Donnerstag, 28. März 2024

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"Die übergroße Mehrheit der Soldaten ist sehr respektvoll gegenüber den Menschen"

Der frühere US-General John Abizaid glaubt nicht daran, dass die Taliban in Afghanistan wieder an die Macht gelangen. Dennoch müssten sie bei Friedensverhandlungen mit am Tisch sitzen. Die Koranverbrennungen durch US-Soldaten nennt er einen "höchst bedauerlichen Zwischenfall", der nicht vom Weg nach vorne ablenken sollte.

John Abizaid im Gespräch mit Dirk Müller | 08.03.2012
    Dirk Müller: Über 40 Tote, Hunderte von Verletzten, Straßenschlachten, massive Proteste in den Städten Afghanistans, Unruhen in vielen Teilen des Landes, weil amerikanische Soldaten vor gut zwei Wochen Exemplare des Korans verbrannt hatten - zum wiederholten Mal ein gravierender Vorfall, ausgelöst durch GIs am Hindukusch. Die amerikanische Militärführung in Kabul hatte sich auch wenig später dafür entschuldigt. Allerdings machten auch gleich Spekulationen darüber die Runde, inwieweit die Ausschreitungen bewusst von afghanischen Kräften forciert wurden.

    Wir hatten vor der Sendung Gelegenheit zu einem Gespräch mit US-General John Abizaid, vormals Oberkommandierender der amerikanischen Streitkräfte im Nahen Osten und im Mittleren Osten, jetzt Chef eines Think Tanks, also eines Forschungsinstituts mit Sitz in Westpoint. General Abizaid, tragen die amerikanischen Soldaten die Verantwortung für die jüngsten Unruhen?

    John Abizaid: Das Verbrennen des Korans war sicherlich ein höchst bedauerlicher Zwischenfall. Er hat eine Ereigniskette in Gang gesetzt, die dann in Afghanistan zu stärkerer Gewalttätigkeit geführt hat - insbesondere zu einem Zeitpunkt, wo viele hofften, dass Gespräche mit den Taliban nach vorne führen würden, dass die Gewalt zurückgehen würde und dass es zu einer besseren Zusammenarbeit mit der afghanischen Regierung kommen würde.

    Müller: Es war ja nicht der erste Vorfall in der letzten Zeit, dass amerikanische Soldaten die Afghanen mit einem fehlerhaften Verhalten provoziert haben. Welche Erklärung haben Sie dafür?

    Abizaid: Wenn junge Soldaten - ob nun Amerikaner oder Deutsche - in einen fremden Staat gelangen, dann müssen sie sehr hart lernen, um die kulturellen, religiösen, sprachlichen Besonderheiten zu erfassen. Es ist doch klar, dass dann auch Fehler geschehen. Wir müssen dennoch an unserer Aufgabe festhalten und nach vorne gehen.

    Müller: Fehlt bei den Amerikanern eine gute Ausbildung für das Verständnis anderer Kulturen?

    Abizaid: Es gibt durchaus politisch-kulturelle Bildung, aber dort sind so viele Soldaten stationiert, die haben ihren harten Kampf zu kämpfen. Noch einmal: Es war in niemandes Absicht, dass so etwas geschehen konnte. Die übergroße Mehrheit der Soldaten ist sehr respektvoll gegenüber den Menschen - nehmen Sie die Bundeswehr im Norden. 99 Prozent aller unserer Soldaten verhalten sich so, dass die Länder, die sie entsenden, stolz auf sie sein können.

    Müller: General Abizaid, wenn wir auf die geplante Übertragung der Verantwortung auf die afghanische Polizei und auf die afghanischen Soldaten blicken - vor kurzem haben afghanische Sicherheitskräfte vier französische Soldaten erschossen. Soll das eine wirkliche Perspektive sein?

    Abizaid: Schauen Sie, ich weiß, wie schwierig solche Einsätze sind. Sobald man aber entschlossen hat, diese Mission auf sich zu nehmen, muss man mit einer ganzen Reihe von Problemen sich auseinandersetzen. Menschen, die für die Regierung arbeiten, oder die die Truppen der Afghanen unterwandert haben, können dann durchaus die Ausbilder, die Berater angreifen. Das geschieht leider viel zu oft. Es sind höchst bedauerliche Zwischenfälle. Aber noch einmal gilt: 99 Prozent aller afghanischen Soldaten, aller Mitarbeiter der afghanischen Ministerien arbeiten hart daran, die Lage im Land zu verbessern. Darauf sollten wir uns richten. Wir sollten uns nicht von diesem ein Prozent an bedauerlichen Zwischenfällen ablenken lassen, die in der Tat geschehen. Ich glaube, dieser Weg nach vorne ist der einzig gangbare Weg.

