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Die Türkei am Tag danach
Tausende Erdogan-Anhänger feiern Scheitern des Putsches

Nach dem Umsturzversuch durch Teile des Militärs hat die Regierung in Ankara nach eigenen Angaben wieder die Fäden in der Hand. Die vorläufige Bilanz: mehr als 260 Tote und 2.800 Soldaten in Haft. Zahlreiche Anhänger von Präsident Erdogan feierten in mehreren türkischen Städten den Sieg über die Putschisten.

16.07.2016
    Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan auf dem Taksim-Platz in Istanbul.
    Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan auf dem Taksim-Platz in Istanbul. (AFP / Yasin Akgul)
    Auf dem Taksim-Platz in Istanbul schwenkten viele Menschen die türkische Flagge und riefen "Gott ist groß". Auch auf der Unabhängigkeitsstraße in Istanbul schwenkten die Menschen Fahnen, Autos fuhren laut hupend die Straße entlang. Auch in Ankara versammelten sich feiernde Menschen.
    Der islamisch-konservative Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Regierung machten den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen und seine Anhänger für den Umsturzversuch verantwortlich. Erdogan forderte die Regierung in Washington auf, Gülen an die Türkei zu überstellen. Vor Anhängern in Istanbul sagte er: "Die USA müssen diese Person ausliefern." Gülen wies die Anschuldigungen zurück und verurteilte die Militäraktion. Die Behauptung, er sei in den Staatsstreich verwickelt, sei "besonders beleidigend", da er in den vergangenen Jahrzehnten selbst mehrere Militärputsche in seinem Heimatland habe erleben müssen.
    Mehr als 260 Menschen wurden getötet
    Erdogan sprach in seiner Rede auch die mögliche Wiedereinführung der Todesstrafe an. Es sei ein demokratisches Recht, über jede Forderung zu diskutieren. So etwas werde jedoch unter dem Dach des Parlaments geschehen.
    Gestern Abend hatten Teile des türkischen Militärs versucht, die Macht zu übernehmen. Inzwischen hat die Regierung die Lage wieder unter Kontrolle. 2.800 Soldaten wurden nach Angaben aus Ankara festgenommen. Bei den Gefechten in der vergangenen Nacht wurden mehr als 260 Menschen getötet. 161 von ihnen seien vor allem Zivilisten und Polizisten, dazu kämen 104 Putschisten, sagte ein Vertreter der türkischen Regierung. Acht Soldaten flohen mit einem Militärhubschrauber nach Griechenland und beantragten dort politisches Asyl. Die Türkei verlangt ihre Auslieferung. Athen kündigte an, die Asylgesuche würden schnell geprüft werden.
    Parteien kritisieren Putschversuch
    Die Nationalversammlung kam am Nachmittag in dem durch Luftangriffe beschädigten Parlamentsgebäude demonstrativ zu einer Sondersitzung zusammen. Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie die Abgeordneten eine Schweigeminute abhielten, anschließend wurde die Nationalhymne gespielt.
    In einer gemeinsamen Stellungnahme verurteilten die vier im Parlament vertretenen Parteien den Putschversuch. "Ich bedanke mich ein weiteres Mal bei den Führern unserer Parteien, den Fraktionschefs und allen Abgeordneten." Die Worte des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim im Parlament in Ankara galten auch der Opposition. Alle Parteien hätten den Putsch abgelehnt, betonte er. Für die Zusammenarbeit der Abgeordneten bedeute dies einen Neubeginn. Und weiter: "Ich danke jedem türkischen Bürger, der auf die Straße gegangen ist, um die Demokratie zu verteidigen." Den Tag des gescheiterten Putsches - den 15. Juli - erklärte Yildirim zum künftigen "Demokratie-Festtag".
    Mehr als 2.700 Richter wurden suspendiert
    Als Reaktion auf den Putschversuch scheint die Regierung nicht nur das Militär ins Visier zu nehmen. Laut einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu wurden mehr als 2.700 Richter suspendiert, auch an den höchsten Gerichten des Landes. Gegen sie werde ermittelt, hieß es. Der Chef der türkischen Richtergewerkschaft kritisierte das Vorgehen. Damit würden auch Kritiker ausgeschaltet, die nichts mit all dem zu tun hätten.
    Türkische Sicherheitskräfte nehmen Polizisten fest.
    Türkische Sicherheitskräfte nehmen Polizisten fest. (AFP / Bulent Kilic)
    Lage an Nato-Luftwaffenbasis unklar
    Unklar war zeitweise die Lage rund um die Luftwaffenbasis Incirlik, wo 240 Bundeswehrsoldaten stationiert sind. Sie beteiligen sich von dort aus mit Tornado-Aufklärungsflugzeugen und einem Tankflugzeug am Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat im Irak und Syrien. Ein Sprecher des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr in Potsdam widersprach US-Angaben, wonach die türkischen Behörden den Zugang zu der Basis abgeriegelt hätten.
    Die Soldaten könnten mit Ausweiskontrolle weiterhin die Basis verlassen und wieder hineingehen. Es sei aber die höchste Sicherheitsstufe ausgerufen worden. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) äußerte sich erleichtert. Das Wichtigste sei, dass die Soldatinnen und Soldaten in Incirlik unversehrt seien.
    Deutsche Spitzenpolitiker verurteilen Gewalt
    Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) warnte mit Blick auf die Reaktionen in Ankara vor Rache und Willkür. Der Schutz der Rechte von Beschuldigten und Verdächtigen gehöre zu den Grundpfeilern eines demokratischen Rechtsstaats.
    Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnte, die beste Grundlage für die Wiederherstellung des inneren Friedens im Land sei "die Demokratie, die die Rechte aller achtet und Minderheiten schützt". Bundespräsident Joachim Gauck die Gewalt "aufs Schärfste" verurteilt und zur Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien ermahnt. "Meine Erwartung an die türkische Regierung besteht darin, dass bei der Aufarbeitung dieses ganzen Geschehens die rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätze gewahrt werden", sagte Gauck am Rande seines Staatsbesuchs in Uruguay. "Wir haben alle etwas davon in Europa, wenn die Demokratie nicht beschädigt wird - von keiner Seite."
    (has/hba/ach)