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Die Vermessung des Wohlstands

34 Sachverständige diskutierten über zwei Jahre die Frage, wie Wachstum definiert ist, wie viel Wachstum das Land braucht und wie man wirtschaften muss, damit der Planet nicht vollends zerstört wird. Damit sollte das Bruttoinlandsprodukt um einen Indikator ergänzt werden - herausgekommen ist Ernüchterung.

Von Gerhard Schröder | 14.04.2013
    Das Wirtschaftswachstum in Deutschland hat sich im vergangenen Jahr abgeschwächt. Es lag bei 0,7 Prozent und damit deutlich unter den Vorjahren.

    0,7 Prozent Wachstum, es ist die Nachricht des Tages, nicht nur für die Tagesschau. Denn in diesen 0,7 Prozent spiegelt sich in verdichteter Form die wirtschaftliche Jahresbilanz Deutschlands wider. Die Zahl dokumentiert: Die größte Volkswirtschaft Europas ist zwar nicht immun gegen die tiefe Krise, die den Kontinent erfasst hat. Aber sie kommt besser damit klar, als die meisten Nachbarländer. Der liberale Wirtschaftsminister Philipp Rösler geht sogar noch einen Schritt weiter:

    "Deutschland geht es so gut wie lange nicht mehr in der Geschichte unseres Landes."

    Mehr Wachstum – das bedeutet mehr Beschäftigung, gut gefüllte Staatskassen, stabile Sozialsysteme, steigenden Wohlstand für alle. Das ist die eherne Formel, an der sich die Politik – nicht nur in Deutschland - seit Jahrzehnten orientiert. Aber stimmt diese Formel überhaupt? Geht es uns allen tatsächlich besser, wenn das Bruttoinlandsprodukt – kurz BIP – wächst? Im Prinzip ja, sagt Albert Braakmann vom Statistischen Bundesamt, aber er macht Einschränkungen:

    "Nicht alles, was das BIP misst, ist zwingend wohlstandssteigernd. Und nicht alles, was wohlstandssteigernd ist, wird vom BIP gemessen."

    Das Bruttoinlandsprodukt gibt an, wie viele Waren und Dienstleistungen ein Land in einem Jahr produziert hat. Doch wie es den Menschen geht, das verrät es nicht. Ob sie gesünder sind, die Löhne steigen oder die Schulen besser geworden sind, darüber sagt das BIP nichts aus. Und erst recht gibt es keine Auskunft über Umweltschäden, die mit der Produktion verbunden sind. Klimagifte, die Fabriken und Autos in die Luft blasen, tauchen in der Rechnung ebenso wenig auf, wie verunreinigte Flüsse oder verseuchte Böden.

    "Wenn man China nimmt, oder in Peking hat man es ja jüngst gesehen, die Stadt war mit einer Dunstglocke zu. Die Leute sind mit Taschentüchern vor dem Mund herumgelaufen. Man hat wirtschaftlich einen großen Sprung gemacht. Aber der Preis ist die Umweltverschmutzung gewesen."

    Umweltkatastrophen können sogar wachstumssteigernd wirken, wenn etwa nach einer Tankerhavarie das Schiff geborgen und das Öl aus dem Meer gepumpt werden muss. Das Bruttoinlandsprodukt sagt also bestenfalls die halbe Wahrheit über Wohlstand und Lebensqualität eines Landes, erklärt der Statistiker Braakman. Höchste Zeit also, eine neue Maßzahl zu finden, die den Wohlstand besser abbildet.

    Lammert: Guten Tag meine Damen und Herren, ich begrüße Sie alle herzlich zur konstituierenden ...

    17. Januar 2011, Sitzungsraum E-700 im Paul-Löbe-Haus, schräg gegenüber vom Reichstagsgebäude in Berlin. Zum ersten Mal trifft sich die Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität. Eine Art Zukunftslabor soll das sein: 34 Sachverständige haben den Auftrag, nicht nur ein neues Maß für den Wohlstand zu entwickeln, sondern auch Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt aufzuzeigen. Eine gewaltige Aufgabe, wie Bundestagspräsident Norbert Lammert in seiner launigen Ansprache betont. Frei von tagesaktuellen Debatten und parteipolitischen Zwängen sollen die Experten nach Antworten suchen auf drängende Fragen. Den Vorsitz übernimmt Daniela Kolbe, eine junge SPD-Abgeordnete aus Leipzig. Mit Enthusiasmus und großen Hoffnungen macht sie sich an die Arbeit.