    Müller: Gibt es eine Friedensperspektive am Hindukusch, ohne dass die Taliban beteiligt werden?

    Abizaid: Ja, es besteht eine Aussicht auf Frieden in Afghanistan, und beim Aushandeln dieser Möglichkeit müssen zu einem bestimmten Zeitpunkt wohl auch die Taliban am Verhandlungstisch sitzen. Jedenfalls gilt es, nach vorne zu gehen mit Hilfe solcher Verhandlungslösungen.

    Müller: Das heißt in der Konsequenz, Sie müssen sich mit Terroristen an einen Tisch setzen?

    Abizaid: Nun, wir sollten sicherlich auf dem Verhandlungswege so vorgehen, dass wir ausschließen, dass am Ende dann die Taliban als legitime Teilhaber der Macht in Afghanistan auftreten. Wir wollen ja vor allem verhindern, dass es wieder zu so einem Geschehnis wie am 11. September kommen kann. Wir müssen die Möglichkeit ausschließen, dass Terroristen Afghanistan erneut als Ausgangsbasis für ihre terroristischen Angriffe auf andere Länder nutzen.

    Müller: General Abizaid, bis Ende 2014 sollen sich ja die westlichen Truppen komplett zurückgezogen haben. Werden die Taliban an die Macht zurückkehren?

    Abizaid: Ich glaube nicht, dass die Taliban wieder an die Macht gelangen werden, vor allem, weil die Afghanen selbst dies nicht wollen und weil sie alles tun werden, um das zu verhindern. Wir vergessen ja mitunter, dass es ganz unterschiedliche ethnische Gruppen in Afghanistan gibt, die unterschiedliche Interessen und auch unterschiedliche Erfolgsstrategien haben. Das alles gilt es, klug zu bewältigen und zu verwalten. Wir haben es ja nicht nur mit den Paschtunen zu tun, sondern mit ganz unterschiedlichen Stämmen, den Hasaris, den Tadschiken, den Usbeken. Alle diese haben unterschiedliche Interessen, können aber zusammenwirken, um die Gesamtsituation in Afghanistan voranzubringen.

    Müller: Blicken wir auf die nächste Krisenregion, blicken wir auf den Iran. Soll Barack Obama mit der militärischen Option drohen?

    Abizaid: Nun, das Weiße Haus wird das tun, was es für geraten hält. Der Oberkommandierende im Weißen Haus wird die Entscheidungen treffen, die ihm notwendig erscheinen. Soweit ich ihn bei seiner jüngsten Rede richtig verstanden habe, fordert er zur Geduld auf. Auch wir als Militär sind keineswegs besonders erpicht darauf, jetzt zu militärischen Taten zu schreiten. Ich glaube, der Präsident hat es sehr klug eingerichtet, dass er die anderen Möglichkeiten, die ein Staat hat, stark machte - die Diplomatie, Sanktionen und so weiter und so weiter. Sollte er aber die militärischen Mittel nutzen wollen, so sind sie bereit und sie stehen ihm zu Gebote. Das ist sicherlich eine Option, er hat sie auch nicht ausgeschlossen, sie bleibt weiterhin auf dem Tisch liegen.

    Müller: Werden aber die Israelis so viel Geduld haben?

    Abizaid: Nun, ich kann mir kein Urteil erlauben über das, was die Israelis denken. Ich weiß, dass der israelische Premierminister und einige führende Politiker immer wieder sagen, die Uhr laufe ab. Ich weiß nicht, aufgrund welcher Erkenntnisse sie das sagen, aber unser Präsident hat doch auch auf Seiten der Israelis zur Geduld gemahnt. Für uns ist es aber wichtig zu begreifen, dass in diesem Fall die israelischen Interessen und unsere ganz unterschiedlich sind.

    Müller: Wird Jerusalem nichts unternehmen, ohne die Zustimmung des Weißen Hauses?

    Abizaid: Israelis werden tun, was sie tun werden.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk US-General John Abizaid, vormals Oberkommandierender der amerikanischen Streitkräfte im Nahen und Mittleren Osten.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.