sicht auf die Eiseninsel Elba, sondern auch auf die Stadt Piombino, den Fährhafen zur Insel. Und auf Piombinos riesiges Stahlwerk. Das bediente sich im letzten Jahrhundert großzügig an den hüttentechnischen Hinterlassenschaften der Etrusker. Denn der Golf von Baratti war seit der Antike - eine haushohe Abraumhalde.

    "Man hatte irgendwann festgestellt , dass diese immensen Schlackenberge noch gut 6o Prozent Roheisen enthielten und kam dann auf die Idee, diese Schlackenberge nochmal zu verhütten. Da hat ganz Piombino bis 1979 dran gearbeitet. Wie hoch stelle ich mir die Schlacke vor? Bis zu zehn Meter, also da hätte sich keiner an den Strand gelegt, das hat sowieso keinen interessiert zu der Zeit."

    Als die unvorstellbaren Schlackenmassen nahezu abgeräumt waren, tauchten aus dem Untergrund plötzlich auch die Etrusker wieder auf - ihre Nekropolen, die Totenstädte des alten Pupluna oder Fufluna, das heute den Namen Populonia trägt, alles war unter Abraum begraben. Heute schauen Tumuli - riesige, runde Grabhügel - vom sanften Hang auf die blaue Bucht hinunter; Sarkophage und gut erhaltene Totentempel stehen hier und dort im Gelände, auch die Fundamente der alten Schmelzöfen.
    Susanna Rometsch ist mit mir auf dem Weg ins Hinterland der Küste, dorthin wo die ersten Höhenzüge aus der Ebene aufsteigen: die Colline metallifere, das toskanische Erzgebirge. Susanna Rometsch lebt seit vielen Jahren in Gavorrano, einem der vielen ehemaligen Bergbauorte in den Colline metallifere.

    "In Gavorrano gab'e eines der größten Pyrit-Bergwerke Europas, die Stollen gehen teilweise auch unter meinem Land durch. Ich hab' ein altes Bauernhaus und es gab eine Lagerstätte "Casa Conti" - wie mein Bauernhaus heißt. Bei uns in Gavorrano haben die ganze Dörfer unterirdisch miteinander verbunden , da gibt's insgesamt 15o Kilometer an Stollenanlagen."

    Fördertürme, Schachtanlagen, Erzschmelzen und Abraumhalden - all das gehört nicht eben zu dem von Zypressen flankierten Klischeebild, das wir uns von der noblen, der ewig kunstsinnigen, genussfreudigen Toscana machen. Aber ohne die Schätze der Erde und ohne die Menschen, die über Generationen in harter Arbeit nach ihnen gegraben haben - keine Kunst und kein Genuss. Die Toscana gehörte seit den Zeiten der Etrusker und der Römer zu den bedeutenden Bergbauregionen Europas.Davon erzählen heute freilich nur noch Besucherbergwerke, archäologische Parks und Museen.

    Wir sind im Parco archeominerario di San Silvestro und fahren mit dem Trenino giallo in den Berg ein. Der Trenino giallo ist ein kleines, gelbes Züglein, das ordentlich rumpelt und quietscht und mir sofort das Gefühl gibt, "echt" unter Tage zu sein. Dabei ist der trenino die Publikumsattraktion von San Silvestro - kaum abenteuerlicher als ein Fahrgeschäft auf dem Rummelplatz. Aber er unterquert immerhin einen Berg! Anfangs finde ich es angenehm frisch im Stollen, dann wird mir langsam kühl. Links und rechts blinkt und glänzt es manchmal für einen Augenblick im Fels .....

    "Man hat hier Schwefelkiese abgebaut .....gemischte Metalle, in erster Linie Eisen in Verbindung mit Bleiglanz, Kupfer, Schwefel oder Zinn. Der fährt diesen ganzen Stollen entlang. Auf der anderen Seite hat man einen fantastischen Blick, da sieht man noch Teile von Aufbereitungsanlagen und die mittelalterliche Rocca di San Silvestro."

    Nach vielleicht zwanzig Minuten geht es wieder ins Freie. Der Blick ist fantastisch: das gelbe Schmalspurbähnchen schlängelt sich an der rechten Hangseite durch Geröll und Gestrüpp, Ginster blüht gelb vor blauem Himmel und blendend weißem Gestein. Am Hang gegenüber ragt hoch auf einer Kuppe die mittelalterliche Festung von San Silvestro auf. Ehedem lebten in ihren Mauern auch die Bergleute der Mine und noch vor Ort wurden die Erze geschmolzen. Heute ist der gesamte Talschluss ein gigantischer Steinbruch - Material für den Bahn- und Straßenbau.
    Silber und Kupfe als Zankäpfel der toskanischen Stadtstaaten
    Die Colline metallifere liegen abseits der kunsthistorischen Rennstrecken der Toscana, südwestlich von Siena, Richtung Tyrrhenisches Meer. Schier endlose Steineichenwälder, dichte Macchia, in denen Wildschweine und Stachelschweine zu Hause sind. Abgelegene mittelalterliche Orte, oft weit entfernt voneinander. Um das Silber und Kupfer von Montieri und Gerfalco stritten sich die Bischöfe von Volterra und die Signori von Siena, Massa Marittima blieb lange Republik und kontrollierte die umliegenden Minen - Silber, Kupfer, Eisen, Blei und Zink. Später erschloss man Vorkommen von Gips, Kaolin und vor allem Pyrit - zur Schwefelgewinnung. Schwefelsäure als Grundstoff der chemischen Industrie.

