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"Die Unterstützung für Europa ist deutlich erodiert"

Als Folge der Banken- und Wirtschaftskrise verliere der Prosperitätstraum Europa zunehmend an Bindekraft, sagt der Politologe Herfried Münkler. Profitieren würden davon insbesondere die politische Rechte und die politische Linke, die nie starke Sympathien für Europa entwickelt hätten.

Herfried Münkler im Gespräch mit Sandra Schulz | 11.06.2012
    Sandra Schulz: Schon ein knappes Dutzend Regierungen hat es getroffen in Europa, sie sind gescheitert oder gestolpert über die Krise oder ihrer Krisenpolitik, abgewählt oder zurückgetreten. Irland gehört dazu, Portugal, Spanien, Italien, die Slowakei. In Griechenland sind zuletzt die Parteien, die die Sparpolitik mitgetragen haben, bei den Wahlen abgestraft worden, eine Regierungsbildung scheiterte, darum wird Ende der Woche schon wieder gewählt. Und nicht zuletzt mit seiner Opposition gegen die Sparpolitik von Angela Merkel hat sich in Frankreich Francois Hollande durchgesetzt mit seinem Weg in den Élisée-Palast, nach der ersten Runde der Parlamentswahlen in Frankreich zeichnet sich auch eine Abkehr von der konservativen Partei, von der UMP ab. Gleichzeitig erstarkt die extreme Rechte. Macht also vielleicht die Krise Politik in Europa und welche? Darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon begrüße ich Herfried Münkler, Professor am Lehrstuhl Theorie der Politik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Guten Morgen.

    Herfried Münkler: Guten Morgen, Frau Schulz.

    Schulz: Griechenland hat gegen die Sparpolitik votiert, Frankreich auch, in den Niederlanden zeichnet sich das auch so ähnlich ab. Geht Europa nach links in der Krise?

    Münkler: Ja, offenbar geht es jetzt nach links, jedenfalls Teile von Europa, nachdem zuvor – Sie hatten das angesprochen – das teilweise nach rechts gegangen ist in der Entwicklung des Rechtspopulismus. Das Interessante dabei ist, dass Deutschland offenbar bislang und auf Sicht außerhalb dieser Polarisierungsbewegung bleibt. Die Deutschen haben hier also nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch eine gewisse Sonderrolle inne. Man kann sagen, dass weder die Linkspartei, noch die SPD aus der Entwicklung entsprechend politisches Kapital haben schlagen können.

    Schulz: Spielt dabei eine Rolle, wie gut oder schlecht das Krisenmanagement wahrgenommen wird?

    Münkler: Ja das weiß ich nicht, ob es das Krisenmanagement selber ist. Jedenfalls die Auswirkungen der Krise auf die Beschäftigungssituation der Leute, auf ihr Einkommen, das spielt erkennbar eine Rolle. Nun ist das natürlich auch einer der klassischen Mechanismen, auf die in Wahlen reagiert wird beziehungsweise im Hinblick auf die politische Parteien ihre Versprechungen und ihre Programme formulieren. Insofern ist das im Prinzip nichts besonders Aufregendes. Nur kann man sagen, dass in der Vergangenheit es eine gewisse Asynchronie in Europa gegeben hat. Das heißt, die Krisen haben sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten in verschiedenen Ländern entwickelt und durch den Euro unter anderem ist es jetzt zu einer Synchronität dieser Entwicklung gekommen, sodass die Ereignisse sehr viel dramatischer auf uns zukommen, als das früher der Fall gewesen ist.

    Schulz: Wobei die Richtung, die die Wähler vorgeben, ja offenbar dann doch in zwei Richtungen weist, und darauf würde ich jetzt gerne noch mal zurückkommen. Gestärkt ist auch – das war wie gesagt in Griechenland so, in Frankreich auch, in den Niederlanden zeichnet es sich ab – die extreme Rechte. Warum?

