Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Die Welt verändern
Visionen und Wahrheiten aus der Blockchain-Entwicklung

Die Schweiz mit ihren vielen Bergen und Tälern ist um ein Tal reicher geworden. Es heißt: Crypto Valley. Es reicht von Zürich bis an den Zugersee. Hier haben sich Firmen angesiedelt, die alle an der verheißungsvollen Blockchain-Technik arbeiten. Ihr ambitioniertes Ziel: Sie wollen die Welt verändern, wieder einmal.

Von Thomas Reintjes | 26.02.2017
    Ein Münze mit der Aufschrift Bitcoin liegt auf einer Tastatur. In Erscheinung getreten ist die Blockchain-Technik erstmals mit der rein digitalen Währung Bitcoin, jetzt soll sie auch für andere Zwecke eingesetzt werden.
    Ein Münze mit der Aufschrift Bitcoin liegt auf einer Tastatur. Damit wurde erstmals die Blockchain-Technik bekannt. (imago stock&people)
    In Erscheinung getreten ist die Blockchain erstmals mit der rein digitalen Währung Bitcoin, jetzt soll sie auch für andere Zwecke eingesetzt werden und sich vom Crypto Valley aus in der ganzen Welt verbreiten. Es wäre zum Beispiel eine Art Ebay denkbar, nur ohne Ebay. Oder eine Mitfahrzentrale ohne Zentrale. Gingen Banken, Börsen und Behörden bei Bitcoin noch auf Abstand, interessieren sie sich jetzt für die neuen Anwendungen. Aktionäre könnten in Zukunft per Blockchain an Abstimmungen teilnehmen, hoheitliche Daten könnten in einer manipulationssicheren Blockchain-Datenbank abgelegt werden. Sogar Autos und Türschlösser sollen sich per Blockchain vernetzen können.
    Doch wie bei der Technik aus dem Silicon Valley, ist auch im Crypto Valley nicht alles eitel Sonnenschein. Zuletzt hat ein nur knapp verhinderter Millionenraub die Community zum Umdenken gezwungen.

    Das Manuskript zur Sendung:
    Angefangen hat alles, als 2015 eine Gruppe Programmierer bei Herbert Sterchi anklopft.
    "Vitalik Buterin war da, Johann Gevers, Joseph Lubin, Mihai Alisie."
    Herbert Sterchi ist Unternehmensberater und wirbt für den Standort Zug. Die jungen Programmierer, sagt er, konnten keine erschwingliche Unterkunft finden. Also nahm er die rund zehn Leute bei sich zu Hause auf.
    "Wir waren zu elft da in meiner Wohnung für zwei Wochen, weil wir einfach kein AirBnB hatten und das war eine ganz tolle Erfahrung. Die Leute haben sieben Mal 24 Stunden gearbeitet. Der eine hat im Bett noch ein Interview gegeben für eine TV-Station in Los Angeles, der andere hat programmiert, der andere hat gegessen, und das ist einfach dieser effiziente Spirit, wo alle am gleichen Strick ziehen, hat da unheimliche Kräfte freigelegt, wo jetzt eine kleine Industrie entsteht."
    Ein Welt-Computer, der sich niemals abschalten lässt
    In diesem Startup-Spirit mit Schlafsäcken auf dem Boden und aus Paletten improvisierten Schreibtischen entsteht Ethereum. Ethereum ist die Idee des damals 21-jährigen Vitalik Buterin. Inzwischen ist es die Blockchain, die die aktivste Entwicklercommunity hat. Jeder kann sich Ethereum auf seinem Rechner installieren. Die Rechner vernetzen sich und bilden zusammen einen großen Computer. Der kann Daten speichern und Programme ausführen. Und solange die Software auf mindestens einem Rechner läuft, lässt sich dieser Welt-Computer niemals abschalten. Ethereum, hoffen die Entwickler, ist für die Ewigkeit.
    Blick auf die Kantonshauptstadt Zug am Zuger See mit den Zuger Bergen (undatierte Aufnahme)
    Die Kantonshauptstadt Zugam Zugersee in der Schweiz. (dpa / Grab)
    Nun, immerhin ihr Büro ist kein Provisorium mehr. Die Ethereum Foundation sitzt mittlerweile in einer Büroetage in Zug. Das ursprüngliche Entwicklerteam ist nicht mehr hier. Sie haben von hier aus die Ideen in die ganze Welt getragen. Bei einem ihrer Start-ups habe ich später noch einen Termin.