    Wir stehen inzwischen auf der Piazza Garibaldi, dem zentralen Platz von Massa Marittima, einer Kleinstadt mit rund 8.ooo Einwohnern. Dieser Platz ist ein städtebauliches Wunderwerk - ein annähernd dreieckiger Grundriss in schwierigem, leicht abfallendem (oder je nachdem, in welche Richtung man schaut: ansteigendem) Gelände. Intaktes Mittelalter, beherrscht von einem halb romanischen, halb gotischen Dom, der sich auf einem hohen Stufensockel erhebt. Flankiert wird die Piazza von Stadthäusern sehr unterschiedlicher Höhe und aus verschiedenen Jahrhunderten. Wie kommt ein so bescheidenes Städtchen zu einem so prächtigen Dom und einem so wundervollen Platz?

    "Zuerst mal muss man sagen, dass Massa Marittima Bischofssitz war. Diesen Bischofssitz gibt's heut' noch - drüben ist der Bischofspalast. Und das Geld kommt von den Metallen, aus dem Bergbau. Massa metallorum, so hieß die Stadt später im Mittelalter, die Stadt der Metalle. Massa Marittima hat eigene Münzen geprägt, das Rohmaterial hatte man ja."

    Aber ja, Massa Marittima hatte die Erzgruben der angrenzenden Colline metallifere, da konnte man sich Baumeister aus Pisa und Maler aus Siena leisten. Tempi passati, diese Zeiten sind vorüber und vorbei.
    In den 195oer Jahren lag Massas Einwohnerzahl noch um mehr als die Hälfte höher als heute, dann begann das große Bergwerkssterben. Gegen den billigen Schwefel aus der Petrochemie waren die toskanischen Pyritgruben hoffnungslos unterlegen.

    Susanna Rometsch steuert auf das Museo della Miniera zu, das Bergbaumuseum von Massa Marittima, ein paar Schritte nur vom Dom entfernt. Eine rote Grubenlok mit ein paar Kipploren markiert den Eingang - direkt in den Berg. Susanna Rometsch lässt sich das riesige Gittertor aufschließen, dann bleiben wir allein in den verzweigten Stollen .....

    "Das Museum wurde von ehemaligen Bergmännern eingerichtet. Als die Bergwerke hier nach und nach zugemacht haben, wollten sie die Maschinen retten, das Arbeitsgerät retten, und wollten vor allem, dass man nicht vergisst, wie man hier gearbeitet hat. Und aus diesem Grund haben sie allerhand Sachen gesammelt und haben sich dann bemüht, diese Stollen so einzurichten, wie es eben unter Tage ausgesehen hat."

    Die Museums-Stollen haben früher eigentlich zu einem unterirdischen Steinbruch gehört, aber die Kumpel haben sie in jedem Detail lebensecht hergerichtet, mit sehr viel Liebe und vor allem Stolz auf ihre verlorene Arbeit - inklusive Kleiderkammer und Pausenraum .....

    "Arbeitskleidung, die Jacke mit der Pelerine, weil einem ja die Brühe überall nur so reinlief ins Genick und überall. Die alten Bakelithelme, die waren so bis in die 6oer Jahre im Einsatz, dann kamen die Plastikhelme, Später dann konnte man vorne die Grubenlampe befestigen, vorher ist man hier mit der Karbidlampe rein. Die Arbeitskleidung haben sie erst sehr spät gekriegt, erst nach den schweren Streiks in den 5oer Jahren. / Vorher mussten die alles selber bezahlen? / Ja."
    Die Arbeit im Bergwerk als "das letzte Brot"
    "Das hier ist die klassische panierina, die Brotzeitdose. Es war ein äußerst unwirtliches Gebiet, es war nassfeucht, es war wahnsinnig warm und überall waren Mäuse und Ratten. Wenn sie Glück hatten, hatten sie ein bisschen Tomate drin, ein Stück Brot drin, manchmal auch ein bisschen Suppe - also man war hier sehr arm, die Arbeit im Bergwerk hat man als "l'ultimo pane" bezeichnet, das letzte Brot. Was anderes gab's nicht.