    "Wir haben es mit einer Klimakatastrophe zu tun und machen trotzdem weiter wie bisher. Wachstum, Wachstum, Wachstum, um jeden Preis. Und davon wegzukommen, das ist der Auftrag, der an die Enquete gestellt worden ist."

    Wie es anders gehen könnte, weiß auch die damals 31-jährige Sozialdemokratin nicht. Es sind die grundlegenden Zweifel, die sie antreiben. Wie müssen wir wirtschaften, damit die Welt auch in ein paar Jahrzehnten noch lebenswert ist. Wie können wir Wohlstand und Lebensqualität sichern, angesichts von Umwelt- und Finanzkrisen, die der Politik zunehmend zu entgleiten scheinen. Und was ist das eigentlich: Lebensqualität und Wohlstand.

    "Wir haben uns da schon einen Riesenberg vorgenommen in den nächsten zweieinhalb Jahren. Wir wollen einen Indikator entwickeln, der dem BIP ebenbürtig ist. Der eben gesellschaftlichen Wohlstand und Fortschritt abbildet."

    Es sind große Fragen, die die Enquete-Kommission im Gepäck führt, als sie vor zwei Jahren die Arbeit aufnimmt. 17 Abgeordnete und 17 Sachverständige aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verbänden. Eine ziemlich bunte Truppe. Der Philosoph Meinhard Miegel zählt dazu, ein grün angehauchter Wertkonservativer. Und Michael Müller, ein ökologisch denkender Sozialdemokrat. Liberale Ökonomen wie Kai Carstensen vom Ifo-Institut und Keynesianer wie Gert Wagner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Die 34 Sachverständigen, streng nach den Kräfteverhältnissen im Bundestag berufen, nehmen zügig die Arbeit auf, drei Projektgruppen tagen zunächst hinter verschlossenen Türen. Die erste soll klären, wie viel Wirtschaftswachstum das Land braucht. Die zweite, wie man Wohlstand am besten messen kann. Und die dritte, wie wir wirtschaften müssen, um den Planeten nicht vollends zu ruinieren. Drei anspruchsvolle Aufgaben. Vielleicht zu anspruchsvoll, wie Daniela Kolbe heute, nach inzwischen 30 Sitzungen resümiert. Morgen wird die Kommission ihren 957 Seiten starken Abschlussbericht vorlegen.

    "Als junge Abgeordnete bin ich da rangegangen: Wir verändern jetzt die Welt, ist ja auch nötig. Mit sehr viel Enthusiasmus und viel Hoffnung, dass da riesige Schritte passieren werden. Und nach zwei Jahren bin ich da insofern etwas klüger, dass ich realistischer geworden bin."

    Schon die Eingangsfrage war knifflig: Wie misst man Wohlstand und Lebensqualität? Nicht nur Kolbe hatte die Hoffnung, eine neue Maßzahl zu finden, die die dominierende Stellung des Bruttoinlandsprodukts brechen und damit auch für Politik und Öffentlichkeit dokumentieren könnte: Wohlstand ist mehr als Wachstum. Doch diese Hoffnung erfüllt sich nicht. Die Sachverständigen können sich nicht auf einen neuen Index einigen. Gottseidank, sagt Kai Carstensen, der Konjunkturexperte des Münchener Ifo-Instituts.

    "Einige Beobachter hatten die Vorstellung, es wird ein großer Wurf geleistet, zum Beispiel ein großer neuer Wohlstandsindex abgeleitet und vorgestellt. Ich bin sehr froh, dass wir uns diesem Ansinnen verweigert haben, denn die Nachteile wären gravierend gewesen."