    Zuerst will ich mich aber mit einem Programmierer treffen, der schon länger hier ist als es Ethereum und das Crypto Valley überhaupt gibt. Ich fahre ein paar Kilometer am Seeufer entlang nach Walchwil. Dort ist Søren Fog gerade in eine neue Wohnung gezogen - vom Balkon aus lassen wir den Blick über den Zugersee schweifen. Am Horizont türmen sich die Alpen auf. - Und in dieser Idylle wird Technik entwickelt, wird Software geschrieben, die revolutionär sein soll? Søren Fog erklärt es so:
    "When I talk to people who don't understand technology is to say it's a stack of papers ..."
    Eine Blockchain für dem Autoverkauf
    Wenn ich mit Menschen rede, die die Blockchain-Technik nicht kennen, sage ich immer: Das ist wie ein Stapel Papier. Wenn du ein Blatt auf den Stapel drauf heftest, kannst du es nicht mehr entfernen oder verändern. Man hat also eine Datenbank, die nicht manipulierbar ist. Und wenn man es doch versucht, kann man die Veränderung leicht entdecken und das Original aus einem Backup wiederherstellen.
    "… and use a backup that is uncorrupted."
    Die Papierblätter, die Søren Fog beschreibt, sind in Wahrheit Datenblöcke. In regelmäßigen Abständen wird aus den Daten, die gespeichert werden sollen, ein neuer Block geformt. Die Blöcke werden aneinander gehängt, miteinander verkettet zu einer Block-Kette, einer Blockchain. Søren Fog bringt ein Beispiel: Er will mir seinen alten Peugeot verkaufen. Damit niemand den Kaufvertrag manipuliert, gehen wir zu einem Notar.
    "A notary service. This guy is a lawyer. He's trusted by the government."
    Der ist Jurist. Die Regierung vertraut ihm. Er macht eine Kopie unseres Vertrags, bringt sie in sein Archiv. Das dauert zwei Minuten und er schickt jedem von uns eine Rechnung über 500 Franken.
    "... each of 500 Francs for the service."
    Die Technik automatisiert Vertrauen
    Würden wir den Kauf über die Blockchain abwickeln, könnten wir uns den Notar sparen. Man brauche bei Geschäften keine Vertrauensperson mehr. Diese Rolle übernehme die Blockchain.
    "It's automating trust. That's what this technology do. It automates trust."
    Berlin: Es gilt noch immer - das Auto ist des Deutschen liebstes Kind. Fachverkäufer Michael Riehl (r.) vom ASB Autohaus Berlin hilft einem Ehepaar mit seiner Sachkenntnis bei der Entscheidung für das richtige Modell.
    Potenzielle Käufer in einem Autohaus. Den Kauf per Blockchain abschließen? Heute wohl noch unvorstellbar. (Kalaene Jens / dpa)
    Die Technik automatisiert Vertrauen. Man braucht keine Instanzen mehr, die Vertrauen schaffen und dadurch Kosten verursachen. Man kann das einfach automatisieren und das ist quasi umsonst. Und das wird Vieles in der Welt verändern.
    "... and do basically for free and this will change a lot of things in this world."
    Um diese beiden Punkte kreisen die meisten Ideen von Startups in der Blockchain-Welt: Erstens, das Ausschalten von Mittelsmännern, die Vertrauen zwischen Fremden herstellen und sich dafür bezahlen lassen. Es wäre zum Beispiel eine Art Ebay denkbar, nur ohne Ebay. Oder eine Mitfahrzentrale ohne Zentrale. Menschen können direkt miteinander Vereinbarungen treffen und Transaktionen abwickeln.
    Handel mit Blutdiamanten erschweren
    Und der zweite Punkt: dass es eine Datenbank gibt, die manipulationssicher ist und in der man zurückblättern und sehen kann, zu welchem Zeitpunkt welche Informationen gespeichert wurden. Eine Geschäftsidee ist etwa, Diamanten auf einer Blockchain zu registrieren, um sie rückverfolgen zu können und den Handel mit Blutdiamanten zu erschweren. Andere Firmen arbeiten daran, hoheitliche Daten in Blockchains zu hinterlegen, um sie vor Manipulationen zu schützen – etwa in korrupten Staaten, wo das Vertrauen in die Technik größer ist als das Vertrauen in Beamte. Aber auch in Schweden läuft bei der zuständigen Behörde ein Pilotversuch zur Registrierung von Grundbesitz auf einer Blockchain. Estland arbeitet mit der amerikanischen Nasdaq-Börse zusammen, um via Blockchain Abstimmungen für Aktionäre zu realisieren.