    Am nächsten Morgen fahre ich von Massa Marittima aus in Richtung Norden - durch dichten Wald, über viele Kurven bergauf und ebenso viele Kurven bergab. Die Colline metallifere knacken bei Montieri und Gerfalco knapp die Tausend-Meter-Marke. Irgendwo unsichtbar im Gelände verläuft die Grenze zwischen den Provinzen Grosseto und Pisa. Allmählich müsste man hier den Teufel riechen .....

    Bei Sasso Pisano liegt ein Hauch von HS in der Luft, Schwefelwasserstoff, der Geruch von faulen Eiern. Sasso Pisano ist einer der Orte, an denen man dem Vulkanismus der Toscana nahe kommt: man riecht ihn, man hört ihn, man sieht ihn. Weiße Schwaden steigen auf und verwehen im Wind, Schlamm blubbert, ein kleiner Wasserlauf siedet. Die Erde müsste dringend ein Eukalyptusbonbon lutschen - sie hat einen schlechten Atem.

    Wenn ich jetzt den riesigen, silbernen Röhren folge, die sich wie Spinnenfinger durch das Land ziehen, stoße ich irgendwann auf den Ort Larderello - eines der größten Geothermie-Kraftwerke Europas, und das allererste weltweit. Die Riesenröhren sind Dampfpipelines, die den Atem der Erde unterirdisch auffangen und zur Zentrale leiten.

    "Wir befinden uns hier unmittelbar außerhalb der Ortschaft Larderello, mitten in der Geothermiezone. Das ist das sogenannte Tal des Teufels, es kocht, es raucht - also dachte man früher, das Tal müsse dem Teufel gehören - samt Pforte zur Hölle."

    Loris Martignoni ist Bürgermeister von Pomarance, zu dem auch Sasso Pisano und Larderello gehören. Loris Martignoni ist hochgewachsen, schlank und hat einen eindrucksvollen Kahlschädel. Bevor er Bürgermeister wurde, stand er 37 Jahre lang im Dienste der ENEL, des halbstaatlichen italienischen Energieriesen. Natürlich glaubt im toskanischen Teufelstal niemand mehr an den Leibhaftigen, sondern an eine geologische Extravaganz: das Magma, die flüssige Gesteinsschmelze der Tiefe, reicht hier bis dicht an die Erdoberfläche.

    "Larderello hat eine große Vergangenheit, hier gab es schon die Bäder der Etrusker, dann der Römer. Und im Jahr 19o4 brachte der geniale Ginori-Conti vier Glühbirnen zum Leuchten - er verwandelte geothermische Energie erst in mechanische und dann in elektrische Energie."
    Geothermie auf etruskisch
    Angefangen hat also mal wieder alles mit den alten Etruskern, die badeten nicht nur in heißen Quellen, sie fanden auch heraus, dass aus dem Untergrund Borax mit nach oben sprudelte - das fanden sie nützlich für die Glasuren ihrer Keramik. Im 19. Jahrhundert kam der französische Ingenieur François Jacques de Larderel auf die Idee, den vulkanischen Dampf für eine Art geothermische Dampfmaschine zu nutzen - Larderello ist übrigens nach de Larderel benannt. Und schließlich, 19o4: die Glühbirnen des Ginori-Conti, die weltweit erste geothermische Elektrizität. Eine ureigene, italienische Ingenieursleistung. Heute wird sie im Großmaßstab genutzt.

    "Dreißig Prozent der toskanischen Elektroenergie stammt heute aus Geothermie. Wir nähern uns gerade dem Rekord von 6 Milliarden Kilowattstunden."

    Längst arbeitet Larderello in einem geschlossenen Kreislauf - der Dampf wird unter ungeheurem Druck auf die Turbinen geleitet, kondensiert in riesigen Kühltürmen und wird als Wasser wieder unter die Erde gepresst. Das Museo della Geotermia von Larderello macht diese Technik und die Geschichte der toskanischen Geothermie sehr anschaulich.

    Loris Martignoni, der Bürgermeister und Ex-Geothermiemanager ist mit mir zum Demonstrationsventil des Museums von Larderello gefahren, ein Stück oberhalb des Ortes. Ein Angestellter hat das Ventil per Fernsteuerung geöffnet. Man hört es. Und zwar noch in größerer Entfernung - das sind die Kräfte der Erde, gebändigt und in kontrollierte Bahnen gelenkt. Der toskanische Bergbau ist Geschichte, aber die Geothermie hat Zukunft.

    "Über viele, viele Jahre hat der Bergbau Arbeit gegeben und ein Auskommen gesichert - von Populonia und Massa Marittima bis hinauf nach Montecatini. Und heute ist es mit dem Bergbau vorbei, fast alle Bergwerke sind geschlossen. Die einzige Bergbau-Aktivität, die geblieben ist - ist die Geothermie."