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Die Volksnahe

Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) wird Berlin nach der Bundestagswahl verlassen. Ihre politische Karriere wird sie jedoch in Bayern fortsetzen. Als Vorsitzende des einflussreichsten CSU-Bezirksverbandes hat sie gute Chancen, eines Tages Ministerpräsidentin zu werden.

Von Katharina Hamberger | 12.09.2013
    Ilse Aigner zuckt zusammen. Sie hatte anstatt der Böllerschüsse einen Tusch erwartet. Als Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ist sie an diesem Tag in Böbing in Bayern unterwegs, um ein Logo für den Wettbewerb "Unser Dorf hat Zukunft" zu enthüllen. Jetzt steht sie unter einem Vordach des Gemeindehauses, direkt gegenüber der Kirche. Es regnet, die Ministerin lacht.

    Kein Tropfen kann die Idylle trüben. Böbing liegt im sogenannten Pfaffenwinkel, südwestlich von München. Bayern sieht hier so aus, wie Bayern eben auszusehen hat. Und fast das ganze Dorf scheint trotz des Regens gekommen zu sein. Irgendwann geht es doch hinein. Der Trachtenverein tanzt, eine Kindergruppe singt.

    Aigner beherrscht die Rolle der Volksnahen. Sie erweckt den Eindruck, dass sie sich wohlfühlt zwischen selbst gemachten Kuchen, Filterkaffee, Bier und Tracht. Ein kleiner Bub stürmt auf die Ministerin zu. Ein Autogramm möchte er haben. Aigner unterschreibt. "Schau Mama, von der Ministerpräsidentin", sagt der Junge in Lederhose. Aigner hört es nicht - oder überhört es vielleicht bewusst. Denn sie möchte in der Öffentlichkeit so wirken, als würde sie sich im Moment erst mal nur um die Landtagswahl, für die sie nun kandidiert, kümmern - und nicht um mögliche Posten danach.

    "Wenn ich eine Glaskugel hätte, könnte ich Ihnen das sagen."

    Neben Markus Söder, bayerischer Finanzminister gilt Aigner auch als potenzielle Nachfolgerin von Ministerpräsident Horst Seehofer. Die beiden gelten als, wie mancher sagt, als Kronprinz und -prinzessin. Aigner mag das nicht:

    "Wir haben ja keinen König. Aber wir haben einen hervorragenden Ministerpräsidenten. Und der hat das zu Recht gesagt, dass er das die nächsten fünf Jahre auch weitermachen will. Das soll er auch und damit er das machen kann, will ich ihn auch unterstützen."

    Sie weiß ganz genau, dass es ihr jetzt nur schaden würde, sich auf Spekulationen um Ämter einzulassen. Denn was tatsächlich aus ihr wird, hängt auch davon ab, wie sie selbst bei der Wahl abschneidet. Sie ist gerade erst als Vorsitzende des größten und einflussreichsten CSU-Bezirksverbandes, nämlich Oberbayern, im Amt bestätigt worden. Mit 99,7 Prozent. 40.000 Mitglieder hat der Verband - bei der letzten Landtagswahl gingen hier aber auch viele Wähler verloren. Deshalb übt sich Aigner erst einmal in Bescheidenheit, sagt, sie sei selbst keine Karrieristin:

    "Das stimmt überhaupt nicht, sondern Aufgaben erledigen: Das ist, was das wichtigste ist."

    Und trotzdem ist Aigner keine Frau, die durch Zufall da angekommen ist, wo sie nun steht. Die 48-Jährige ein Gespür für Taktik. Erahnen lässt sich das zum Beispiel dadurch, dass sie in ihrer Zeit in Berlin einem kleinen Grüppchen angehörte, das sich da nennt: MUZ.

    "Mut und Zuversicht."

    Es war die Schafkopf-Gruppe der CSU-Landesgruppe, die sich regelmäßig zu diesem bayerischen Kartenspiel traf.

    "Generell ist Schafkopf eben kein Glückspiel. Beim Schafkopf sind alle Karten ausgeteilt. Uns sie müssen halt nachvollziehen können, strategisch, wer könnte jetzt die restlichen Karten noch haben. Insofern finde ich das eigentlich das spannendste Spiel."