    Die Anwendungen sind also vielfältig und können sowohl Wirtschaft und Handel, als auch Politik und Gesellschaft betreffen. Und: Unternehmen wie Regierungen signalisieren Interesse. Das war bei der ersten und wohl bisher größten Blockchain-Anwendung anders. Vielleicht, weil sie die stärkste revolutionäre Kraft in sich barg: Bitcoin. Über diese rein digitale Währung hat auch Søren Fog seinen Einstieg in das Thema gefunden.
    "A friend of mine here from Zug, Danish guy..."
    Eine leicht anarchistische Gesinnung
    Ein Freund von mir hier aus Zug, ein Däne, ist der CEO von Bitcoin Suisse. Damals war das eine ganz kleine Firma, zwei Typen, die in einem Loft saßen und was starten wollten. Und Niklas, so heißt er, hat mir von dieser neuen Technik erzählt und ich fand das interessant.
    "...and thought that was interesting."
    Am Fenster eines Coffeeshops in Nanshan in China hängt ein Schild, das Kunden darüber informiert, dass hier auch mit der digitalen Währung Bitcoin bezahlt werden kann.
    Am Fenster eines Coffeeshops in China hängt ein Schild, das Kunden darüber informiert, dass hier mit Bitcoin bezahlt werden kann. (imago/China Foto Press)
    Niklas Nikolajsen heißt er mit vollem Namen, google ich später. Bitcoin Suisse ist eine Firma, bei der man Euro oder Franken in Bitcoin umtauschen kann. Die Aktiengesellschaft wurde 2013 gegründet. Bitcoin Suisse scheint mir eine der Firmen zu sein, die den Crypto-Valley-Spirit voll verkörpern und aufrechterhalten.
    "If you look at my friend Niklas' company you'll see ..."
    Wenn Sie sich den Firmensitz ansehen, werden Sie sehen, dass mein Freund Niklas eine Piratenflagge auf dem Dach hat. Diese Gesinnung, dieser leicht anarchische, rebellische Ansatz ist es natürlich, wo Bitcoin herkommt.
    "... defines Bitcoin and where it comes from today."
    Eine Währung, die von keiner Bank kontrolliert werden kann
    Dieses Image hat Bitcoin immer noch. Und die Community pflegt es auch. Man ist stolz darauf, eine Währung zu haben, die von niemandem, von keiner Bank und keinem Staat kontrolliert wird, kontrolliert werden kann. Einzige Instanz ein Code, ordentlich und fälschungssicher abgelegt in Datenblöcken. Firmen, die mit Bitcoins arbeiten, werden deshalb bis heute vielerorts von Behörden kritisch beäugt. Nur in der Schweiz, im Kanton Zug scheint man das eben etwas lockerer zu sehen.
    "Es ist eine sehr attraktive Geschichte, die hier entsteht. Und das unterstützen wir selbstverständlich. Wir wollen in unserer Philosophie die allgemeinen Rahmenbedingungen auch für diese Nische zur Verfügung stellen."
    Das ist Bernhard Neidhart, Leiter des Amtes für Wirtschaft und Arbeit beim Kanton Zug. Als ich ihn in einem Verwaltungsgebäude in der Zuger Innenstadt treffe, versichert er mir, dass günstige Unternehmenssteuersätze nicht mehr ausreichen, um Firmen in sein Kanton zu locken. Aber die Verwaltung geht auf die Bedürfnisse von Unternehmen wie Bitcoin Suisse ein.
    "Es ging darum: Müssen die eine Banklizenz lösen mit all den Auflagen bis hin zu Eigenkapital-Einlage für den Sparer, den Schutz der Anleger? Und so wie der erste Entscheid gefällt wurde, will man den Weg gehen, dass man unter starker Aufsicht weiterhin und Begleitung zuerst einmal sagt, okay, Geldwäscherei-Gesetz, die Auflagen müsst ihr erfüllen, Bank-Lizenz nicht, vorerst."