    Münkler: Na ja, man kann zunächst einmal sagen, dass die politische Rechte und auch die politische Linke nie besonders starke Sympathien für Europa entwickelt haben – die Rechten, weil für sie die Nation als identitätsverbürgendes Element von so großer Bedeutung ist, und die politische Linke, weil sie den Staat als Operator von politischem Handeln braucht, und zwar eigentlich den Staat, den sie durch Wahlen erobern kann, um mit dem dann entsprechende politische Programme durchzusetzen. Das heißt, proeuropäisch waren eigentlich klassisch die Parteien der Mitte – das kann in Italien und Frankreich dann auch jeweils die Linke oder die bürgerliche oder rechte Mitte sein -, und die allerdings haben in hohem Maße darauf gesetzt, dass Europa ein großer Prosperitätsraum ist, das heißt ein Europa des Sonnenscheins, ein Europa ohne Krise, ein Europa ohne Probleme, so haben sie auch ihre Verträge angelegt. Und nachdem das jetzt nicht mehr der Fall ist, kommt es also zu einer zentrifugalen Bewegung, und die ist ganz schön kräftig.

    Schulz: Und umgekehrt hieße das auch, dass das jetzt auch die Zeit ist, in der man sich, jetzt wie gesagt umgekehrt formuliert, auf einen neuen Nationalismus zurückzieht?

    Münkler: Das ist wohl so der Fall. Jedenfalls die Unterstützung für Europa ist deutlich erodiert. Das zeigen eigentlich alle Umfragen. Nun muss man auch sagen, Europa war in der Vergangenheit in hohem Maße ein Elitenprojekt, das von den wirtschaftlichen und politischen Eliten vorangetrieben worden ist und das nur mäßige Aufmerksamkeit und eigentlich nie wirkliche nachhaltige Unterstützung in der Bevölkerung gefunden hat. Man kann das ja an dem Scheitern der europäischen Verfassung in Frankreich und den Niederlanden vor Jahren sehen und an dem sozusagen sehr schmalbrüstigen Ersatz, der dafür geschaffen worden ist mit Lissabon, und auch da mussten teilweise Abstimmungen wiederholt werden. Das heißt sozusagen, man war in dieser Situation eigentlich auch nie mit einer breiten Unterstützung ausgestattet, und die erodiert jetzt und da ist es eigentlich klar, dass hier sowohl für die politische Linke als auch für die politische Rechte der eigene Nationalstaat der Adressat ist, mit dem man glaubt, sich aus Europa freimachen zu können. Und dann kommt noch die übliche populistische Rhetorik dazu, alles was schief läuft ist in Brüssel gemacht worden.

    Schulz: Ich würde gerne noch ein bisschen pauschaler fragen. Wie gefährlich ist die Krise für die Demokratie?

    Münkler: Ja, ich meine, gut: Es ist ja in der Vergangenheit mehrfach gesagt worden, gerade jetzt mit Blick auf Griechenland, wenn der Internationale Währungsfonds und Brüssel die Bestimmung über den Staatshaushalt übernimmt, dann sei das eine Krise der Demokratie. Das, glaube ich, ist aber eine falsche Überlegung, denn wenn wir uns das mal vorstellen, ein Haushalt, der seine Schulden hat und der jetzt nicht patriarchaisch-autoritär in dem Sinne funktioniert, dass der Vater alles entscheidet, sondern Vater, Mutter, Kinder beraten immer wieder gemeinsam darüber, was zu machen ist, dann kann man aus dem Umstand, dass bestimmte Abführungen an die Banken, also Zinsen zu zahlen sind und Rückzahlungen, nicht schließen, dass die Beratungen der Familie sozusagen jetzt nicht mehr stattfinden, sie haben halt nur einen eingeschränkten Spielraum. Das ist aber völlig klar, dass wenn man Verbindlichkeiten eingegangen ist, dass die auch die Spielräume verengen. Ich würde sagen, die Krise ist eher eine Gefährdung Europas als eine Gefährdung der Demokratie. Die Demokratie ist im Prinzip ein Mechanismus, der vielleicht sogar in dieser Krise an Bedeutung gewinnt, aber Europa verliert zunehmend an Bindekraft.

    Schulz: Der Politologe Herfried Münkler von der Berliner Humboldt-Universität, heute in den "Informationen am Morgen" hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank Ihnen.

    Münkler: Bitte schön.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Herfried Münkler, Politikwissenschaftler an der HU Berlin
    Herfried Münkler, Politikwissenschaftler an der HU Berlin: "Proeuropäisch waren eigentlich klassisch die Parteien der Mitte." (Humboldt Universität Berlin)