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Die Utopie wird Wirklichkeit

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Ursula Welter | 28.10.2001
    Margaret Thatcher: Im Falle der Wiedervereinigung würde die deutsche Bevölkerung auf 80 Millionen ansteigen. Sie hätte dann eine beherrschende Stellung. Sowohl der Zahl nach als auch durch ihre politische und wirtschaftliche Macht - Zwischenfrage: Beunruhigt Sie das ? - Ja.

    Margaret Thatcher ist nicht die Einzige, die 1989 beunruhigt ist. Da fällt die Mauer und man weiß nicht, ob sich das vereinte Deutschland ebenso bequem in Westeuropa einfügen wird wie die alte Bundesrepublik. Der französische Staatspräsident, Francois Mitterrand, sieht gar Sachsen und Preußen wiederauferstehen und blickt, wie seine Kollegin jenseits des Kanals, ausgesprochen skeptisch auf das größer werdende Deutschland.

    Dass der Euro einzig ein Resultat solcher Ängste sei, wird von den Gegnern der Währungsunion gerne gesagt. Ist die gemeinsame Währung Europas also das Resultat eines politischen Kuhhandels: Wir opfern Euch die Mark, wenn Ihr uns die Wiedervereinigung erlaubt ?

    Ganz so simpel ist das politische Strickmuster sicher nicht, und doch muss ein Zusammenhang zwischen deutscher Wiedervereinigung und europäischer Währungsunion nicht erst konstruiert werden, es gibt ihn.

    Anfang Dezember des Umbruchjahres 1989 beschließt der Europäische Rat unter französischem Vorsitz eine engere Zusammenarbeit in der Wirtschafts- und Währungspolitik. Helmut Kohl lässt von nun an keine Gelegenheit aus, Deutschlands feste Verankerung in Europa zu betonen. Als Beleg nennt der Bundeskanzler in jeder größeren Rede, sei es vor nationalem oder internationalem Publikum, die Idee des gemeinsamen Geldes.

    In dieser historischen Situation trifft es sich, dass das Projekt Währungsunion niemals ganz ad acta gelegt worden ist. Obwohl alle Versuche bis hierhin gescheitert sind. Als die Mauer fällt arbeitet bereits seit zwei Jahren eine Expertengruppe unter Leitung von EU Kommissionspräsident Jacques Delors an neuen Vorschlägen- eine internationale Expertengruppe, der übrigens auch ein Westfale namens Hans Tietmeyer angehört.

    Gedanke muss also nur aufgegriffen werden - Helmut Kohl und Francois Mitterrand tun das. Der deutsch-französische Antriebsmotor läuft auf Hochtouren: Gemeinsames Geld und eine politische Union sind die beiden großen Zielmarken, die von Bonn und Paris gesetzt werden.

    Das Gipfeltreffen von Maastricht im Dezember 91 bringt in puncto politischer Integration nur bescheidene Fortschritte - so bleiben etwa die Verabredungen für die Außen- und Sicherheitspolitik vorerst vage, Pläne zur einheitlichen Justiz- und Innenpolitik werden auf die lange Bank geschoben und auch die institutionelle Reform bleibt aus . Was gelingt, ist der ökonomische Quantensprung. Zur Überraschung der meisten Teilnehmer vereinbaren die Staaten, spätestens bis zum 1. Januar 1999 eine gemeinsame Währung zu schaffen.

    Der Beschluss bedeutet nicht weniger als die totale Aufgabe der nationalen Souveränität binnen zehn Jahren auf einem eminent wichtigen Feld: Der Geldpolitik.

    Das Ende der Mark ist damit besiegelt. Zu Bedingungen, die weitgehend von deutscher Tradition geprägt sind: Unabhängigkeit der Notenbank von politischen Einflüssen; Orientierung der Geldpolitik an der Geldwertstabilität, nicht am Konjunkturverlauf; strenge Auflagen für den Eintritt in den Währungsclub: Stabile Preise, niedrige Zinsen, stabile Wechselkurse, solide Haushaltspolitik.

    Ein Mitglied der deutschen Delegation bemerkt nach dem Maastrichter Gipfel, man habe sich gewundert, dass die übrigen Europäer diese strengen Auflagen akzeptiert hätten. Horst Köhler, Finanzstaatssekretär und Mitverfasser des Vertrages meint, mit Maastricht sei die deutsche Währungsordnung nach Europa exportiert worden.