    Bezahlen für den Dateneintrag
    Erst einmal arbeiten zu können, ohne von Bürokratie erschlagen zu werden, das ist wohl der wichtigste Grund für Blockchain-Startups, nach Zug zu kommen. Denn bei Blockchains geht es fast immer auch um Geld, darum, Transaktionen abzuwickeln und Besitz zu verwalten. Klassisches Beispiel ist wiederum Bitcoin. Wer eine Bitcoin-Transaktion vornehmen will oder einfach nur Daten in eine Blockchain eintragen will, muss dafür bezahlen. Diese Transaktionsgebühren bekommen die sogenannten Miner, die unter hohem Rechenaufwand neue Datenblöcke erzeugen. Der Miner, der als erstes die aktuellen Transaktionen zu einem gültigen Block formt, bekommt die Gebühren."
    Ein Hacker vor dem Neven DuMont Haus in Köln.
    Computer-Hacker können auch Bitcoins stehlen. (imago)
    Wohl einer der ersten, der im Crypto Valley beim Bitcoin-Mining geholfen hat, ist Christian Decker. Er hat an der ETH Zürich seine Doktorarbeit über die Bitcoin-Blockchain geschrieben. Er erzählt, dass er schon anfing sich mit Bitcoin auseinanderzusetzen, kurz nachdem das Konzept für die virtuelle Währung Ende 2008 veröffentlicht wurde.
    "Ich war damals noch in meinem Studium. War sehr stark an verteilten Systemen interessiert. Und dann kam dieses Paper, das behauptet, es könne halt gewisse Garantien liefern in einem verteilten System, wo niemand niemand kennt und niemand einer Einzelperson vertraut. Und plötzlich schafft es dieses System, aufzubauen, was viele Leute bis dahin für sehr schwierig oder sogar unmöglich gehalten haben. Und, ja da war mein Interesse geweckt."
    Plötzlich waren 9.000 Bitcoins weg
    Christian Decker fängt an, seinen Computer zum Mining einzusetzen, also neue Datenblöcke berechnen zu lassen. Die Transaktionsgebühren spielen damals noch keine große Rolle, aber wer einen neuen Block generiert, generiert damit automatisch auch neue Bitcoins - quasi als Belohnung. Und so sammeln sie sich auf seiner Festplatte, denn wirklichen Nutzen gibt es für Bitcoins damals nicht. Bis er Jahre später eine Warnmeldung bekommt.
    "Plötzlich bekomme ich eine Nachricht, dass Gelder auf meinem Bitcoin-Konto in Bewegung waren. Und, da wurde ich dann erst mal stutzig. Wieso, weshalb, warum? Ich habe doch gar keine Bezahlungen getätigt. Dann hab ich nachgeguckt. Und dann stellt sich heraus, dass mein Konto leer geräumt wurde. Und ich hatte eine Verbindung mit einer russischen IP-Adresse. Da bin ich dann erst mal ganz schnell rüber gerannt und habe den Stecker aus dem Internetanschluss gezogen. Und, ja, dann stellte sich heraus, dass da um die 9.000 Bitcoins nicht mehr da waren."
    9.222 Bitcoins fehlen, um genau zu sein.
    "Dann bin ich am Montag drauf bin ich dann zur Kantonspolizei Zürich gegangen, hab dem Polizisten das lange erklärt. Der Beamte hat das sehr interessiert verfolgt und meinte dann am Ende: ja, normalerweise ginge es bei Diebstählen, wenn Informatikmittel betroffen sind, ja darum, dass das ganze Notebook weg ist, nicht nur so ein paar Daten. Und da wusste ich, dass dann nicht mehr allzu viel kommt."
    Auf die Titelseite der "New York Times"
    Nur, dass die paar Daten, die ihm abhanden gekommen sind, bares Geld wert sind. Als er zur Polizei geht, guckt er zum ersten Mal nach, wie viel seine Bitcoins eigentlich wert sind.
    "Und dann waren das, waren das 100.000 Franken. Und wo das ein paar Monate später von Reuters aufgesammelt wurde, hatte sich der Preis nochmal ordentlich gesteigert, und dann waren das nicht mehr 100.000 Franken, sondern 9 Millionen Dollar. Weshalb ich dann auch direkt auf die "New York Times"-Titelseite gekommen bin. Worauf ich heute noch stolz bin."
    Zahlreiche Netzwerkkabel stecken am 21.07.2014 in Routern in einem Serverrraum im Zentrum für IT-Sicherheit in Bochum (Nordrhein-Westfalen).
