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Die Vermessung des guten Geschmacks

Psychologie. - Über Geschmack lässt sich angeblich nicht streiten. Jeder hat seine persönlichen Vorlieben, und was wirklich schöner ist oder besser schmeckt, kann niemand entscheiden. Genau das aber versuchen die Sensometriker: Subjektive Empfindungen sollen mit Hilfe statistischer Verfahren objektiviert werden. Für die Wirtschaft und ihre Konsumprodukte ist das natürlich ein hochinteressantes Vorhaben. In Deutschland gibt es nur eine Handvoll Sensometriker - die meisten davon sitzen an der Universität Dortmund, wo am Mittwoch zum ersten Mal in Deutschland die Internationale Sensometrie-Konferenz beginnt.

31.07.2002
    Von Sascha Ott

    Ob wir einen bestimmten Wein mögen, entscheidet sich im Grunde sehr schnell. Ein Schluck und wir wissen: Er schmeckt oder er schmeckt nicht. Michael Meyners vom Fachbereich Statistik der Uni Dortmund gibt sich damit nicht zufrieden:

    Die Frage ist, ob man diesen Geschmack auch einigermaßen objektiv beschreiben kann. Warum schmeckt mir dieser Wein oder warum schmeckt mir der andere nicht?

    Meyners und seine Kollegen haben versucht, mit Methoden der Sensometrie den Geschmack von Weinen quantitativ zu erfassen. Dafür wurden 14 Prüfer über mehrere Monaten geschult. Bevor der erste Wein gekostet wurde, mussten sie ein möglichst sicheres Gespür für die unterschiedlichen Geschmacksnuancen bekommen.

    Sie entwickelten ein gemeinsames Profil, sie haben sich also auf ein Vokabular geeinigt. Sie legten zum Beispiel fest: Diesen Geschmackseindruck nennen wir jetzt alle 'bitter'. Hinzu kommt, dass es Referenzproben gibt, Proben, die nicht wirklich Wein sind, sondern nur einen bestimmten Stoff enthalten, der die Süße oder die Bitterkeit oder ein anderes Merkmal dieses Weines ausmachen soll. Auf diese Referenzproben hatten die Prüfpersonen jederzeit Zugriff, sodass sie immer vergleichen konnten, welcher Geschmack denn jetzt wirklich bitter ist.

    Von fruchtig und Honig bis hin zu rauchig oder muffig - 13 Attribute wurden bei jedem Wein mehr oder weniger intensiv erschmeckt und auf einer stufenlosen Skala bewertet. Die Prüfer bekamen 56 Weine aus der Pfalz und Rheinhessen eingeschenkt. Mit Hilfe statistischer Methoden errechneten die Sensometriker aus den Bewertungsdaten ein charakteristisches Geschmacksprofil für jeden Wein. Eines der Ziele der Untersuchung war herauszufinden, ob sich die Unterschiede im ökologischen und konventionellen Weinbau im Geschmack widerspiegeln. Dabei zeigte sich vor allem bei den Riesling-Weinen, dass konventionell erzeugte Weine mehr und intensivere Geschmackseindrücke vermitteln. Das gilt für positive Attribute wie fruchtig und Kräuter, aber auch für eher negative wie Bitterkeit und den Geschmack nach Sauerkraut. Außerdem haben die Forscher untersucht, ob von den chemischen und physikalischen Eigenschaften eines Weins auf sein Geschmacksprofil geschlossen werden kann. Das sei aber leider nur sehr mäßig gelungen, sagt Meyner:

    Es gab wenige Variablen, bei denen überhaupt ein positiver Zusammenhang festgestellt werden konnte. Daraus folgern wir, dass wir zumindest zum heutigen Zeitpunkt noch nicht in der Lage sind, die komplexen Sinneseindrücke in Mund und Nase abzubilden. Gerade die Nase ist beim Weintesten von großer Bedeutung, und diese komplexen Systeme können wir durch instrumentelle Variablen bis heute noch nicht vernünftig abbilden.

    Entscheidend für die wirtschaftliche Verwertbarkeit sensometrischer Ergebnisse ist der Vergleich mit dem Konsumenten-Geschmack. Wenn in einer weiteren Studie normale Weintrinker bewerten, ob ihnen ein bestimmter Wein schmeckt oder nicht, können diese subjektiven Urteile mit den objektivierten Daten verglichen werden. Dann könnten die Winzer versuchen, Weine zu züchten, die dem beliebtesten Geschmacksprofil am nächsten kommen. Neue methodische Ansätze in der Sensometrie wollen noch kompliziertere Teile unserer Wahrnehmung objektivieren: Nicht nur wie uns etwas schmeckt, sondern auch wie sich dieser Geschmack entwickelt. Der Dortmunder Kongress-Leiter Joachim Kunert:

    Im Moment entwickelt man Methoden, diesen zeitlichen Verlauf zu messen. Eine der Methoden ist, mit Hilfe einer Computermaus einen Pfeil auf einer Skala zu verschieben. Während man beispielsweise einen Kaugummi kaut, gibt man mit der Maus an: Jetzt wird der Geschmack intensiver oder jetzt wird er weniger intensiv. Es stellt sich heraus, dass diese Empfindungen über den zeitlichen Verlauf sehr viel größere individuelle Schwankungen als nachher das Gesamturteil haben.

    Sensometriker aus Dänemark fanden auf diesem Wege heraus, dass Eiscreme mit höherem Fettgehalt einen längeren intensiven Geschmack erzeugt. Ob daher Eis mit möglichst viel Fett auch ein großer Markterfolg wird, ist fraglich. Denn Geschmack ist nicht alles und auch Sensometriker geben zu, dass selbst der objektiv beste Geschmack häufig gegen die Suggestivmacht der Werbung keine Chance hat.