    Der Maastricht Vertrag ist gedruckt, und doch halten viele das Kapitel römisch VI - Wirtschafts- und Währungspolitik - für eine Utopie, für einen Plan, der nicht zur Umsetzung gelangen wird.

    So wie andere Pläne zuvor: Der "Werner-Plan" beispielsweise, benannt nach dem luxemburgischen Ministerpräsidenten der 70er Jahre. Sein Papier gilt als erster konkreter Versuch einer Wirtschafts- und Währungsunion. Auch Pierre Werner veranschlagte für sein Vorhaben rund zehn Jahre - scheitert jedoch an stark divergierenden Ansichten in der Wirtschafts- und Geldpolitik, an unterschiedlichen Reaktionen auf die Ölpreisschocks und nicht zuletzt an fehlendem politischen Willen.

    Dieser Wille ist um die Jahreswende 1990 mit Händen greifbar und verhilft dem lang gehegten Plan zum Durchbruch . Und doch ist der Gipfel von Maastricht erst der Anfang eines zehnjährigen Hürdenlaufs.

    Zwar stimmen Bundestag und Bundesrat im Dezember 92 mit großen Mehrheiten dem Vertrag zu. Aber es soll ein weiteres Jahr vergehen, bis auch Deutschland seine Unterschrift leistet. Politiker der Grünen und das damalige FPD-Mitglied Manfred Brunner haben Verfassungsklage eingereicht gegen die Europapolitik der Bundesregierung.

    Im Herbst 93 weist Karlsruhe die Klage zurück: Der Maastricht Vertrag sei vereinbar mit dem Grundgesetz, ein Grundrecht auf die D-Mark gebe es nicht. Die Richter fordern allerdings die strikte und penible Einhaltung der sogenannten "Maastricht Kriterien".

    In den folgenden zwei Jahren bleibt es mehr oder weniger ruhig um die europäische Währungsunion. Die Öffentlichkeit registriert eher beiläufig, dass bereits zwei Stufen gezündet sind: Die Liberalisierung der Kapitalmärkte und die Gründung des Europäischen Währungsinstituts am ersten Januar 1994.

    Auf Touren kommt die öffentliche Debatte erst im Herbst 1995. Absichtlich oder zufällig tritt der deutsche Finanzminister, Theo Waigel, eine Lawine los. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet als erste, dass Waigel vor dem Haushaltsausschuss des Bundestages den Italienern und den Belgiern die Qualifikationsreife für das - damals noch ECU genannte - gemeinsame Geld abgesprochen habe. Deutschlands Nachbarn sind empört. Offenbar wolle Bonn in letzter Sekunde die Mark retten und das Jahrhundertprojekt zum Scheitern bringen.

    Am 5. Oktober 1995, beim Gipfeltreffen auf Mallorca, versucht Helmut Kohl , die übrigen Europäer zu beruhigen: Und ich denke auch, dass die Kollegen, wenn Sie mir erlauben das persönlich zu sagen hier, sehr begriffen haben, dass ich persönlich hier meine volle politische Existenz einbringe, in diese spezielle Frage, dass das Haus Europa gebaut wird. Das ist sehr deutlich ausgesprochen worden, wie ich es ja auch in Deutschland unentwegt ausspreche - und das ist sicherlich nicht gänzlich ohne jede Bedeutung !

    Angesprochen auf die Äußerungen Theo Waigels kontert Kohl : Und ich habe dort betont, dass es das deutsche Interesse ist, dass möglichst viele die Kriterien erreichen und dass wir möglichst viele am Start sehen und dass es jetzt wenig Sinn macht, darüber zu reden, wer dies wohl schafft oder nicht schafft.

    Was aussieht wie ein Streit zwischen Regierungschef und Finanzchef, entpuppt sich später als kluges Kalkül. So unlieb, wie es den Anschein hat, ist auch dem Kanzler die neue Aufmerksamkeit nicht, die dem Projekt Währungsunion nun zuteil wird. Die Bundesregierung will, angeleitet durch die Bundesbank, den Maastricht Vertrag in einem entscheidenden Punkt nachbessern: Durch eine Zusatzvereinbarung soll die Finanzdisziplin über den Tag X des Beginns der Währungsunion hinaus gewahrt werden.