    Der Willkür wären Tür und Tor geöffnet, sagt Carstensen, wenn man so unterschiedliche und schwer quantifizierbare Wohlstandsfaktoren wie Bildung und Beschäftigung, Gesundheit und Umwelt in einem Index bündeln wollte. Dabei gibt es durchaus Vorbilder. Das Königreich Bhutan zum Beispiel befragt regelmäßig die Bevölkerung – und berechnet daraus einen Bruttoglücksindex. Der Heidelberger Ökonom Hans Diefenbacher wiederum hat einen Nationalen Wohlfahrtsindikator erfunden, eine Art grünes Bruttoinlandsprodukt, das auch Umweltschäden berücksichtigt, etwa die Verschmutzung von Böden, Luft und Wasser. Auch das hat die Kommission nicht überzeugt. Herausgekommen ist nun stattdessen ein Sammelsurium von zehn Einzelindikatoren und neun Warnlampen, darunter der nationale Vogelindex, die Teilnehmerquote an Weiterbildungsmaßnahmen und die Staatsschuldenquote. Auch der Ökonom und Philosoph Meinhard Miegel, Chef des Denkwerks Zukunft, fragt sich, wer da noch den Überblick behalten soll:

    "Jetzt hat man 20 Indikatoren. Und die Wirkung wird sein, dass diese 20 Indikatoren bestenfalls in einen Jahresbericht eingehen. Und das, was eigentlich passieren sollte, nämlich die Ergänzung des Bruttoninlandsprodukts in der täglichen Berichterstattung durch weitere Indikatoren, das wird nicht sein. Es wird alles beim Alten bleiben, und wir haben einen neuen Bericht bekommen."

    Dann steigen wir jetzt an und fangen wir mit einer leichten Übung an, der Abstimmung über den Bericht der Projektgruppe 1.

    18. März 2013, es ist die letzte Sitzung der Enquete-Kommission vor der Präsentation des Abschlussberichts. Auf den Zuschauerplätzen lümmeln sich ein paar Besucher, unten im Rund wird bis zuletzt intensiv beraten. Änderungsanträge werden gestellt und Minderheitenvoten eingebracht. Es wird um Halbsätze gestritten, Fußnoten werden überarbeitet:

    Mein Vorschlag war, die Fußnote 24 auf der Seite 23 zu ergänzen. Warten sie ganz kurz, bis wir ...

    Doch immer wieder geht es ums Grundsätzliche. Werden alte ideologische Schlachten noch einmal geschlagen. Vor allem in der Projektgruppe 1, die den Stellenwert des Wachstums taxieren soll. Wie viel davon ist nötig, wie viel noch verträglich? Und wie stark darf der Staat eingreifen in das freie Spiel der Marktkräfte? Dem Konjunkturexperten Kai Carstensen vom Ifo-Institut geht die Debatte gehörig auf die Nerven. Wachstum kann man nicht verordnen, sagt er. Es sei vielmehr das Ergebnis des menschlichen Suchens nach neuen Ideen.

    "Insofern ist Wachstum Ausdruck dieser Entdeckungsfreude des Menschen. Und wenn wir Menschen dieses Suchen und Streben verbieten wollen, dann können wir in eine Wirtschaft ohne Wachstum eintreten, das ist das, was die Zentralverwaltungswirtschaften in Osteuropa gemacht haben."

    Meinhard Miegel, einst Leiter der Grundsatzabteilung Politik in der CDU-Zentrale und wie Carstensen von der Union in die Kommission berufen, sieht das grundlegend anders. Die Grenzen der ökologischen Belastbarkeit sind erreicht, sagt er, das Wachstumsmodell stößt an seine Grenzen.

    "Das Wachstum, wie wir es heute weltweit haben, sei es in den entwickelten, sei es in den weniger entwickelten Ländern, beruht immer noch zu einem großen Anteil auf Raubbau. Wir müssen noch in dieser Dekade eine Art des Wirtschaftens finden, die nicht die Grundlagen ihres eigenen Erfolges zerstört."

    Solche Grundsatzdebatten lähmen die Enquete-Kommission immer mehr. Schon fast vergessen ist da der Durchbruch, den die Sachverständigen im vergangenen Herbst erreichten. Da legte Hermann Ott von den Grünen den Bericht der Projektgruppe 3 vor. Möglichkeiten und Grenzen der Entkoppelung, heißt der Report, eine schonungslose Bestandsaufnahme, parteiübergreifend verabschiedet. Die Botschaft lautet: Wir überlasten Natur und Umwelt, weil wir immer mehr Ressourcen verbrauchen. Wenn wir so weiter machen, droht der Kollaps. Die Kommission zieht daraus einen ebenso naheliegenden wie radikalen Schluss:

    Angesichts der globalen Überschreitung von kritischen Umweltraumgrenzen bedarf es in den kommenden Jahrzehnten einer absoluten Reduktion der Nutzung dieser Ressourcen.

