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Die verspielte Bewerbung?

Lange galt Istanbul als der Favorit für die Olympischen Spiele 2020. Doch die Regierung Erdogan hat mit ihren politischen Reaktionen auf die Gezi-Park Proteste, eine Vielzahl an Dopingfällen und einer umstrittenen Mega-Projekt-Politik an Boden verloren.

Von Hendrik Maaßen | 31.08.2013
    Es ist die aktuelle Logik der Regierung Erdogan: Schuld sind immer die Anderen. Und trotzdem hatte das, was Egemen Bagis, der Minister für EU-Angelegenheiten der Türkei jüngst am Rande einer Sportveranstaltung einer türkischen Zeitung sagte, eine neue Qualität:

    "All diejenigen, die die Szenen im Gezi-Park verursacht haben, wollten dafür sorgen, dass Istanbuls Olympia Kandidatur scheitert und die Stadt von der Kandidaten Liste gestrichen wird. Gott sei Dank ist das nicht gelungen. Aber wenn Istanbul verliert, dann wird es ihre Schuld sein."

    Wie absurd diese Behauptung ist, machte das Satireblatt "GIRGIR" deutlich. Auf dem Cover der aktuellen Ausgabe sind die Köpfe der fünf getöteten Demonstranten der Gezi-Proteste in den Olympischen Ringen abgebildet, darüber Bagis Statement: "Ihr seid Schuld."
    Die türkische Regierung will diese Spiele aus Prestigegründen unbedingt. Das "Olympiastation" steht schon seit 2002, die Staatskasse garantiert für alle Kosten und allein für die Eröffnungsfeier soll ein eigenes Stadion am Bosporus gebaut werden. Weil die Skyline schöner sei.
    Gegen diese Prestigebauten wehrt sich eine wachsende Anti-Olympia-Bewegung aus NGO-Aktivisten, Architekten und Wissenschaftlern. Nach der vorsorglichen Schuldzuweisung durch Egemen Bagis wollen sie erst einmal anonym bleiben. Bei einer Niederlage wären sie die Zielscheibe der Regierung. Keine unbegründete Sorge, hatte doch selbst Ministerpräsident Erdogan einzelne Gezi-Aktivisten namentlich beschimpft. Ein renommierter Stadtplaner einer Istanbuler Universität übt dennoch Kritik:

    "Keiner in der Türkei hat diese Pläne gemacht, keiner weiß, wer sie gemacht hat. Sie machen historische Stätten kaputt, zerstören großflächig den Wald nördlich von Istanbul und von den wichtigen Infrastrukturprojekten wird keines umgesetzt. Keiner hat hier irgendwen gefragt, ob das ein sinnvolles Konzept ist. Das ist es ja. Und wenn man diskutieren will, ist man gleich ein Verräter."

    Dass die Regierung Erdogan die Expertise ihrer eigenen Experten im Land ignoriert, ist nicht neu. Und die Olympischen Spiele sind nur eines von vielen Megaprojekten um Istanbul, dass in die Kritik geraten ist: Die dritte Bosporus-Brücke, ein riesiger dritter Flughafen, ein zweiter Wasserweg zwischen dem Schwarzen- und dem Marmarameer.

    "Die Politik möchte momentan ihre Macht im öffentlichen Raum mit Megaprojekten demonstrieren."

    sagt der Stadtplaner.

    "Istanbul ist schon eine volle, sehr eng bebaute und schwierige Stadt. Mit all den verrückten Projekten wird das nur schlimmer. Und die Olympiabauten sind über die gesamte Fläche von Istanbul verteilt, in Tokio ist es nur ein kleiner Bereich, in Madrid auch. Ich hoffe, Sie mussten noch nicht beobachten, wie ein Krankenwagen versucht sich den Weg durch den Istanbuler Verkehr zu bahnen. Sie sagen, sie wollen den Verkehr durch eine extra Metroline entlasten, aber das ist Wahnsinn, dass ist bei weitem nicht das Einzige, was gemacht werden müsste! Wir erarbeiten ja andere Ideen, wir versuchen ja zu diskutieren. Aber dann werden wir als unbedeutende Minderheit bezeichnet, die sowieso gegen alles sei. Wir wären gegen den Wachstum in der Türkei."

    Dabei ist der Wissenschaftler gar nicht prinzipiell gegen die Spiele, doch das Konzept müsse auf Nachhaltigkeit ausgelegt werden.

    "Ich hätte gern in dem Bid-Book gesehen, wie sie mit den sozialen Folgen, mit den kulturellen Veränderungen zurechtkommen wollen, anstelle von bauen, bauen, bauen."

    Aus dem Istanbuler Bewerberkomitee will sich drei Wochen lang keiner gegenüber dem Deutschlandfunk äußern. Dicht dran ist aber Umit Kesim. Er gehört zu den erfahrensten Sportwissenschaftlern und -Funktionären des Landes und ist in verschiedenen Kommissionen des nationalen und des internationalen Sports vertreten.

    "Als hoher Berater der Gremien des Nationalen Olympischen Komitees glaube ich, dass Istanbul eine große Chance auf die Olympischen Spiele hat. Aber Madrid ist ein harter Gegner und vielleicht haben sie ein bisschen bessere Chancen. Aber nach fünf Bewerbungen ist dieses die größte Chance. Die Türkei war noch nie so bereit für die Spiele, wie dieses Mal."

    Er hat keine Sorge offen zu sprechen, die meisten Sportfunktionäre im Land seien seine ehemaligen Studenten. Kesim kritisiert das Fehlen einer breiten Sportkultur in der Türkei, den laxen Umgang mit Doping, der durch ein enormes Prämiensystem der Regierung für internationale Medaillen noch begünstigt würde. Die Äußerung von Egemen Bagis hält er für ein "dummes, politisches Statement", formuliert es dann aber doch vorsichtiger:

    "Die Regierung hat in der Vergangenheit wirklich gute Arbeit geleistet. Aber in der letzten Zeit gibt es Ansichten, von denen ich nicht glaube, dass sie richtig sind. Und die Jugendbewegung sollte akzeptiert werden. Sie haben doch nur gute Dinge gefordert: Individuelle Freiheit, Demokratie, Umweltschutz. Ich glaube, wenn sich die Regierung dem anschließt, kann die Türkei nur gewinnen."

    Doch danach sieht es nicht aus. In einem geplanten Reformpaket verschwimmen nun auch offiziell die Grenzen der Gewaltenteilung in der Türkei: Ausgerechnet die bei den Gezi-Protesten scharf kritisierte Polizei braucht in Zukunft keine Staatsanwaltschaft mehr, um Menschen in Untersuchungshaft zu nehmen. Außerdem soll das Strafmaß bei Widerstand gegen Polizeibeamte erhöht werden. Es scheint, als suche man auch in den kommenden Monaten die Schuld bei den Anderen.