    Zwar sieht auch der Vertrag von Maastricht Sanktionen vor gegen Haushaltssünder, die bereits Mitglied im Währungsclub sind. Das Verfahren gilt jedoch als zu schwerfällig und wenig durchsetzungsfähig. Deshalb schlägt die deutsche Regierung ihren Partnern beim Ratstreffen 1995 in Valencia einen sogenannten "Stabilitätspakt" vor. Diese Zusatzvereinbarung wäre - anders als der eigentliche Vertrag von Maastricht - nicht völkerrechtlich bindend. Aber immerhin wäre sie ein Signal, dass das sparsame Haushalten mit Beginn der Währungsunion weitergeht.

    Zwar wird dem Pakt auf dem Amsterdamer Gipfel der Biss genommen: Paris setzt durch, dass das Paket "Stabilitäts- und Wachstumspakt" heißen soll - ein semantischer Hinweis auf die alte Tradition der "pouvoir politique", der gewünschten politischen Einflussnahme auf die Geldgeschäfte. Und auch der von Theo Waigel geforderte Automatismus zur Verhängung von Sanktionen bleibt auf der Strecke . Aber ein Signal ist gesetzt.

    Und dieses Signal sendet die Regierung Kohl an die Kritiker im Inland. Die Mehrheit der Deutschen empfindet die geplante Abschaffung der Mark als Zumutung, und da soll ausgerechnet im Wahljahr 98 über den Teilnehmerkreis für die Währungsunion entschieden und der Vertrag von Maastricht weit interpretiert werden ?

    Wer immer 1995 gefragt wird, ob die Währungsunion termingerecht komme, ist skeptisch. Auch Helmut Schmidt. Er hält die Bundesbank für den eigentlichen Verhinderer - so fresse, wie man im Norden sage - der Bundesbankpräsident "über den Zaun", weil er ständig die politische Union als Voraussetzung für die Währungsunion fordere. Sie erkennen daraus, dass zum Beispiel in der Bundesbank Tendenzen da sind, nach Möglichkeit das Zustandekommen einer gemeinsamen Währung, wenn nicht zu verhindern, so doch möglichst weit rauszuschieben.

    Wenige Monate später meldet sich Helmut Schmidt in der ZEIT mit einem flammenden Appell zugunsten der Währungsunion zu Wort. Den Anlass hat ihm diesmal nicht die Bundesbank geliefert. Den Anstoß dazu geben die Genossen in der eigenen Partei. Zwei Interviews prominenter Sozialdemokraten lassen am letzten Oktober-Wochenende des Jahres 95 Zweifel an der Vertragstreue der Opposition aufkommen: Gerhard Schröder, Ministerpräsident von Niedersachsen, erklärt im SPIEGEL, die Währungsunion könne sich durchaus als "nationales Wahlkampfthema" eignen. Und Rudolf Scharping, der Parteichef der SPD, sagt im DEUTSCHLANDFUNK: Für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ist eines wichtig: Haben wir stabiles Geld ?Und für irgendeine Idee, die dann am Ende keine wirtschaftliche Stabilität und keine Stabilität des Geldes signalisiert, die DM aufzugeben, hielte ich für falsch.

    Die einheitliche Währung Europas "irgendeine Idee" ? Vor allem die Befürworter der Währungsunion innerhalb der SPD sind erbost über diese Bemerkung ihres Vorsitzenden. Aufrufe zugunsten der Währungsunion werden verfasst, Prominente Sozialdemokraten von Johannes Rau bis Ingrid Matthäus-Maier gehören zu den Unterzeichnern. Am Ende der kurzen, aber heftigen Debatte steht ein Parteitagsbeschluß, der ein klares Ja der SPD zur europäischen Einheitswährung bringt.

    Für Helmut Kohl ist aber ohnehin nicht eine schwankende Opposition das Problem. Sein Problem sind die Kritiker in den eigenen Reihen. Die, die an der Stabilität des neuen Geldes Zweifel hegen und dem Volk dabei aufs Maul schauen. Allen voran erklärt Peter Gauweiler in München, er sei gegen dieses "Esperanto-Geld", das offiziell inzwischen "Euro" genannt wird.

    Gauweilers Bemerkung löst innerhalb der CSU eine Diskussion aus. Auch diese Diskussion endet mit einem Parteitagsbeschluß. Im Frühsommer 1997 sorgen die Bayern für Aufsehen in ganz Europa: Die CSU legt fest, dass kein Land mehr als drei Prozent Neuverschuldung mit in die Währungsunion bringen dürfe. Und drei heiße drei-komma-null ! Den Spielraum, den der Maastricht Vertrag bei diesem Schulden-Kriterium ausdrücklich lässt, ignorieren die Bayern.

