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Die venezolanische Kultur und der Notzustand
Es bleibt nur der Rückzug ins Private

Venezuela, eines der ölreichsten Länder der Welt, erlebt gegenwärtig die schlimmste Krise seiner jüngeren Geschichte. Es fehlt an allem. Das hat auch gravierende Auswirkungen auf die venezolanische Kultur, denn viele Veranstaltungen können etwa wegen Strommangels nicht mehr stattfinden. Wegen der Kriminalität gehen viele Abends nicht mehr aus.

Von Peter B. Schumann | 17.07.2016
    Professoren der Universität protestieren in Caracas.
    Professoren der Universität protestieren in Caracas. (imago )
    "Was kostet ein Kampf für ein geliebtes Land? 25.000 Ermordete im letzten Jahr. Die Revolution längst sinnentleert und gescheitert, doch hier singt nicht nur eine Stimme, sondern viele, ein Schmerz von vielen für ein Venezuela, das noch längst nicht verloren ist." Yordano, ein berühmter venezolanischer Sänger, steht auf der Bühne des Trasnocho Cultural und singt für ein besseres Venezuela.
    Das war Anfang des Jahres, und das bedeutendste private Kulturzentrum von Caracas mit seinen vier Kinos und zwei Theatern, einer Kunstgalerie, Buchhandlung und erlesener Gastronomie frequentierten täglich Tausende Besucher. Doch wenig später zwang Präsident Maduro alle Großverbraucher, abends zwischen 19 und 21 Uhr Strom zu sparen. Zur ohnehin schon katastrophalen Versorgungslage war eine sich ständig verschärfende Energiekrise hinzugekommen.
    Die meist privaten Kulturveranstalter mussten ihre Aktivitäten auf das Nötigste reduzieren. Auch das Trasnocho Cultural. Dessen Leiterin, Solveig Hoogesteijn, ist empört. "Um 19 Uhr können Läden schließen, aber doch keine kulturellen Veranstaltungen. Die Leute hören normalerweise um 17 Uhr auf zu arbeiten, also kann ich zu der Zeit noch kein Programm machen. Ab 21 Uhr geht es auch nicht mehr, weil die Leute wegen der hohen Straßenkriminalität nicht mehr zu späten Vorstellungen gehen. Zwischen 19 und 21 Uhr ist die wichtigste Zeit für unsere Aktivitäten."
    Das Trasnocho Cultural musste seinen Theater- und Kinospielplan erheblich ausdünnen. Vielerorts wurde der Spielbetrieb völlig eingestellt. Und durch den verheerenden Mangel an Devisen kamen auch die internationalen Kulturbeziehungen weitgehend zum Erliegen – wie der Soziologe Manuel Silva-Ferrer berichtet. "Hier wird nur noch auf Sparflamme gearbeitet. Großunternehmen wie die Majors aus Hollywood halten die Stellung, weil sie auf Veränderungen hoffen. Alle ausländischen Verlage haben das Land verlassen, denn bei einer Inflation von nahezu 500 Prozent lässt sich nur noch Verlust machen. Auch internationale Fernsehgesellschaften, die hier viel produzierten, haben sich völlig zurückgezogen. Und so sieht es auch in anderen Bereichen aus. Das Land isoliert sich kulturell immer stärker."
    Selbst das Angebot der staatlichen Kulturinstitutionen wurde immer unattraktiver. "Die venezolanischen Museen gehörten früher zu den bedeutendsten in Lateinamerika. Sie sind heute so gut wie tot. Die Nationalgalerie ist am Wochenende menschenleer. Von den 16 oder 18 Sälen des berühmten Museums der Schönen Künste sind nur noch zwei geöffnet, und diese befinden sich in sehr schlechtem technischen Zustand."
    Am prekärsten ist die Lage der privaten Kulturszene. Sie entstand vor gut einem Jahrzehnt, als alle Oppositionellen aus den staatlichen Institutionen entfernt wurden. Die regierungskritischen Kulturschaffenden gründeten kurzerhand private Theater, Galerien und Kulturzentren wie das Trasnocho Cultural. Doch jetzt bleiben viele Besucher aus, die Venezolaner ziehen sich immer mehr ins Private zurück - beobachtet der Soziologe Manuel Silva-Ferrer. "Die Abwanderung aus dem öffentlichen in den privaten Bereich war zuerst politisch bedingt und ist sehr charakteristisch für autoritäre Regimes. Dieser Trend ist jetzt im intimsten Bereich, in der Wohnung angekommen. Abends und selbst am Wochenende bleiben die Leute lieber zu Hause und treffen sich dort mit Freunden - wegen der Kriminalität und weil es sich viele nicht mehr leisten können, ins Kino oder ins Theater zu gehen.