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"Die Zahl 67 ist sehr klug gewählt"

Die SPD möchte die Rente mit 67 nur einführen, wenn mindestens 50 Prozent der 60 bis 64 Jahre alten Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. "Das ist eine etwas komische Logik", kritisiert Axel Börsch-Supan, Leiter Mannheimer Forschungsinstitut Ökonomie und Demographischer Wandel.

Axel Börsch-Supan im Gespräch mit Gerd Breker | 24.08.2010
    Gerd Breker: Am Telefon sind wir nun verbunden mit Axel Börsch-Supan. Er ist der Leiter des Mannheimer Forschungsinstituts Ökonomie und Demographischer Wandel. Guten Tag, Herr Börsch-Supan.

    Axel Börsch-Supan: Guten Tag.

    Breker: Herr Börsch-Supan, beginnen wir mit Norbert Blüm. Ist die Rente sicher?

    Börsch-Supan: Ja, natürlich ist sie sicher, weil dazu hat sich auch noch nie die Frage gestellt. Die Frage geht höchstens nach dem Umfang. Und den jetzigen Umfang, den können wir nicht sicherstellen, wenn wir alle länger leben, aber nicht auch ein wenig länger arbeiten.

    Breker: Wird die Rente, wenn man sie auf 67 verschiebt, sicherer?

    Börsch-Supan: Ja, natürlich wird sie sicherer, denn wir leben in den nächsten 20 Jahren, bis die Rente mit 67 dann endlich eingeführt sein wird – die wird ja nicht erst übermorgen eingeführt -, ungefähr drei Jahre länger und für diese drei Jahre muss natürlich irgendjemand aufkommen. Und das beste Konzept ist, zu sagen, dann müssen teilweise die jungen Leute aufkommen, dadurch, dass sie mehr einzahlen, teilweise die Älteren aufkommen, indem sie etwas länger leben, und drittens kann man das auch noch so aufteilen, dass man obendrein noch länger Rente beziehen kann. Deswegen ist die Rente mit 67 ein durchaus vernünftiges Konzept und sie hat nichts, aber auch gar nichts mit einer Rentenkürzung zu tun.

    Breker: Nun ist es so, dass sich die SPD die Praxis angeschaut hat und festgestellt hat, dass lediglich ein Fünftel der 64-Jährigen sozialpflichtig arbeitet. Ist die Praxis ein Grund, daran etwas zu ändern?

    Börsch-Supan: Na ja, die Praxis wird natürlich durch die Rentengesetzgebung bestimmt. Man kann nicht erwarten, dass das mittlere Rentenalter – das liegt im Augenblick bei 63 in die Altersrente - viel höher wird, wenn der normale Rententermin, was ja de facto der allerletzte ist, bei 65 liegt. Das ist eine etwas komische Logik, erinnert mich so ein bisschen daran, dass man sagt, man darf ein Verkehrsschild nicht aufstellen, was die Geschwindigkeit begrenzt, solange die Leute nicht alle schön langsam fahren. Der Mechanismus ist ja genau umgekehrt. Dadurch, dass wir ein Rentenalter von 65 haben und natürlich nicht alle bis zum Schluss arbeiten können, bekommen wir ein mittleres Rentenalter von 63, relativ niedrige Erwerbsquoten zwischen 63 und 65. Wenn wir das Rentenalter ändern auf 67, dann geht das natürlich automatisch hoch, aber die Wirkungsweise ist vom Rentenalter auf die Erwerbsbeteiligung und nicht umgekehrt.

    Breker: Herr Börsch-Supan, warum ist die Rente mit 67 eigentlich so unpopulär?

    Börsch-Supan: Ich glaube, viel liegt daran, dass sie in einem Hauruckverfahren eingeführt wurde und der Bevölkerung nicht wirklich erklärt worden ist. Alle haben verstanden eigentlich damals, dass sie zwei Jahre länger arbeiten müssen. Und keiner hat damals thematisiert, dass diese zwei Jahre länger arbeiten zusammen sind mit drei Jahre länger leben, sodass die Rente mit 67 immer noch bedeutet, dass die Leute länger Rente beziehen als heute. Ein ganzes Jahr länger als heute. Das ist nie kommuniziert worden. Ich glaube, das ist eines der großen Missverständnisse.
    Ein anderes Missverständnis ist: Obwohl das des Öfteren gesagt worden ist, ist es nicht in den Köpfen angekommen, dass die Rente mit 67 nicht etwa im Jahr 2012 eingeführt wird, wie im Augenblick auch immer wieder behauptet wird, sondern erst im Jahr 2029. Im Jahr 2012 ändert sich das Rentenalter um gerade mal einen Monat. Es geht also in ganz langen Schritten und erst in 20 Jahren – das muss man sich mal vorstellen, noch 20 Jahre hin -, erst dann ist die Rente mit 67 eingeführt.