    Die Bitcoin-Daten belegen inzwischen riesige Mengen an Speicherplatz. (dpa / picture-alliance / Matthias Balk)
    Neun Millionen Dollar, mal eben per Internet abgestaubt. Christian Decker ist Bitcoin trotz des schmerzlichen Verlusts treu geblieben und arbeitet jetzt in einem Startup daran, das Bitcoin-Netzwerk effizienter zu machen. Es stößt nämlich an mehreren Ecken und Enden an seine Grenzen. Obwohl im Vergleich zu großen Kreditkartennetzwerken nur sehr wenige Transaktionen über Bitcoin abgewickelt werden, ist das Netzwerk nahezu ausgelastet. Die Blockchain, in der alle Transaktionen gespeichert werden, wächst exponentiell an. Anfang 2015 war sie etwa 15 Gigabyte groß, Anfang 2017 hat sie schon eine Größe von 100 Gigabyte erreicht. Diese Datenmenge speichert niemand gern auf seinem Computer, aber genau das ist eines der Grundprinzipien: Jeder Teilnehmer sollte eine Kopie der Blockchain haben, um Manipulationen zu erschweren. Hinzu kommt, dass die Bitcoin-Community zerstritten ist. Die Programmierer, die die Technik weiterentwickeln, können sich nicht einigen, wie sie die Probleme beheben wollen. Das hat dazu geführt, dass manche das Projekt Bitcoin schon als gescheitert ansehen. Zum Beispiel Mike Hearn.
    Einer der Ersten, die Bitcoins besaßen
    "I only check in now with the Bitcoin community ..."
    Ich gucke nur noch ab und zu, was bei Bitcoin passiert. Aber eigentlich ist da im vergangenen Jahr gar nichts passiert. Oder sogar in den vergangenen beiden Jahren. Das ist ein stagnierendes Projekt.
    "That is a completely stagnant project."
    Dabei war Mike Hearn einmal einer der herausragenden Köpfe der Bitcoin-Community. Er war einer der ersten, die überhaupt Bitcoins besessen haben.
    "I used it a few months after it was first released in 2009. Satoshi Nakamoto who is the founder of Bitcoin sent me some, around 75 bitcoins I think."
    Ein paar Monate, nachdem Bitcoin im Jahr 2009 auftauchte, hat mir der Bitcoin-Erfinder Satoshi Nakamoto ein paar geschickt, so 75 Bitcoins, glaube ich.
    Wer ist Satoshi Nakamoto?
    Da werde ich hellhörig, als ich bei Mike Hearn auf der Couch sitze, in einem Mehrfamilienhaus in Zürich. Kennt er etwa den mysteriösen Satoshi Nakamoto? Wer sich hinter diesem Pseudonym verbirgt, ist bis heute ein großes Rätsel. Wer hat diese geniale Idee gehabt? Mathematiker hatten schon seit Jahrzehnten immer wieder Konzepte für digitale Währungen entworfen. Die meisten waren legal nicht umsetzbar, keines verband Sicherheit und Vertrauen so miteinander, wie die von Satoshi Nakamoto vorgeschlagene Bitcoin-Blockchain. Es ist noch nicht einmal bekannt, ob Satoshi Nakamoto ein Mann oder eine Frau ist, eine Person oder ein Team - und warum seine wahre Identität ein Geheimnis ist. Und Mike Hearn, weiß er also, wer Satoshi Nakamoto ist?
    "No. (Lacht) But if I did, I would say that, wouldn't I?"
    Nein. Aber wenn ich es wüsste, würde ich das sagen, oder?
    "His secret is safe with me."
    Sein Geheimnis ist bei mir sicher.
    Blockchain-Technik für Großbanken
    Also gut, deswegen bin ich auch nicht hier. Was ich eigentlich von Mike Hearn wissen möchte ist, ob er selbst noch an Blockchain-Technik glaubt, nachdem er das Kernteam der Bitcoin-Entwickler nach fünf Jahren frustriert verlassen hat. Nein, sein neues Projekt namens Corda sei keine Blockchain, sagt er.
    "We don't have a blockchain at all. There are no miners. We don't even organize a time line into blocks."
    Es gibt keine Miner. Wir teilen Zeit auch nicht in Blöcke ein. Wir nutzen viele andere Ideen aus Systemen wie Bitcoin oder Ethereum, aber Zeit in Blöcke einzuteilen, gehört nicht dazu.
    "...but organizing time into blocks isn't one of them."