    Damit ist die Verschiebungsdebatte in vollem Gange. Denn selbst Deutschland hätte Schwierigkeiten mit einer Punktlandung auf 3,0 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die Gegner der Währungsunion wittern Morgenluft.

    Der bayerische Ministerpräsident, Edmund Stoiber, sagt, was die Mehrheit der Deutschen denkt: Der Zeitplan müsse hinter der Qualität zurückstehen. Stoiber im DEUTSCHLANDFUNK: Ich führe keine Verschiebungsdiskussion, ich will nicht eine Verschiebung, aber ich wehre mich dagegen, dass man sozusagen die Verschiebung zum Tabu erklärt und Horrorszenarien aufbaut, dass man sagt, wenn der Euro jetzt verschoben würde, dann würde sozusagen ein Chaos auf den Finanzmärkten ein Chaos in der Wirtschaft und ähnliches entsteht, und wer so argumentiert, der geht eigentlich der Diskussion aus dem Weg, die da heißt: Wollt Ihr einen weichen Euro und der weiche Euro wäre natürlich genau das Gegenteil von dem, was wir wollen.

    Die Fachleute in Brüssel warnen davor, am Zeitplan zu rütteln: Was in Maastricht gelang, werde so bald nicht wieder gelingen. Verschieben hieße, den Vertrag neu verhandeln zu müssen, alle Unterschriften erneut einzuholen - denn der Vertragstext nennt ausdrücklich den 1.1.99 als letztmögliches Datum für den Beginn der dritten und entscheidenden Stufe der Währungsunion.

    Dieses Argument ist ein politisches Argument. Die ökonomischen Bedenken sind damit nicht beseitigt. In Deutschland warnen eine Reihe von Professoren und Sachverständige vor den Unzulänglichkeiten des Maastricht Vertrages. Nicht nur, dass die Euro-Reife überwiegend mittels "kreativer Buchführung" erschlichen werde - vor allem bleibe die Gefahr der politischen Einflussnahme auf die Notenbank und es fehle für eine einheitliche Währung die notwendige Abstimmung der Staaten auf den Feldern der Sozial- und Steuerpolitik.

    Den kritischen Ökonomen stehen andere gegenüber, die öffentlich für die Einführung des Euro eintreten. Stabile Wechselkurse seien von großem Vorteil für die exportorientierte deutsche Wirtschaft, der Binnenmarkt gelange mit ein und derselben Währung erst zur Entfaltung.

    Diesen Professoren, die den Euro befürworten, gilt am 12. Januar 1998 das ausdrückliche Lob Helmut Kohls. Vier andere Ökonomen und Staatsrechtler nimmt er dagegen an diesem Tag aufs Korn. Während Kohl vor dem Deutschen Beamtenbund in Kissingen spricht, werfen in Karlsruhe vier Kläger ihre dreihundert Seiten starke Kritik am Euro in den Briefkasten des Bundesverfassungsgerichts. Der frühere Hamburger Notenbankchef Nölling, der Staatsrechtler Schachtschneider und die Wirtschaftswissenschaftler Starbatty und Hankel wollen den Euro-Zug stoppen. Sie zweifeln an der Stabilität des neuen Geldes. Wenn man noch einmal alle nachlesen würde, die Gurus jener Zeit im Sommer 48 wie die Prognose war für die D-Mark. Dann werden Sie zwar feststellen, dass das jetzt ganz andere Leute sind, die auf dem Lehrstuhl sitzen, aber der Unsinn, der verzapft wird, ist im Prinzip der Gleiche.

    Den Klägern aber ist es ernst. Joachim Starbatty, Volkswirt in Tübingen, sagt im DEUTSCHLANDFUNK: Wenn dieses Gericht feststellt, dass die Erfordernis der strikten und engen Interpretation des Maastricht-Vertrages nicht realisiert ist, dann muss das Bundesverfassungsgericht den Zeitplan stoppen. Das Bundesverfassungsgericht hat ja selbst gesagt, dass der Zeitplan nicht disziplinierend bindend wirkt, sondern eher als eine politische Vorgabe zu interpretieren sei.