    Gelernt hat Elektrotechnikerin Aigner das während ihrer Ausbildung, wo sie die einzige Frau unter lauter Männern war. Sie ist sich auch auf der politischen Bühne durchaus bewusst, welche Karten im Spiel sind und was sie sich unter den richtigen Voraussetzungen ausrechnen kann - zumindest in Bayern. Und wenn's nicht klappt. Fünf Jahre Bundesministerin seien doch schon ziemlich weit oben, findet Aigner:

    "Da hab ich viel mehr erreicht im politischen Bereich, wie sich viele zu hoffen gewagt haben. Es gibt auch noch ein Leben außerhalb der Politik. Man wird’s nicht glauben."

    Aber noch ist Ilse Aigner in Berlin. Dort ist ihr eine Eigenschaft, die in Bayern an ihr geschätzt wird, vielleicht eher zum Nachteil geworden. Sie sei:

    "Also ein ausgleichender Mensch, und wenn man jetzt überhaupt nach Sternzeichen gehen will, ein sehr gerechtigkeitsliebender Mensch. Ich bin ein Schütze mit Aszendent Schütze. Denen sagt man einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn nach."

    Im Moment ist sie dabei ihr Büro im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auszuräumen. Dass die Arbeit dort nicht einfach werden würde, habe sie vorher gewusst. Denn in ihrem Ministerium gehört es dazu, den Spagat, zwischen Industrie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zumindest zu versuchen. Aber das hatte sie ja erwartet:

    "Also die schwierigsten Stunden waren bestimmt in diesen Zeiten, wo, ja, so unerwartete Krisen über einen hereingebrochen sind."

    Wie EHEC oder der Dioxin-Skandal. Sie hat sich bemüht - hat auch Konsequenzen gezogen. Aber manchen, vor allem Verbraucherschützern, gingen die Aktionspläne der Ministerin nicht weit genug. Die Opposition verspottete sie als Ankündigungsministerin. Trotzdem: Wehmut sei auch ein bisschen dabei, wenn sie Berlin verlässt, sagt Aigner. Ihre Mitarbeiter werde sie vermissen. Letzte Auftritte als Ministerin auf Veranstaltungen scheint sie besonders zu genießen. Zum Beispiel die letzte Fahrt auf einem Fischereiforschungsschiff auf der Ostsee. Gelöst gibt sie sich dort, betont, ein Vorteil ihres Amtes sei auch die Internationalität gewesen. Aber sie freue sich nun darauf nicht mehr an zwei Orten, Brüssel und Berlin, gleichzeitig sein zu müssen. In einem Wortgefecht mit dem Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus, macht sie auch gleich klar, dass sie sich für den aus ihrer Sicht richtigen Ort entschieden hat - und zeigt: Auch sie beherrscht den Seehofer’schen Superlativ.

    "Mecklenburg ist das schönste Bundesland und ich sag: Bayern ist das wunderschönste Bundesland."

    Leicht wird es in Bayern sicher auch nicht werden. Aber Ilse Aigner scheint dort besser als in Berlin zu wissen, welche Knöpfe sie dort drücken muss. Zum Beispiel eben, wenn es um die Liebe zum Bundesland geht.

    Ein Volksfest in Pang bei Rosenheim - Aigners alte Heimatregion, hier hat sie gelernt. In ihrer Jugend war sie großer Fan des Rosenheimer Eishockey-Teams. Sie trägt kein Dirndl, aber einen Trachtenjanker und soll nun gleich eine Bierzeltrede halten.

    Und da ist sie wieder die Volksnahe. Sie lächelt, winkt, schüttelt Hände. Sie mag die Menschen, sagt sie selbst über sich. Bei ihrer Rede zeigt sich: Drauf hauen, das kann sie nicht unbedingt. Was aber bislang als die unabdingbare Eigenschaft für CSU-Politiker galt, scheint sie durch anderes auszugleichen. Auch wenn sie die Leute nicht unbedingt vom Hocker reißt bei ihrer Rede. Am Ende scheint das niemanden zu stören. Hauptsache: Die Bayernhymne sitzt. Das weiß Ilse Aigner.