    Blick auf Londons Finanzdistrikt mit den Bankentürmen von unter anderem HSBC, Citigroup, JPMorgan Chase, Barclays.
    Blick auf Londons Finanzdistrikt. Auch Banken interessieren sich inzwischen für die Blockchain. (AFP)
    Corda ist also eine Weiterentwicklung, die ausgerechnet das Grundprinzip, alle paar Minuten einen neuen Datenblock zu formen, verwirft. Hearn entwickelt Corda für R3, ein Unternehmen, das mit vielen Großbanken zusammen arbeitet. Nachdem Bitcoin Banken ja eigentlich überflüssig machen wollte, nimmt Mike Hearn jetzt also die besten Teile der Blockchain-Technik, kombiniert sie mit Neuem, und entwickelt ein Blockchain-ähnliches System für den Datenaustausch zwischen Banken.
    Smart Contracts für neue Möglichkeiten
    Eine der überzeugenden Ideen von Bitcoin und Ethereum, die Mike Hearn jetzt in Corda einbaut, sind die Smart Contracts. Smart Contracts, also in etwa "schlaue Verträge", sind kleine Programme. Treffen bestimmte Bedingungen ein, werden sie automatisch ausgeführt. Mike Hearn beschreibt Smart Contracts als eine Art Plug-In, mit dem man die Funktionalität einer Blockchain erweitern kann.
    "This way, you're allowed to extend the capability of the system without getting anyone's permission."
    Man kann dadurch die Möglichkeiten des Systems erweitern, ohne irgendwen um Erlaubnis fragen zu müssen. Also, das ist definitiv ein fundamentales Konzept, das wir auch nutzen."
    "That's an idea that you know is fundamental and we're definitely using."
    Smart Contracts können beliebig kompliziert werden - wie richtige Verträge eben. Und sie sollen juristische Verträge tatsächlich ersetzen können.
    Neue Ideen aus Sachsen
    Um darüber mehr zu erfahren, verlasse ich das Crypto Valley und fahre nach Sachsen, in die Kleinstadt Mittweida, zu Simon und Christoph Jentzsch:
    "Ich glaube, es muss nicht immer Berlin, New York und so sein, um dort ein Startup zu gründen. Es kann auch mal Mittweida sein."
    Während das Crypto Valley für die Keimzellen der Technik wie Bitcoin Suisse oder die Ethereum Foundation ein guter Standort ist, gilt das für Start-ups nicht unbedingt. Denn die Schweiz ist teuer. Einige haben sich in Zug und Umgebung die Inspiration geholt und sind dann weitergezogen. Auch Christoph Jentzsch ist eng mit Ethereum verbunden, war und ist selbst aktiv an der Entwicklung beteiligt. Er kennt das System also in- und auswendig und nutzt dieses Wissen jetzt, um sein Startup namens Slock.it aufzubauen. Es setzt auf die Ethereum-Blockchain und deren Smart Contracts auf. Die ursprüngliche Geschäftsidee ist, Türschlösser zu bauen, die von Smart Contracts geöffnet werden können.
    Schlösser, die durch bezahlen geöffnet werden
    "Wir versuchen zum Beispiel, ein Türschloss direkt an die Blockchain anzubinden. Da läuft eine Software drauf und man bezahlt das Türschloss, dass es aufgeht. Das ist so die Idee: Schlösser, die man durch Bezahlen öffnen kann."
    Bildnummer: 58384194 Datum: 12.08.2012 Copyright: imago/Ralph Peters Vorhängeschloss mit roter Kette hängt an einem schmiedeeisernen Tor in Graz x0x xsk 2012 quer Tür Tor Schloss verschlossen abgeschlossen geschlossen verriegelt zugesperrt versperrt abgeriegelt rot rote Kette Eisenkette Stahlkette Gitter Eisengitter vergittert zugeschlossen gesperrt Kontrast Signalfarbe Gesellschaft Türschloss Sicherheit Zutritt Eintritt Zutrittsverbot Eintrittsverbot Symbol Symbolbild 58384194 Date 12 08 2012 Copyright Imago Ralph Peters Padlock with Red Chain hang to a wrought iron goal in Graz x0x xSK 2012 horizontal Door goal Castle sealed completed closed locked zugesperrt obstructed year Red red Chain Iron chain Steel chain Grid Iron railing with a grid zugeschlossen locked Contrast Signal color Society Door lock Security Access Entrance Are prohibited symbol Symbol image
    Bezahlen, um aufzuschließen. Eine Idee mit er Blockchain-Technik. (imago/Ralph Peters )
    Damit könne man zum Beispiel direkt seine Wohnung untervermieten, ohne dass wie heute ein Unternehmen wie AirBnB die Transaktion managt.
