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Die Umar-Affäre
Der niederländische Fall Böhmermann

Seit die niederländische Kolumnistin Ebru Umar wegen einer getwitterten Erdogan-Kritik in ihrem türkischen Ferienhaus festgenommen wurde, sind nicht nur die Beziehungen zwischen den beiden Regierungen angespannt. Viele Niederländer blicken mit Sorge auf die im Land lebenden Türken.

Von Kerstin Schweighöfer | 29.04.2016
    Umar kommt mit roter Jacke und einem Handy in der Hand aus einem Gebäude. Neben ihr steht ein Mann mit Brille.
    Die niederländische Journalistin Ebru Umar am 24.4.2016 nach ihrer Freilassung in der westtürkischen Stadt Kusadasi. (Str)
    Ihre Texte werden mit Dolchstößen verglichen. "Giftstreuerin" wird sie auch genannt. "Manchmal schießt sie über's Ziel hinaus", muss ihre Mutter zugeben, eine Augenärztin. "Diplomatisch war sie nie, die Politik wäre nichts für sie", so der Vater, ein pensionierter Pathologe.
    Ebru Umar, 1970 in Den Haag als Tochter türkischer Immigranten geboren, hat statt dessen als Kolumnistin Karriere gemacht. Die 45-Jährige sieht sich als Erbin von Theo van Gogh, des islamkritischen Regisseurs, der 2004 in Amsterdam von einem islamistischen Fundamentalisten ermordet worden war. Noch verbissener setzt sich Umar seitdem für das freie Wort ein, noch radikaler ist sie in ihrer Kritik am Islam geworden.
    An verbale Bedrohungen hatte sich die zierliche Frau längst gewöhnt; einmal hat man sie sogar zusammengeschlagen. Doch dass sie nun auch in ihrem türkischen Ferienhaus verhaftet wurde, das war neu: "Ich wurde aus dem Bett geholt. Ich dachte erst, es ist die Nachbarin, die da so gegen die Tür hämmert. Doch es waren zwei Polizisten. Ich musste mit aufs Revier und dort die ganze Nacht bleiben, wegen zwei kritischen Tweets, sagte man mir. Jetzt bin ich wieder frei, aber ich darf die Türkei nicht verlassen."
    Umar hatte den türkischen Präsidenten Erdogan als "größenwahnsinnigsten Diktator seit der Gründung der türkischen Republik 1923" bezeichnet. Kurz zuvor hatte das türkische Konsulat in Rotterdam die rund 380.000 Türken in den Niederlanden aufgerufen, sämtliche Beleidigungen Erdogans per E-Mail umgehend zu melden. Umar ist sich sicher, dass so genannte "Petz-Hotline" zu ihrer Verhaftung geführt hat.
    Debatte über den "langen Arm Erdogans" im niederländischen Parlament
    Die Empörung über den Aufruf war groß – auch wenn das Konsulat sich beeilte, zu betonen, es gehe um ein Missverständnis. Und Ministerpräsident Mark Rutte trotz allem versuchte, Humor zu beweisen: "Es kann nicht so sein, dass in den Niederlanden lebenden Türken die Einreise in die Türkei verwehrt wird, nur weil sie sich irgendwann einmal kritisch über die dortige Regierung geäußert haben. Wenn alle Leute, die Negatives über mich gesagt haben, nicht mehr in die Niederlande dürften, wäre es hier bei uns ziemlich still."
    Inzwischen kann von Humor keine Rede mehr sein. Dafür hat die Verhaftung von Umar gesorgt. Den Haag hat sich dafür entschieden, lautstark zu protestieren, anstatt sich wie sonst in solchen Fällen in stiller Diplomatie hinter den Kulissen zu üben. Außenminister Koenders knöpfte sich sofort seinen türkischen Amtskollegen Cavusoglu vor, Rutte den türkischen Premierminister Davutoglu.
    Ungewöhnlich heftig wies Rutte denn auch die Vorwürfe der Opposition zurück, sein Kabinett fasse die türkische Regierung trotz allem noch mit Samthandschuhen an, wegen des Türkei-Deals der EU. Der lange Arm von Erdogan reiche dadurch bis nach Den Haag: Absoluter Quatsch, konterte Rutte: "Das eine hat mit dem anderen nicht das geringste zu tun. Bei Umar geht es um fundamentelle Rechte wie die Pressefreiheit. Darüber lässt sich nicht verhandeln. Das will ich ein für allemal klarstellen."
    Über den "langen Arm Erdogans" will das niederländische Parlament nächste Woche debattieren. Denn viele in den Niederlanden lebende Türken haben die Verhaftung Umars ganz ungeniert begrüßt und sogar bejubelt. "Sie alle unterstützen einen Mann, der unsere Freiheiten nicht anerkennt – eine sorgenvolle Entwicklung", findet das junge rechtsliberale Amsterdamer Gemeinderatsmitlied Dilan Yesilgoz, selbst eine türkische Immigrantin. "Dieser Debatte dürfen wir nicht aus dem Weg gehen!"