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"Die wirkliche Sahne der ägyptischen Kunst"

Archäologie.- Ägypten befindet sich im Ausnahmezustand. Das nutzen einige Menschen aus - für Plünderungen. Doch wie sicher sind unter diesen Umständen die Kunstschätze des Landes? Der Ägyptologe Christian Loeben erläutert im Interview mit Jochen Steiner die Gefahren der Situation.

01.02.2011
    Jochen Steiner: Eine so riesige Demonstration hat es in Kairo noch nie gegeben. Hunderttausende protestieren gegen die Mubarak-Regierung. Derweil macht sich die Weltkulturorganisation Unesco Sorgen um die Kunstschätze des Landes. Im Ägyptischen Museum in Kairo zerstörten Einbrecher zwei Mumien und weitere Exponate. 120.000 Gegenstände werden dort aufbewahrt. Vor der Sendung sprach ich mit Christian Loeben, er ist der Leiter der Ägyptischen Sammlung im Museum August Kestner in Hannover. Welche Gegenstände befinden sich denn überhaupt im Ägyptischen Museum in Kairo?

    Christian Loeben: Das Ägyptische Museum in Kairo ist eigentlich die Schatzkammer der nationalen archäologischen Schätze. Also ungefähr die bedeutendsten Funde aus 150 Jahren ägyptologischer Forschung in Ägypten sind dort gelagert - zum Teil eben in unterirdischen Kammern, in Magazinen, aber natürlich auch en masse in den für die Besucher geöffneten Galerien.

    Steiner: Was müsste Ihrer Meinung nach primär in diesem Museum geschützt werden?

    Loeben: Oh, das ist ganz schwer zu sagen, denn eigentlich ist alles, was dort ausgestellt ist, was dort überhaupt lagert, die wirkliche Sahne der ägyptischen Kunst. Denn Sie müssen sich vorstellen, dass natürlich bei Ausgrabungen die Top-Stücke nach Kairo gelangt sind. Das heißt, zum Beispiel der komplette Tutanchamun-Schatz, also das was Howard Carter im Grab des Tutanchamun gefunden hat, es dort ausgestellt. Und dementsprechend ist eigentlich alles zu schützen. Es gibt nichts, wo man eine Prioritätenliste setzen könnte oder ähnliches. Also es ist alles oder nichts. Das ist ziemlich dramatisch.

    Steiner: Jetzt waren sie selbst ja auch schon mehrfach dort, in diesem Museum vor Ort. Wie sicher sind dort die Exponate?

    Loeben: Also das Gebäude, das vom Anfang des 20. Jahrhunderts datiert, wurde ja richtig als Museum gebaut, ist auch ein sehr solider Bau. Es hat nur eben als altes Museumsgebäude zum Beispiel ein Glasdach. Und das was an Zerstörungen passiert ist, ist offensichtlich passiert, weil Personen über das Dach in das Gebäude eingedrungen sind. Aber inzwischen wird auch das Dach geschützt. Also insofern denke ich, kann man das Gebäude eigentlich sehr gut schützen. Es ist auch brandschutzgesichert, also als guter alter Steinbau kann das also auch nicht einfach so abbrennen. Das Problem ist einfach, dass offensichtlich die ersten Plünderungen passiert sind durch Museumspersonal, das eben völlig unterbezahlt wurde und in dieser unsicheren Situation eine Chance witterte, da an Objekte zu gelangen, die man bis vor kurzem - in erster Linie denken die Leute für Touristen - bewacht hat. Und jetzt sollte das ägyptischem Eigentum sozusagen zugeführt werden und man bereichert sich daran. Aber ich denke mal, die Gefahr ist jetzt für das Museum in Kairo auf jeden Fall gebannt.

    Steiner: Aber wie sieht es denn in den Depots aus, in den unterirdischen Lagerstätten - sind die genauso gut geschützt?

    Loeben: Ja also in Kairo im Museum sind die Depots meines Erachtens auch sehr, sehr gut geschützt, weil das ist jetzt natürlich in die Medien gekommen - das Militär scheint da eine Kette um das Museum gebildet zu haben. Also darum macht sich jetzt ein Ägyptologe wie ich keine großen Sorgen. Das sieht aber leider ganz, ganz anders aus mit den antiken Magazinen, die es im Rest des Landes gibt. Sie müssen sich vorstellen, überall dort, wo es auch bedeutende aber auch unbedeutendere Ausgrabungsstätten gibt und sich Archäologen betätigt haben, werden die Funde aufbewahrt in eigentlich gut gebauten Gebäuden. Die sind dann mit Sicherheitsschlössern gesichert, werden auch von den örtlichen Diensten bewacht. Aber ich habe leider schon gehört, dass eben auch einige dieser antiken Magazine schon beraubt worden sind, weil sie dann natürlich nicht in einer Position sind, wo sich das Militär primär aufhält und um solche Dinge kümmern kann. Und dementsprechend sind das eigentlich die Dinge, um die sich der Ägyptologe im Moment am meisten Sorgen macht - zumal das auch Objekte sind, die meistens undokumentiert sind und dementsprechend unbekannte Stücke sind, von denen man sich eventuell sogar noch Hoffnung machen kann, dass man sie auf dem Markt in irgendeiner Weise verkaufen kann. Aber das ist leider ein ganz, ganz, ganz großes Problem.

    Steiner: Haben die aktuellen Situationen im Land denn auch Auswirkungen auf die Grabungen, die dort aktuell laufen? Was wissen Sie darüber?

    Loeben: Ja, das haben sie auf jeden Fall, denn in einem Land, in dem irgendein Chaos herrscht, egal, ob es nur an der Spitze ist oder die gesamte Bevölkerung betrifft, ist es natürlich so, dass eine ganz reguläre Grabungsaktivität überhaupt nicht aufrecht zu erhalten ist. Denn jede Grabung engagiert ja lokale Kräfte und die haben im Moment dann andere Sorgen, als ihrer regulären Arbeit auf den Grabungen nachzugehen - zumal ich eben auch gelesen habe, dass die Grabungen oft sehr geschlossen sind, also die zumindest des Deutschen Archäologischen Institutes in Ägypten und eben auch Kollegen entweder gar nicht zum Einsatz kommen, also gar nicht erst nach Ägypten gefahren sind, um jetzt zu graben. Jetzt wäre natürlich auch die Grabungssaison. Wir befinden uns am Beginn der Semesterferien - also viele Studenten würden auf Grabungen nach Ägypten fahren. Die sind jetzt erst gar nicht losgefahren. Und einige Kollegen aus Ägypten sind, wie ich gehört habe, auch inzwischen nach Deutschland zurückgekehrt, also reguläre Grabungsaktivität ist im Moment glaube ich undenkbar und auch wirklich nicht die Priorität.