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"Die Zauberflöte" in Baden-Baden

"Versuchen Sie nicht, ihren Helden ein realistisches Korsett aufzuzwingen, denn das Land, in dem Tamino der nächtlichen Königin begegnet, ist das Ägypten der Träume", heißt es im Prospekt des Festspielhauses Baden-Baden. Also da geht’s lang, wenn Daniele Abbado, Sohn des großen Claudio, inszeniert - und natürlich dirigiert der Papa. Mit der Mozart-Oper wurden gestern Abend die Herbert-von-Karajan-Pfingstfestspiele eröffnet.

Von Marion Ammicht | 15.05.2005
    Was für eine Auftakt, was für eine Verheißung, was für ein Versprechen. Claudio Abbado erstmals am Pult von Wolfgang Amadeus Mozarts Zauberflöte. Gerade eben hat er uns nach sehnsüchtig fragendem Beginn furios durch die Ouvertüre gejagt. Und jetzt: mitten hinein in Prinz Taminos erstes großes Abenteuer. Ein bislang ungekanntes Untier naht. Schreck lass nach, kann die Empfindung Liebe sein?

    Wir kennen die Geschichte. Nicht nur eine ominöse Schlange, auch Weibsvolk naht. Alles nicht so einfach für einen unerfahrenen lebensfernen Prinzen, der auch noch zu höherem geboren ist. Was aber, bitte schön, soll so schwierig an dieser Jahrhunderte alten Geschichte sein, in der es doch um nichts anderes geht als um die Menschwerdung in Zeiten höchster Verwirrung und jene wunderbare Utopie, deren Zauber wieder alles bindet, was die Mode streng geteilt?

    Diese Utopie, diese Empfindung kann Liebe sein. Oder eben Musik. Denn genau da werden wir fündig, in der Einheit stiftenden tonalen Architektur von Mozarts Zauberflöten-Partitur und bei Claudio Abbado im Graben, dessen brillantes Mahler Chamber Orchestra an diesem Abend klingt, als hätte ein abtrünniger Haufen der Wiener Philharmoniker mal schnell einen Workshop in Sachen authentischer Aufführungspraxis gemacht. Eine Utopie für sich.

    Edel strahlend und klar, quasi auf dem Silbertablett bekommen wir das an diesem Abend serviert. Und die Sänger auch: Christoph Strehls körperlich und stimmlich wunderbar schlanker, sehnsüchtig erregter Tamino, der in Rachel Harnischs wohl- und klar gestaltender Pamina, sein passendes Pendant findet. Wann immer an diesem Abend einer anhebt zu singen, wird die Musik im Graben zur selbstlosen Dienerin, berühren sich Orchester und Stimme mit einer Zärtlichkeit, wie sie wohl nur erstmals Liebenden zu Eigen ist. Oder eben jenen, die, wie der Mann im Graben, schon eine ganze Menge Erfahrungen hinter sich haben. Dessen Herz auch groß genug ist, selbst einer notorisch ausgegrenzten Person wie der nächtlichen Königin mit stahlharter Prägnanz zur Seite zu springen, wenn Sie in höchster emotionaler Not noch einmal ihre ganze Kunst aus längst vergangener Zeit auffährt:

    Berechtigter Szenenapplaus für die bravouröse Erika Miklósa als Königin der Nacht im imaginären Sturmangriff auf Sarastro, der ihr nicht nur das Töchterchen, sondern den ganzen Sonnenkreis und mit ihm das Recht auf Glück und Utopie streitig macht. Jedes Scheidungskind weiß, was eine wie Pamina da zu erdulden hat. Und jeder, der hier und heute lebt, wo kein Stein mehr auf den anderen passt, auch.

    Was also ist so schwierig an dieser Geschichte? Es ist keine epische Einheitserzählung, sondern ein allein von der Musik sinnstiftend zusammengehaltenes auf Effekt und Kontrast zielendes dramatisches Ungetüm, das Mozart und Schikanender da auf dem hart umkämpften Unterhaltungsmarkt der Wiener Vorstadttheaterszene einst kunstvoll zusammengezimmert haben. Die Szenen sind hart aneinander geschnitten, die Bühnenmaschinerie ächzt, der Theaterteufel wütet im Detail.

    Nichts davon bei Regisseur Daniele Abbado. Anders als Tamino stürzt sich Abbado Sohn nicht in Begleitung dieses vogelwilden anarchistischen Genussmenschen Papageno ins Abenteuer. Um den kümmert er sich kaum. Stattdessen zelebriert er ein ästhetizistisches Licht- und Schattenspiel im zeitlosen Gewand, in dem existentielle Grenzerfahrungen auf dem Verschiebebahnhof unzähliger schwarzer Stoffbahnen und Stellwände unbemerkt vorüber ziehen. Markus Werbas stimmlich passender, darstellerisch aber völlig überforderter Papageno wird samt seiner Papagena am Ende in einem Schrank verräumt. Das nun ist der Gipfel der szenischen Hilflosigkeit.

    Vor einiger Zeit ist das Werk in Stuttgart einem furiosen Regisseur beinahe auf der Bühne explodiert. Hier in den viel zu großen heiligen Hallen des Baden-Badener Festspielhauses ist es Daniele Abbado aus lauter Furcht vor seiner szenischen Sprengkraft komplett in den Graben gerutscht. Prima la musica. 1:0 für Papa. Triumph der Väterwelt. Echte Liebe zum Werk ist diese Empfindung nicht.