    Das Bundesverfassungsgericht nimmt die Klage nicht an. Zum zweiten Mal zerschellen die Hoffnungen der Euro-Gegner an den Karlsruher Klippen.

    Der Zug wird nicht aufgehalten und durchläuft im Mai 98 eine seiner wichtigsten Stationen. Auf einem Sondergipfel in Brüssel werden die Teilnehmerstaaten ausgewählt. Obwohl ihr Schuldenstand doppelt so hoch ist wie in Maastricht zugestanden, sollen selbst Italien und Belgien von Anfang an dabei sein. Diese politische Entscheidung trifft die EU-Kommission. Die ökonomischen Bedenken, die seitens der Notenbanken geäußert werden, werden zu Protokoll gegeben. So kann der britische Schatzkanzler Gordon Brown am frühen Samstagmorgen des zweiten Mai dem versammelten Europa-Parlament mitteilen, dass elf Länder die Reifeprüfung bestanden haben. Alle, außer Griechenland, das die Kriterien zu deutlich verfehlt und außer Großbritannien, Schweden und Dänemark, die eine Teilnahme vorerst ablehnen, sind alle Länder dabei.

    Der Applaus kommt zu früh, der Tag, der ein Tag des Jubels werden sollte, endet im Desaster. Wie so oft scheiden sich die Geister in Europa an einer Personalie. Gestritten wird, wer erster Präsident der Europäischen Zentralbank werden soll.

    "Frankreich gegen den Rest Europas" heißt das Drama, das ausgeführt wird . Paris hat immer wieder Europäische Gipfel mit Niederlagen verlassen müssen: Deutschland erhält den Sitz der Notenbank, Deutschland setzt bei der Namensgebung EURO statt ECU durch , Deutschland fordert den Stabilitätspakt und bekommt ihn. Diesmal will Jacques Chirac nicht nachgeben: Ein Franzose, der renommierte Notenbankchef Jean-Claude Trichet, soll erster Präsident der EZB werden.

    Die übrigen Europäer, allen voran Deutschland, wollen dagegen den Niederländer Wim Duisenberg auf den Schild heben. Es kommt alles zusammen an diesem nebligen Frühsommertag: Bonn unterschätzt die Zähigkeit des französischen Staatspräsidenten, die noch junge Labour-Regierung leistet sich als Ratspräsidentin Fehler in der diplomatischen Vorbereitung des Gipfels und so treffen die Kontrahenten beim Mittagessen in der Brüsseler Zentrale kompromisslos aufeinander.

    Es wird das längste Mittagessen der europäischen Geschichte. Erst in der Nacht öffnen sich die Türen zur eigentlichen Ratstagung - das informelle Vorgespräch hätte fast zum Scheitern des Gipfels geführt. Ein sichtlich entnervter Helmut Kohl tritt vor die Presse: Es gab mehrere Situationen, wo ich sehr in Frage gestellt habe, ob die Konferenz heute zu einem Ergebnis kommt , dann wäre mit Sicherheit die Sitzung früher aus gewesen und heute wäre keine Entscheidung mit der Nomination des Präsidenten der EZB gefallen - ganz einfach. Es war ein ganz ungewöhnlich hartes Ringen und eine der in meiner Erfahrung in der europäischen Arbeit eine der schwierigsten Stunden.

    Was der sturmerprobte Helmut Kohl als "schwierigste Stunde" seiner Laufbahn bezeichnet, lässt sich später so rekonstruieren. Paris will den eigenen Kandidaten auf Biegen und Brechen durchsetzen. Die anderen bleiben hart. Chirac bietet an, die Amtszeit zu teilen: Vier Jahre Duisenberg, vier Jahre Trichet. Das aber wäre gegen den Vertrag von Maastricht - der sieht acht Jahre vor und vor allem darf kein Politiker Einfluss auf den EZB-Präsidenten nehmen -schon gar nicht darf man ihn drängen, seinen Stuhl zu räumen. Helmut Kohl will sich auf den Handel einlassen, Theo Waigel, weist auf den Vertrag und droht mit Abreise.