    Die Botschaft ist klar: Wir dürfen nicht mehr, sondern müssen weniger verbrauchen, sagt Hermann Ott von den Grünen:

    "Es muss Obergrenzen geben für Verbrauch von Energie und Ressourcen, weil wir dabei sind, unseren Planeten aufzufressen. Und es muss feste Grenzen geben für den Ausstoß an Schadstoffen in die Atmosphäre, in Ozeane, in den Boden. Nur so lässt sich verhindern, dass wir letzte Ressourcen verfeuern und die Grundlage unserer Zivilisation kaputtmachen."

    Dass dies ganz erhebliche Auswirkungen auf Konsumgewohnheiten, Lebensstil und Wohlstand haben dürfte, liegt auf der Hand. Zumal die Sachverständigen die Hoffnung zurückweisen, die Probleme seien allein durch umweltschonendere Technologien zu meistern. Trotz stromsparender Kühlschränke, abgasärmerer Autos oder leistungsstärkerer Industriefilter sind Ressourcenverbrauch und Umweltbelastungen in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter gestiegen, so der Befund. Schuld daran ist der sogenannte Rebound-Effekt, sagt der Christdemokrat Mathias Zimmer, der stellvertretende Leiter der Enquete-Kommission.

    "Das heißt schlicht und einfach, dass wir, wenn wir durch technische Möglichkeiten Effizienzsteigerungen machen, diese teilweise durch verändertes Konsumverhalten wieder aufgezehrt werden, mehr noch: dass wir am Ende des Tages sogar mehr Ressourcen verbrauchen. Und das ist ein Problem, das wir vorrangig angehen müssen und uns fragen müssen, wie wir damit umgehen."

    Die Kommission verabschiedet den Bericht zwar parteiübergreifend mit großer Mehrheit. Die entscheidenden Fragen allerdings bleiben unbeantwortet. Wie soll das gehen? Weniger verbrauchen statt immer mehr. Was heißt das für unseren Wohlstand und die Lebensqualität. Und: Welche sozialen Folgen hätte das? An dieser Stelle enden die Gemeinsamkeiten. Als es darum geht, konkrete Handlungsempfehlungen vorzuschlagen, ist die Harmonie verflogen. Mit der näher rückenden Bundestagswahl dominiert das Lagerdenken wieder. Hermann Ott von den Grünen weist der Koalition dafür die Schuld zu:

    "Denn dort wird aus ideologischen Gründen an einem überkommenen Wachstumsmodell festgehalten. Da gibt es bei vielen Einsicht, dass unser Modell nicht zukunftsfähig ist. Aber wenn es ans Eingemachte geht, an Handlungsempfehlungen, wird zurückgeschreckt. Und dann verliert sich das in allgemeinem Gelaber."

    SPD, Grüne und Linke legen einen eigenen Maßnahmenkatalog vor. Sie wollen umweltschädliche Subventionen wie die Steuerprivilegien für Dienstwagen oder Vergünstigungen für die Kohleindustrie streichen, pro Jahr wären das nach Berechnungen des Umweltbundesamtes insgesamt immerhin knapp 50 Milliarden Euro. Dann sollen die Obergrenzen für den Ausstoß von Schadstoffen wie Kohlendioxid weiter gesenkt werden. Und: Sprit und Strom müssen teurer werden, zum Beispiel durch höhere Steuern oder Abgaben, fordert der Grünen-Politiker Ott:

    "Die Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen. Es müssen Preise gefunden werden, die die Knappheit auch widerspiegeln. Bisher sind Ressourcen und Energie viel zu billig. Und erst, wenn es etwas kostet, wird begonnen, damit sparsam umzugehen."

    Die Opposition spricht gern von einer großen sozialökologischen Transformation, von einem grundlegenden Wandel. Die Vertreter der Koalition wollen davon allerdings nichts wissen. Wir haben doch schon viel erreicht, haben Energieverbrauch und CO2-Ausstoß in den vergangenen Jahren stark reduziert, so lautet die Devise. Jetzt sind erst mal die anderen an der Reihe, die aufstrebenden Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien. Florian Bernschneider von der FDP:

    "Ich will nicht sagen, dass wir in Deutschland alle unsere Hausaufgaben schon erledigt hätten. Aber die wahre Herausforderung, vor der wir jetzt stehen, ist nicht, weitere minimale Effizienzgewinne in Deutschland zu realisieren, sondern sich vor allem darüber zu unterhalten, wie können wir die großen Effizienzreserven in anderen Ländern heben, wie können wir die schneller realisieren."