    "Und das Geld geht dann, wird als Kaution gehalten. Wenn derjenige fertig ist, bekommt der Besitzer seinen Teil und dann Kaution minus die Kosten gehen zurück an den, der sich die Wohnung zum Beispiel ausgeliehen hat."
    Diese Idee haben Christoph und Simon Jentzsch ausgeweitet zu etwas, das sie Universal Sharing Network nennen. Darüber ließe sich alles Mögliche teilen. In Smart Contracts ist festgeschrieben, wer wann Zugriff bekommt und wie viel Geld dafür fließen soll.
    Eine Idee, unabhängig von der Firma
    "Wenn man Autos leihen will, dass man das Auto bezahlt. Dass das Auto ein Bankkonto hat, sag ich jetzt mal so in Anführungsstrichen. Und das Auto kann dann auch andere Dinge bezahlen: Parkgebühren, wenn es ein Elektroauto ist, Strom für Ladung, Mautgebühren, was auch immer so anfällt."
    Slock It stößt damit auf Interesse. Und zwar nicht nur auf Interesse von Nerds und Utopisten wie bei Bitcoin. Große Unternehmen wie RWE beziehungsweise Innogy wollen die Technik in Pilotversuchen testen.
    Internet der Dinge wird das oft genannt, wenn Gegenstände miteinander kommunizieren und untereinander Transaktionen vornehmen. Das über eine öffentliche Blockchain wie Ethereum abzuwickeln, hat unter anderem den Vorteil, dass die Geräte unabhängig von der Firma Slock It funktionieren. Sollte das Startup irgendwann Pleite gehen und schließen, die Ethereum-Blockchain wird weiterlaufen und die Smart Contracts ausführen.
    Die Kehrseite der Smart Contracts
    Aber bei Slock It mussten sie auch schmerzlich lernen, dass Smart Contracts keine ganz ungefährliche Idee sind. Selbstablaufende Programme auf einem nicht abschaltbaren Welt-Computer, das lässt sich auch für kriminelle Zwecke verwenden. Oder die Smart Contracts können Bugs haben und missbraucht werden. So geschehen bei einem Smart Contract, den Christoph Jentzsch geschrieben hat. Er wurde unter dem Namen The DAO (sprich: Dáo) bekannt, was für Dezentrale Autonome Organisation steht. Im Grunde war die DAO ein Fond, der Startups wie Slock.it mitfinanzieren sollte. Jeder konnte in den Fond einzahlen und bekam dafür Fondsanteile. Diese Fondsanteile waren kryptographische Token, also praktisch eine eigene digitale Währung wie Bitcoin. Auf der Ethereum-Blockchain ist es einfach möglich, beliebige neue Währungen zu generieren und zu verkaufen. Diese DAO-Token wurden also im Frühjahr 2016 verkauft.
    "Als es gestartet ist, das war Ende Mai wenn ich mich recht erinnere, ja, innerhalb von vier Wochen war ein Wert von umgerechnet in etwa 150 Millionen Dollar da drin."
    Millionen Dollar, auf die niemand Zugriff hatte
    Noch nie war bei einem Crowdfunding so viel Geld zusammengekommen. Aber das unglaubliche war: Niemand hatte Verfügungsgewalt über das Geld. Die 150 Millionen Dollar wurden praktisch von der DAO verwaltet und die DAO war nichts anderes als ein Smart Contract. Was mit dem Geld geschehen sollte, so stand es in Form von Computercode in dem Smart Contract, darüber konnten allein diejenigen entscheiden, die DAO-Token innehatten.
    "Doch dann kam der Tag, wo die DAO gehackt wurde. Es gab einen Fehler im Smart Contract."
    Ein Mitarbeiter arbeitet an einem Computermonitor, auf dem ein Quellcode angezeigt wird.
    Computercode lässt sich knacken - und viel Geld auf diese Weise stehlen. (dpa)
    Christoph Jentzsch beteuert, dass der Code vorher von Experten geprüft worden war. Niemand hatte den Fehler bemerkt. Außer einem Hacker, der ihn jetzt ausnutzte.
