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Die Vermarktungsmaschine

Die geschminkten Hardrocker von Kiss haben sich ein Merchandisingimperium aufgebaut, das neben T-Shirts auch Särge, Toilettenpapier und sogar einen Kiss-Golfplatz umfasst. Das neue Album "Monster" soll nun wieder die Kernkompetenz der Band zeigen: Schneller Hardrock mit gängigen Texten.

Von Marcel Anders | 06.10.2012
    "Wir haben keine Gäste im Studio zugelassen. Es gab keinen Kinderchor, kein Sinfonieorchester, keine Backgroundsängerinnen und nicht mal ein Keyboard oder Klavier. Sondern es waren einfach zwei Gitarren, Bass und Schlagzeug. Denn was gut für die Beatles und Led Zeppelin war, ist auch gut für uns."

    Ein Vergleich, bei dem Gene Simmons nicht mal mit der Wimper zuckt. Dabei sind Kiss - und das weiß der aufgedunsene Herr, der an Mutter Beimer mit schwarzem Toupet erinnert, selbst am besten - allenfalls eine durchschnittliche Rockband, deren Hits schon über 30 Jahre zurückliegen. Neue Alben sind dagegen nur eine Entschuldigung für weitere Tourneen und noch mehr Merchandise, während die Texte – für Männer Anfang 60 fast ein bisschen peinlich – immer noch von Rebellion und Sex handeln. Doch genau das erhebt Simmons zur ureigenen Mission:

    "Kiss singen über das menschliche Befinden. Eben, was es heißt das Leben zu genießen, frei zu sein und klare Luft zu atmen. Es ist nicht anders als bei "Whole Lotta Love" von Led Zeppelin – da geht es ja auch nicht um Liebe, sondern um Sex. Und zwar um jede Menge. Wobei Kiss das nie so formulieren würden. Genauso wenig wie wir über Drachen oder Elfen singen – weil es bei uns nicht um Mythologie geht. Wir leben im Hier und Jetzt, in der modernen Welt."

    Denn nur in der realen Welt lässt sich realer Profit machen. Und das ist alles, worum es bei Kiss geht. Eben um das Produkt, das sich mit den Songs verkaufen lässt, das Lebensgefühl der Band verkörpert, und keine kreativen Grenzen kennt. Im Gegenteil: Je abgedrehter die Idee, desto erfolgreicher ist sie. Was inzwischen selbst Kiss-Särge und Toilettenpapier beinhaltet. Und der nächste Geniestreich ist bereits in Arbeit.

    "Ich schließe gerade einen Deal für den Kiss-Limousinenservice in Las Vegas ab. Da tragen die Fahrer Kiss-Make-up, es gibt Hostessen und auf den Autos ist unser Logo. In anderen Worten: Es ist mehr, als ich mir je hätte träumen lassen. Und es ist alles möglich. Wie der Kiss-Golfplatz, auf dem auch die Kiss-Kirche steht. Da kannst du eine Kiss-Hochzeit buchen – mit einem Priester, der sagt: "Wiederholen sie meine Worte. I was made for loving you. And you were made for loving me." Ganz legal. Und neulich hat eine Nudistengruppe den Golfplatz gemietet und nackt gespielt. Also völlig verrückt, aber wir haben einen Riesenspaß."

    Spaß haben und dabei verdienen – das ist die Lebensphilosophie des Multimillionärs, der eigentlich Chaim Weitz heißt, und sich rühmt, mehr als 4600 Frauen beglückt zu haben. Eine Zahl, die er weder korrigiert noch bestätigt. Ganz im Gegensatz zu seinen politischen Ansichten, die im höchsten Maß reaktionär sind. So bezeichnet er Obama als blauäugig und unqualifiziert, und Romney lehnt er nicht etwa wegen dessen Programm ab, sondern nur, weil der Mormone ist. Am liebsten würde Simmons sich aber gleich selbst zum König der USA krönen.

    "Den Job würde ich nehmen. Aber als Präsident? Nicht wirklich. Schließlich verdiene ich in einer Woche mehr als der Präsident im Jahr. Und ich bräuchte mehr Macht. Denn ein Präsident kann nichts bewirken – was auch für eure Kanzlerin gilt. Merkel ist abhängig vom Parlament. Und deshalb sage ich: Gebt mir richtige Macht. Als Erstes würde ich zum Beispiel die Todesstrafe für Kinderschänder einführen. Die können eh nicht geheilt werden."
    Doch, doch, das meint er ernst. Wie passend, dass ein Song auf dem neuen Album "Back to the stone age" heißt.

    Bis es dazu kommt, begehen Kiss erst einmal ihr 40. Dienstjubiläum. Mit einer weiteren Welttournee, aber auch einer 25 Kilo schweren und 4000 Dollar teuren Biografie im Überformat sowie dem sogenannten Kiss Kruise. Eine 5tägige Kreuzfahrt zu den Bahamas, für die sich Fans aus über 80 Ländern angemeldet haben. Und bei Simmons für große, leuchtende Augen sorgt. Nicht nur, wegen des zu erwartenden Profits.

    "Der erste Cruise war spektakulär. Wir spielen da obskure Songs und Unplugged-Stücke, mal mit und ohne Make-up, aber alles ohne große Show. Es ist wie auf unserer allerersten Tour - als wir vier Idioten aus den Straßen von New York waren, die keine Ahnung von der Welt hatten und 75 Dollar pro Woche verdienten. Wir dachten, wir würden das Beste Leben führen, das es gibt, weil wir nicht von 9 bis 5 arbeiten mussten. Aber jetzt, 40 Jahre später, sind wir hier - und haben ein Imperium."