    Gert Wagner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sieht das ähnlich. Deutschland ist doch schon Vorreiter beim Umweltschutz, sagt er. Entscheidend für die Zukunft des Planeten sei jetzt, ob die anderen mitziehen:

    "In Deutschland haben wir ja schon im Vergleich zu den 50er- und 60er-Jahren nahezu das Paradies erreicht. Das hier jetzt noch besser zu machen, ist für den Planeten ziemlich schnurz. Wichtig ist, dass in den Ländern, wo wirklich massiv verschmutzt wird, sich etwas ändert. Und wir haben die Hoffnung, dass wir als Vorbild wirken können."

    Ob Deutschland als Blaupause für andere Länder dienen kann, ist allerdings umstritten. Würden alle unseren Lebens- und Produktionsstil nachahmen, also ähnlich viel Fleisch essen, Auto fahren und Fernreisen unternehmen, dann bräuchten wir die Erde gleich mehr als vier Mal, um den Ressourcenbedarf zu decken, das haben amerikanische Forscher berechnet. Wir leben auf zu großem Fuß, warnt auch der Ökonom Meinhard Miegel:

    "Innerhalb der ökologischen Tragfähigkeitsgrenzen könnten wir 40 Prozent dessen erwirtschaften, was wir erwirtschaften. Wir lebten in einer anderen Welt. Und das sind Fragestellungen, die also sehr, sehr an die Quintessenz einer Gesellschaft gehen. Und das ist nicht adressiert worden."

    Es ist keine besonders erfreuliche Botschaft, die der 73-jährige Wissenschaftler den Kollegen vorträgt. Und erst recht keine Botschaft, mit der man beim Wähler Punkten kann. Verzicht zu predigen, besitzt wenig Charme, das weiß auch Ralf Fücks. Er ist Vorsitzender der grünennahen Heinrich Böll-Stiftung. Fücks hat gerade ein Buch veröffentlicht. Er plädiert darin für eine grüne industrielle Revolution, für eine Welt, die praktisch ohne Müll und Klimagifte auskommt. Eine Welt, die allein auf die Kraft von Wind, Sonne und Wasser setzt. Und Deutschland, so die Botschaft, könnte bei dieser Revolution der Schrittmacher sein.

    "Es ist auch eine zuversichtliche Antwort auf die Krise unserer Zivilisation. Dass wir nicht schrumpfen müssen, dass wir nicht in eine engere Welt, in eine Zukunft gehen, die von Kargheit geprägt ist, sondern dass wir am Beginn einer neuen industriellen Revolution stehen, mit großen Möglichkeiten."

    Aber: Gezielte Weichenstellungen sind nötig, um den Wandel herbeizuführen, das sagt auch Gert Wagner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung:

    "Ich bin davon überzeugt, dass das geht. Weniger Ressourcenverbauch muss nicht mit weniger Wachstum einhergehen. Durch technologische Innovation - und die können wir dann wahrscheinlich sogar exportieren. Wenn das gelingt, was ja alle Parteien wollen, dass wir ein ökologisches Vorbild für ganze Welt sind."

    Doch es gibt Zweifel, ob das eine realistische Perspektive ist – Stichwort Rebound-Effekt. Wie man Wohlstand sichern kann, ohne Luft, Meere und Böden zu ruinieren - das war die eigentliche Aufgabe dieser Enquete-Kommission. Also einen Weg zu weisen zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt. Diese Chance habe die Kommission nicht genutzt, räumt auch Matthias Zimmer von der CDU ein.

    "Ich hätte mir mehr erwartet. Wir haben große Fragen aufgeworfen, aber hatten nicht immer den Mut, die Fragen auch zu beantworten und auch Wahrheiten zu suchen jenseits von Parteien- und Fraktionsdisziplin."

    Auch Meinhard Miegel ist enttäuscht. Ein großer Wurf sei der Kommission mit dem knapp 1000-seitigen Abschlussbericht, den sie morgen vorlegen wird, nicht gelungen. Aber mehr, sagt er, war offenbar nicht drin:

    "Wir haben intensivst gearbeitet und intensivst getagt. Und in der Tat macht sich jetzt eine gewisse Ermüdung breit. Und insofern ist es gut, dass die Sache jetzt zu Ende geht."