    "Dieser Fehler hat dazu geführt, dass ein Angreifer sich ungefähr 60 Millionen Dollar in ein Unterkonto setzen konnte, was er 27 Tage später hätte sich nehmen können."
    60 Millionen Dollar in Form einer digitalen Währung, in einem System, das niemand anhalten kann. Und 27 Tage, um es doch zu versuchen.
    Paralleluniversen bei Ethereum
    "Das waren 27 Tage, die voller Energie und Action waren. Was können wir jetzt tun? Die DAO ist eine dezentrale autonome Organisation. Wir haben keine Macht über sie. Keiner von uns konnte irgendwas tun. Es war wirklich... Wir haben gemerkt: Es war zu dezentral, völlig ohne Kontrolle in Form von, dass irgendjemand da was hätte ändern können."
    Am Ende blieb nur eine radikale Lösung. Ethereum änderte sein Protokoll. Die neue Version tut jetzt so, als hätte es die DAO nie gegeben. Die Anleger konnten sich ihr Geld zurückholen. Aber seither gibt es zwei Paralleluniversen. Denn einem Teil der Ethereum-Community war die Protokolländerung eine zu extreme Maßnahme. Sie bleiben bei dem alten Protokoll, das nun Ethereum Classic heißt.
    Die Grenze einer technokratischen Idee
    Ein Bug in einem Smart Contract hat also Ethereum gespalten. Aber war es ein Bug? Oder war es Vertragstext? Durch ihre Investition hatten die DAO-Fans dem Smart Contract zugestimmt, der das Geld verwaltete. Der Bug war Teil des Smart Contracts. Hat der Hacker also vertragsgemäß gehandelt? Code is Law heißt diese Denkweise. Sie steht für die gefährliche Annahme, dass Computer immer Recht haben. Christoph Jentzsch relativiert.
    "Ich hatte auch, ich muss ehrlich sagen, ich war auch einer, der immer diese Ansicht stark hatte und ich habe in meinem Blog Post dazu geschrieben: Ja, Code is Law ist mehr eine Analogie, weil halt diese Smart Contracts immer genauso ausgeführt werden, wie sie geschrieben sind. Das ist mathematisch Es gibt keinen Interpretationsspielraum."
    Bei der DAO ist diese technokratische Idee an ihre Grenze gestoßen. Im Corda-System, das Mike Hearn für Banken entwickelt, sollen Smart Contracts deshalb auch von klassischen Verträgen begleitet werden, aus denen sich die Absicht des Vertrags erkennen lässt.

    Die DAO hat die Blockchain-Community erschüttert. Aber es war wohl ein heilsamer Schock. Die Entwickler denken jetzt stärker über Sicherheitsmechanismen nach, wollen einen Gang runter schalten. Nur: das ist gar nicht so einfach. Denn im Crypto Valley arbeitet man mit der Mentalität aus dem Silicon Valley und dort lautet das wichtigste Mantra: Fail Fast. Das heißt so viel wie: Mach schnell, und wenn es schief geht, versuch's gleich noch einmal. Weil Investoren schnelle Ergebnisse sehen wollen, werden halbfertige Produkte auf den Markt geworfen. Das funktioniert im Crypto Valley nicht. Viele der Entwickler, mit denen ich auf dieser Reise gesprochen habe, wissen das. Sie distanzieren sich von den utopistischen Vorstellungen, mit denen Bitcoin gestartet ist, und die man auch aus dem Silicon Valley kennt: Die Welt durch Technik zu einem besseren Ort zu machen.
    (Søren Fog arbeitet nicht mehr an Bitcoin, sondern an einer nicht-öffentlichen, proprietären Blockchain für Unternehmen. Christian Decker hat nach seiner Forschung an der ETH einen Job bei einem der Startups angenommen, die gemerkt haben, dass sie Know-how aus der Wissenschaft brauchen und nicht nur die idealistische Energie von Anfang-20-Jährigen. Simon und Christoph Jentzsch sagen, sie haben zu schnell zu viel gewollt. Jetzt wollen sie mit einem kleinen, geschlossenen System anfangen, bevor es vielleicht irgendwann groß und dezentral wird.)
    Blockchain-Technik ist und bleibt ein mächtiges Werkzeug. Aber genau deshalb muss sie auch mit Bedacht eingesetzt werden, wenn sie ihr revolutionäres und nicht ihr zerstörerisches Potenzial entwickeln soll.