    Irgendwann zu nächtlicher Stunde kursiert ein Schreiben, eilig aufgesetzt, die Tippfehler nur leidlich korrigiert. Auf dem Sprechzettel Wim Duisenbergs steht, er habe aus persönlichen Gründen gar nicht vor, die volle Amtszeit zu bleiben. Wann er gehe, bleibe seine freie Entscheidung. Von Ämterteilung mit dem Franzosen keine Rede, aber Jacques Chirac ist einverstanden. Das fehlende Datum des Wechsels und der Hinweis auf die Freiwilligkeit seines Ausscheidens sollen die Vertragskonformität des Kuhhandels garantieren. Theo Waigel: Wir sind davon ausgegangen und haben das auch durchgesetzt, dass das, was verabschiedet wurde und was auch der Präsident Wim Duisenberg zum Ausdruck gebracht hat, vertragskonform ist, dass dabei seine Unabhängigkeit gewährleistet wird, und dass, so wie er es erklärt und selbständig und frei abgibt, dass auch zu Vertrauen und Akzeptanz führt. Vor allem finden sie weder im Beschluss noch in der Erklärung von Wim Duisenberg eine Beschränkung oder ein Datum.

    Der französische Staatspräsident triumphiert noch, als er als einer der ersten das Gipfelergebnis bekannt gibt. Seine Auslegung der getroffenen Vereinbarung klingt schon nicht mehr so vertragskonform wie Theo Waigel es im Saal nebenan Glauben machen will. Jacques Chirac nämlich nennt ein Datum für das Ausscheiden Duisenbergs aus dem Amt. Herr Duisenberg hat wissen lassen, dass er nicht vor hat , und zwar aus persönlichen Gründen, sein Mandat bis zum Ende wahrzunehmen aber dass er glücklich wäre den Weg des Euro so lange zu begleiten, bis die Scheine und Münzen ausgegeben sind und bis die nationalen Währungen zurückgezogen werden und das heißt nach der Vereinbarung des Gipfels von Madrid, dass er sein Mandat im ersten Halbjahr 2002 niederlegen wird.

    Als Jubelfeier geplant, hinterlässt der Sondergipfel einen bitteren Beigeschmack. Der erste Präsident der angeblich unabhängigen Notenbank ist nach französischer Lesart angezählt, der Vertrag aufs Äußerste gedehnt und die Stabilität der neuen Währung in Frage gestellt.

    Um so wichtiger ist den Europäern die Symbolik wenige Monate später. 3000 Luftballons steigen in den Himmel über Brüssel, die Wechselkurse der Währungen werden unwiderruflich festgelegt, die Zahlen werden feierlich enthüllt.

    Aber auch diesmal klappt es mit der Symbolik nicht reibungslos. Alle Finanzminister Europas sollen nach Brüssel reisen, um dem Festakt beizuwohnen, der für die Bürger nicht weniger bedeutet als die Abschaffung ihrer vertrauten Währungen. Doch ein Stuhl bleibt leer: Oskar Lafontaine, seit dem Regierungswechsel im September 98 deutscher Finanzminister, zieht es vor, seinen Weihnachtsurlaub für die Feierstunde in Brüssel nicht zu unterbrechen.

    Dennoch gelingt der Start des Euro. Der technische Übergang klappt reibungslos, von den Finanzmärkten wird das neue Geld in den ersten Handelstagen hochgejubelt, die Zeitungen schreiben von der "Geburt eines neuen Kontinents".

    Die Ernüchterung folgt auf dem Fuße. Im Innern bleibt das neue Geld zwar stabil, aber der Außenwert gerät ins Rutschen. Der Euro verliert den Konkurrenzkampf zum Dollar.

    Das macht den Deutschen den Abschied von der Mark nicht leichter. Und doch bereiten sie sich intensiv und mit der gebotenen Sorgfalt auf die letzte Etappe der Währungsunion vor: Den Austausch des Bargeldes ab 1. Januar 2002. Vergessen sind die politischen Kraftanstrengungen der frühen 90er Jahre, vergessen die Querelen und die Verschiebungsdebatte, vergessen das Wort des amtierenden Kanzlers, vom Euro als "kränkelnder Frühgeburt". Nicht vergessen ist, was Stabilität bedeutet. Wilhelm Vocke , der erste Präsident der Bank deutscher Länder, vor mehr als 50 Jahren formuliert hat: Es gibt ein Gesetz, eine allgemein Wahrheit. Wenn einer tüchtig arbeitet und fleißig ist und noch dazu sparsam, dann muss er es zu etwas bringen. Voraussetzung ist allerdings ein gesundes Geld, eine stabile Währung.