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Die Virus-Metapher

Ob die Pest, biologische Kampfstoffe, Computerviren oder das "Terrorismus-Virus" - die beiden Hamburger Filmemacher Madeleine Dewald und Oliver Lammert haben in einem Film-Essay eine aufregende Reise zu den verschiedenen Deutungen und Aspekten des Begriffes "Virus" unternommen.

Von Hartwig Tegeler | 18.07.2012
    "Das Virus ist die ideale Maske, eine perfekte und doppelbödige Metapher."

    Und das Virus erlebte nach 9/11 eine politisch-sprachliche Ausweitung. Als nämlich das World Trade Center zerstört war, erfanden Politiker kurz danach den Begriff vom "Virus des Terrorismus". Eine von vielen Varianten für eine "Virus"-Metapher meint im Film "Global Viral" der Philosoph Manfred Geier:

    "Man trägt also ein Wort aus einem Bereich, wo es eine eigentliche Bedeutung hat, in einen anderen Bereich hinüber."

    Eine Übertragung, wie Viren übertragen werden - um im Bild, in der Assoziation zu bleiben - wozu "Global Viral - Die Virus Metapher" immer wieder intensiv einlädt. Viren existieren seit 30 bis 40 Millionen Jahren und sind in der Evolution erfolgreicher als die Saurier, sagt Reinhard Kurtz, der frühere Leiter des für Epidemien zuständigen Robert-Koch-Instituts, und Kurtz erklärt die Viren - jenseits jeglicher Metapher - zum Hauptgegner der Menschen in der Evolution:

    "Und deshalb muss unser Handeln darauf gerichtet sein, dass wir diesen Mikroorganismen nicht noch mehr Spielräume, Freiräume einräumen, um zu mutieren, selektioniert zu werden und eines Tages vielleicht hier mit einem Virus aufzutauchen, das uns in der Tat als Menschheit, ich sag es mal salopp, an den Kragen gehen kann."

    Die Metapher "Virus" geht inzwischen weit über den biologischen Erreger hinaus, wo der Körper seit der medizinischen Entdeckung der Viren gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Schlachtfeld gedacht wurde. Und die Übertragung auf den gesellschaftlichen und den politischen "Körper" - in Anführungsstrichen - das bekommen wir im Film "Global Viral" spannend erläutert - übernimmt die Grundstruktur der viralen Infektion: Auch da geht es um das eindringende Element, das Fremde. Dieser bedrohliche Fremdkörper, der Angreifer, ist seinerseits höchst flexibel, kriegerisch, absichtsvoll, ein Ding, ein Element, ein Wesen, nicht lebendig, nicht tot, das erst beim Andocken an den Wirt lebendig wird und höchst effektiv und zerstörerisch wirken kann.

    Unheimlich! Oder? Doch was bedrohliche Fremdkörper sind, entscheidet sich zu allen, auch in unseren globalen Zeiten, wo sich Grenzen ja immer weiter auflösen, auch in den Medien und in unseren Köpfen. Eine Rede über das Virale, meint der Philosoph Manfred Geier in "Global Viral", ist zutiefst rückwärts gewandt:

    "Allein schon die Anwendung des Begriffs Virus bezogen auf gedankliche und sprachliche Prozesse zeigt ja im Grunde so etwas wie die Fiktion einer geistigen Gesundheit, die dann irgendwie infiziert wird. Aber wer geht denn von dieser geistigen Gesundheit aus? Das kann doch nur der Konservative sein."

    Madeleine Dewald und Oliver Lammert nähern sich dem Virus wie seinen schillernden Metaphern also aus ganz unterschiedlichen Richtungen an: ausgehend vom 14. Jahrhundert, also der Zeit der Großen Pest, bis zu biologischen Kampfstoffen der Jetztzeit oder den viralen Techniken in der Computertechnologie bis hin zur Philosophie und Sprachforschung. So entstehen äußerst anregende und spannende Querverbindungen, Assoziationsbrücken oder Strukturanalogien, beispielsweise, wenn im Film der Mediziner redet, wie auch der IT-Experte reden könnte:

    "Ja, sie sind halt schwer zu bekämpfen, die Viren. Das ist das Hauptproblem. Dass die Viren sich so in den Körperzellen verstecken, dass man schlecht mit Medikamenten rankommt."

    So wie die Metapher des "Virus" in all seinen Varianten zurzeit Konjunktur hat, so kann man Madeleine Dewalds und Oliver Lammerts "Global Viral - Die Virus-Metapher" im besten Sinne unzeitgemäß nennen. Dies ist nämlich ein Film-Essay mit durchweg spannend erzählenden Wissenschaftlern und Experten, der uns tatsächlich auffordert, selber zu denken und zwar Widersprüchliches durchaus und Komplexes. Was man als, wie gesagt, als recht unzeitgemäß bezeichnen könnte in Zeiten einer Twitter-Kultur, die maximal 140 Zeichen zulässt. Nein - das kann jetzt ein Angebot sein oder eine Drohung -, für "Global Viral" brauchen wir unendlich mehr Zeichen. Was für ein wunderbares, kluges filmisches Angebot, über die Metapher des "Virus" unsere Zeitläufe zu überdenken und vielleicht ganz anders einmal durchzudenken. Und uns möglicherweise - um in der "Virus"-Metapher zu bleiben - von dieser Erkenntnis hier von Oliver Lammert und Madeleine Dewald "anstecken zu lassen":

    "Ein Übermaß an Sicherheit bringt Bedrohung hervor. Ein Übermaß an Gesundheit Viren. Vollendete Strukturen kehren sich gegen sich selbst."

    Mehr Infos:
    Global Viral - Infos zum Film