Samstag, 20. April 2024

Archiv

Die Zivilgesellschaft in der Ukraine
Kunst- und Kulturförderung als Investition in die Zukunft

Ein wichtiger Baustein für die Zukunft der Ukraine kann eine starke und diskussionsfreudige Zivilgesellschaft sein. Das deutsche Goethe-Institut hat jetzt ukrainische Kulturakteure und Kulturinstitutionen nach Berlin eingeladen, um zu zeigen, wie die Förderung von außerinstitutionellen Kunstinitiativen in Deutschland funktioniert.

Von Cornelius Wüllenkemper | 12.11.2015
    Im Projektraum "Uqbar" in Berlin-Wedding. Kuratorin Antje Weitzel ist eine der vier Initiatorinnen des Kunstvereins, der inmitten des Arbeiterbezirks Ausstellungen und Kunstaktionen präsentiert. Einer Gruppe von rund 20 Kulturakteuren aus der Ukraine erklärt Weitzel, wie sich freie Projekt- und Ausstellungsräume in Berlin behaupten.

    "Je weniger Räume man gefunden hat, desto mehr hat man versucht, darauf aufmerksam zu machen. Es gibt verschieden Verbünde in Berlin, die sich dafür stark gemacht haben. Die sind alle vor drei Jahren entstanden nach einem Protest gegen eine Ausstellung, die der Bürgermeister eigenmächtig durchgesetzt hat. Und seitdem haben sich die Leute organisiert und sind auch mit politischen Vertretern in Kontakt getreten und in die Haushaltssitzungen der Stadt gegangen und haben Geld für sich beansprucht."

    Die Proteste auf dem Maidan im Frühjahr 2014 und die Erkenntnis, dass man sich organisieren und Dinge verändern kann, setzten bis heute eine große gesellschaftliche Dynamik und kreative Kräfte frei. Einer der Aktivisten, die sich für eine starke Zivilgesellschaft, für Verantwortung und Bürgerdialog einsetzen, ist Igor Garmash. Garmash ist Leiter eines landesweit bekannten Kunstzentrums in Zaporizhye im Süd-Osten des Landes. Kunst und Kultur spielen für die Identitätssuche der Ukraine eine zentrale Rolle, meint Garmash. Dennoch sei die Situation der freien Szene äußerst schwierig.
    Mit der Kürzung von Kulturetats saniert man keinen Haushalt
    "Wir befinden uns gerade zwischen Hammer und Ambos – wie man bei uns sagt. Einerseits sind viele Menschen bei uns sehr arm und beschäftigen sich weniger mit Kultur als mit der Sicherung ihres Lebensunterhalts. Und andererseits hören wir von den Behörden nur Lippenbekenntnisse darüber, dass Kultur die Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung sei. Dabei interessieren die sich ausschließlich für die wirtschaftliche Lage und die Standortentwicklung. Die Gesellschaft muss verstehen, wie wichtig Kunst- und Kulturförderung für unsere Zukunft sind."
    Noch ist das Misstrauen zwischen Künstlern und den staatlichen Kulturinstitutionen in der Ukraine groß, die Staatskassen sind leer. Das Goethe Institut will mit seinem "Runden Tisch Ukraine" zeigen, dass es auch anders geht. Auf dem Programm steht deshalb auch ein Besuch bei der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien.
    "Die Argumentation unseres Hauses war immer zu sagen: Mit der Kürzung von Kulturetats saniert man keinen Haushalt. Das wird auch in der Ukraine nicht anders sein. Auch wir verstehen die Förderung von Kultur nicht als eine Subvention. Sondern es ist tatsächlich eine Investition in die kulturelle Bildung, aber letztlich auch in die Kohäsionskräfte unserer Gesellschaft", sagt Dr. Sebastian Saad, bei der BKM verantwortlich für kulturelle Bildung.
    Mehr Vertrauen der Bürger in staatliche Institutionen
    Anstatt sich zumeist erfolglos um die knappen Budgets der staatlichen Kulturförderung zu bewerben, arbeiten Künstler und Aktivisten in der Ukraine eher mit privaten Sponsoren oder verzichten ganz auf ein Budget. So wie Anton Shynkaruk aus der westukrainischen Stadt Rivne. Er ist Professor an der staatlichen Medien-Universität Ostroh Academy. Daneben arbeitet er ehrenamtlich in der NGO Rivne Media Club mit Jugendlichen zu Themen wie neue Medien und gesellschaftliche Partizipation.

    "In diesem Jahr haben wir das 'Forum der Initiativen' organisiert mit erfahrenen Kulturakteuren aus Lemberg und aus Kiew. Sie haben gezeigt, wie man Menschen zusammenbringt, eine Crowdfunding-Kampagne durchführt, oder Veranstaltungen realisiert. Als nächstes wollen wir Stadtspaziergänge anbieten, auf denen man gemeinsam durch bestimmte Viertel geht und darüber diskutiert, was hier verändert und verbessert werden könnte. Auch das ist eine Form der gesellschaftlichen Partizipation, die übrigens so gut wie kein Geld kostet."

    Initiativen wie der Rivne Media Club gelten ebenso wie die freie Kunstszene als Schlüssel zu mehr Bürgerdialog und als Voraussetzung für das Vertrauen der Bürger in staatliche Institutionen. Der Runde Tisch, an dem das Goethe Institut Akteure der freien Kunstszene und Vertreter der Kulturverwaltung aus fünf Städten des Landes zusammenbringt, ist ein kleiner aber wichtiger Schritt in die Zukunft der ukrainischen Gesellschaft.