    Breker: Ein mögliches Missverständnis ist auch, dass man gedacht hat, die Rente mit 67 gilt für alle Arbeitnehmer, also auch für den berühmt, immer wieder angeführten Dachdecker.

    Börsch-Supan: Ja, der Dachdecker. Es gibt viele Berufe, in denen man den Menschen nicht zumuten kann, lange zu arbeiten. Und ich denke, es ist auch nicht sinnvoll, dass ein Dachdecker im Alter von 60 noch auf dem Dach steht. Sondern wir müssen lernen, wenn das Leben länger ist, dass wir erheblich längere Erwerbszeiten haben und dazwischen unseren Beruf ändern. Der Dachdecker muss nicht die ganze Zeit auf dem Dach stehen, der kann auch im Laden stehen und Rechnungen machen. Er kann in den Verkauf gehen oder anderswo im Baugewerbe tätig sein. Ich glaube, das ist ganz wichtig, dass man da flexibel ist und sich selber anpasst.

    Breker: Wie sieht es aus mit dem Arbeitsmarkt? Wir haben ja derzeit das Argument von der SPD gehört, wenn eben halt nur ein Fünftel der 64-Jährigen in Arbeit sind, in sozialpflichtiger Arbeit sind, dann können wir die Rente nicht einführen, weil es dann eine Kürzung wäre. Wie sieht denn in 20 Jahren der Arbeitsmarkt aus? Werden denn dann die älteren Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen haben?

    Börsch-Supan: Ich denke, dass sich der Trend, den wir in den letzten Jahren gesehen haben, weiter fortsetzen wird. Die Erwerbsquote zwischen 60 und 65 hat sich mehr als verdoppelt in relativ kurzer Zeit. Das wird weiter so gehen und das liegt im Wesentlichen daran, dass die älteren Menschen stabiler sind als früher. Von Generation zu Generation leben wir ja nicht nur länger, sondern wir sind auch gesünder. Das ist der eine wichtige Teil.
    Der andere Teil ist: Es werden eben immer weniger junge Leute in den Arbeitsmarkt kommen - das sehen wir jetzt schon ganz drastisch bei den Berufsabschlussjahrgängen -, sodass auch die Nachfrage nach älteren Mitarbeitern größer wird.
    Der dritte große Punkt ist: Die Jobs ändern sich. In den 60er-Jahren, als das Rentenalter ja deutlich höher war als jetzt, das tatsächliche Rentenalter, haben sehr viele Leute noch physisch hart gearbeitet. Das ist jetzt viel weniger der Fall. Das heißt, es gibt viel mehr Schreibtischjobs. Die Dienstleistungsindustrie ist viel stärker gewachsen, die Handarbeiten sind zurückgegangen. Das macht es natürlich auch leichter für ältere Menschen.

    Breker: Herr Börsch-Supan, nun kommt aus der Wirtschaft ja schon die Anfrage, man solle bei 67 nicht Schluss machen, man müsste perspektivisch auch die 70 ins Auge fassen. Findet das Ihre Unterstützung?

    Börsch-Supan: Nein, das tut es eigentlich nicht. Die Zahl 67 ist sehr klug gewählt, weil die Zahlen sehen so aus, dass wir bis dahin drei Jahre länger arbeiten. Das wird jetzt aufgeteilt im Verhältnis von zwei zu eins: Drei Jahre länger leben, davon zwei Jahre länger arbeiten und ein Jahr länger Rente beziehen. Dieses Verhältnis von zwei zu eins scheint mir ganz wichtig zu sein, denn unser ganzes Leben ist so aufgeteilt. Wir arbeiten ungefähr 40 Jahre lang und beziehen ungefähr 20 Jahre Rente. Der Witz einer Erhöhung des Renteneintrittsalters ist, nur diese sozusagen natürlich gewachsene Proportion beizubehalten. Wir wollen das System nicht etwa schärfer machen, sondern wir wollen es nur vernünftig weiter so fortführen wie bis jetzt, uns anpassen an die längere Lebenserwartung.
    Wenn wir in 100 Jahren – ich habe ja keine Ahnung, was dann sein wird; niemand hat eine Ahnung davon – sagen wir mal zehn Jahre länger leben als heute, na ja, gut, dann soll man das auch zwei zu eins auffüllen und dann kann man über ein höheres Rentenalter reden. Aber jetzt sollen wir erst mal warten, was die nächsten 20 Jahre bringen, und da ist das Verhältnis zwei zu eins, zwei Jahre mehr arbeiten, ein Jahr längere Rente, sehr vernünftig.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Meinung von Axel Börsch-Supan. Er ist Leiter des Mannheimer Forschungsinstituts Ökonomie und Demographischer Wandel. Herr Börsch-Supan, danke für dieses Gespräch.

    Börsch-Supan: Danke Ihnen.