Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


"Die Verhandlungen sind im Gange"

Das Interesse aller in Afghanistan stationierten Nationen muss es sein, einen geordneten und ehrenvollen Abzug zu organisieren, meint der Journalist Peter Scholl-Latour. Wirtschaftliche Interessen habe man von deutscher Seite in dieser Kriegssituation am Hindukusch nicht, betont der Afghanistankenner.

Peter Scholl-Latour im Gespräch mit Christoph Heinemann | 28.05.2010
    Christoph Heinemann: Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen, weiß das Sprichwort. Jürgen Trittin, der Chef der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, hat Horst Köhler mit Heinrich Lübke verglichen. Der zweite Präsident in der Geschichte der Bundesrepublik erregte während seiner zweiten Amtszeit durch eigenwillige Formulierungen Aufmerksamkeit.

    Warum dieser Vergleich? – Auf dem Rückflug von Afghanistan hatte der amtierende Bundespräsident unserem Kollegen Christopher Ricke im Flugzeug ein Interview gegeben. Deshalb die Hintergrundgeräusche, die Sie gleich hören werden. Wir wollen Ihnen einen Auszug aus dem Gespräch noch einmal vorspielen, mit der Frage, die sich ganz klar auf Afghanistan bezieht.

    O-Ton Christopher Ricke: In der politischen Debatte wird auch darüber nachgedacht, ob das Mandat, das die Bundeswehr in Afghanistan hat, ausreicht, weil wir uns inzwischen in einem Krieg befinden. Brauchen wir ein klares Bekenntnis zu dieser kriegerischen Auseinandersetzung und vielleicht auch einen neuen politischen Diskurs?

    O-Ton Horst Köhler: Meine Einschätzung ist, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe, mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit, auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen, negativ, bei uns durch Handel Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern.

    Heinemann: Bundespräsident Horst Köhler. – Am Telefon ist der Journalist und Buchautor Peter Scholl-Latour, einer der besten Kenner der Region. Guten Tag!

    Peter Scholl-Latour: Guten Tag!

    Heinemann: Herr Scholl-Latour, was verteidigt die Bundeswehr am Hindukusch, Freiheit oder Wirtschaftsinteressen?

    Scholl-Latour: Ja. Ich glaube, diese großen Begriffe sollte man alle bei Seite lassen. Die Amerikaner sind sehr viel realistischer geworden. Die Amerikaner haben im Grunde den Wunsch, aus Afghanistan rauszukommen, aber sie befürchten das Übergreifen der afghanischen Krise, die mit El Kaida wenig zu tun hat, sondern die ein Aufstand der Afghanen inzwischen gegen eine fremde Truppenpräsenz ist. Sie befürchten vor allem das Übergreifen auf Pakistan und – seltsames Zusammenspiel, seltsame Koinzidenz – die Russen ihrerseits befürchten den Abzug der NATO, deren Streitkräfte dort, weil das übergreifen könnte auf die ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien und sogar auf die Muslime in Russland selbst.

    Heinemann: Also wir haben am Hindukusch keine Interessen mehr, sondern es gilt nur noch "Rette sich wer kann"?

    Scholl-Latour: So weit ist es nicht, denn man muss natürlich sehen, dass man keinen so schmählichen Abzug erleidet, wie die Amerikaner damals in Vietnam, sondern man müsste dann eben schon mit dem Gegner einen halbwegs ehrenwerten Abzug aushandeln und vor allem auch versuchen, die Gefahr auszuschalten, dass Afghanistan Stützpunkt von internationalem Terrorismus wird, was es ja vorübergehend gewesen ist, als El Kaida, was immer das auch sein mag, und Osama bin Laden sich dort installiert hatten, übrigens zum großen Missvergnügen der Afghanen selbst.

    Heinemann: Halten Sie das für möglich, dass man das in Verhandlungen hinbekommt, einen ehrenwerten Abzug und zu verhindern, dass Afghanistan zum Hort des Terrorismus wird?

    Scholl-Latour: Ich glaube, man könnte den Abzug schon hinbekommen. Die Russen sind auf relativ – wie soll ich sagen? – anständige Weise rausgekommen, sie sind in geschlossener Formation über die Brücke von Termez gezogen. Es hat also nicht diese erniedrigenden Szenen der Hubschrauber auf der amerikanischen Botschaft in Saigon gegeben und der General Krnov, der Befehlshaber der russischen Truppen, ist als letzter mit der sowjetischen Fahne auf den Armen über die Brücke gegangen und wurde dort von seinem Sohn begrüßt. Die Russen haben das schon besser organisiert. Man könnte das eventuell auch machen – das ist ein Vorschlag, der im Moment vorherrscht -, dass man den Übergang, um eine gewisse, sagen wir, Ordnung im Lande zu garantieren, dass man im Westen geduldete und eventuell sogar mit dem Westen verbündete islamische Truppen für den Übergang ins Land holt. Man denkt da zum Beispiel an die Türkei. Aber da sind noch weitere Probleme. Die Verhandlungen sind längst noch nicht so weit gediehen. Aber machen Sie sich keine Illusionen: Die Verhandlungen sind im Gange.

    Heinemann: Herr Scholl-Latour, Gold, Kupfer, Eisen, Erz und Lithium, viel Wasser und Opium, das alles hat Afghanistan zu bieten. Welche Rolle spielen die Rohstoffe in diesem Krieg?

    Scholl-Latour: Diese Rohstoffe sind wichtig, sie wurden auch vor dem Kriege schon von den Russen zum großen Teil im Norden – vor allem das Erdgas – ausgebeutet. Im Moment sieht es so aus, als würden die Chinesen sich dort wirtschaftlich am stärksten organisieren und installieren. Die Deutschen haben keinen Anteil daran, die Amerikaner sind so durch das Kriegsgeschehen beschäftigt, dass sie im Moment auch nicht daran teilhaben, sondern es sind die Chinesen, die keine Truppenpräsenz dort haben, und das ist eben das Interessante daran.

    Man kann wirtschaftlich dort tätig sein in dem Maße, wie man eben nicht durch eigene Truppen geschützt ist, sondern eventuelle Abkommen mit den lokalen War Lords und Stammesfürsten abschließt. In dem Maße sind die Chinesen dort tätig und bauen vor allem auch die Straßen aus in Richtung China - es gibt ja eine winzige gemeinsame Grenze im Worhan-Zipfel – und auch in Afghanistan selbst. Die wichtigsten Straßen, die in Afghanistan gebaut worden sind, auch vor allem im Sektor von Kundus, sind von Chinesen gebaut worden, auch nachdem die eben ihren Zoll an die zuständigen Stammesführer und War Lords entrichtet hatten.

    Heinemann: Die Politik ziert sich, das Wort Krieg in den Mund zu nehmen. Ist es vielleicht ein Verdienst von Horst Köhler, dass er die Verlogenheit der offiziellen Begründung bloßgelegt hat, vielleicht auch wider Willen?

    Scholl-Latour: Der Verteidigungsminister hat ja ebenfalls von Krieg gesprochen. Er hat ja die Hürde genommen. Wer jetzt nicht von Krieg redet, ist einfach ein Narr, muss ich schon sagen, nämlich sich sagen wir nun an die Definition des Völkerrechts oder des Kriegsrechts zu halten, die teilweise noch aus der Zeit von vor dem Ersten Weltkrieg stammen, ist ja völlig unsinnig – in einer Situation, wo wir es mit dem sogenannten asymmetrischen Krieg zu tun haben, auf den sich übrigens auch die Bundeswehr in Zukunft einstellen wird.

    Heinemann: Der Journalist und Buchautor Peter Scholl-Latour. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Scholl-Latour: Auf Wiederhören.