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"Die Zofen" am Deutschen Theater
Es fehlt der Schmerz

Männer spielen Frauenrollen, das könnte spannend werden. Wenn "Die Zofen" am Deutschen Theater in Berlin in der Regie Ivan Panteleevs nicht zur Verkleidungsshow geraten wären. Von Jean Genets Studie über Verstellung und Macht, Mordlust und Gewalt bleibt nicht viel übrig.

Von Michael Laages | 03.12.2017
    Samuel Finzi und Wolfram Koch bei einer Probe für Jean Genets "Die Zofen" am Deutschen Theater im Berlin; Regie: Ivan Panteleev
    Wolfram Koch und Samuel Finzi bilden ein unerhört bewährtes Ausnahme-Duo (imago/Metodi Popow)
    Die Idee ist nicht ganz neu und birgt einige Risiken. Was wäre - so hat sich das Team um Ivan Panteleev gefragt - wenn zwei Männer Claire und Solange spielten. "Die Zofen" von "Madame", der Hausherrin. Und wenn auch die noch weit weg wäre von aller Weiblichkeit?
    Unter anderem Werner Schroeter hatte das Experiment mal gewagt am Thalia Theater in Hamburg, das ist bestimmt dreißig Jahre her – gedacht also und getan jetzt in Berlin. Und gefragt: Was ändert sich in den Strategien von Hass und Macht, Gewalt und Mordgelüst, wenn Männer mit Männern gegen Männer kämpfen?
    Tendenziell erstmal gar nichts, außer dass sich das Publikum im ungünstigeren Falle wie bei "Charleys Tante" wähnen kann, in einer lustigen Verkleidungs-Show also, wo halt einfach Männer (huch!) mit Rock und Stöckelschuh agieren.
    Unerhört bewährtes Ausnahme-Duo
    Genau so beginnt leider Panteleevs Inszenierung in Berlin. Wolfram Koch und Samuel Finzi bilden ein unerhört bewährtes Ausnahme-Duo, sie trippeln im Wechsel herein und platzieren die Ausstattung fürs herrschaftliche Zimmer im Hause von Madame. Finzi bringt die wichtigeren Dinge, einen Wecker und das Telefon, das später eine wichtige Rolle spielen wird, Koch immer nur Blumen - die Finzi aber sofort wieder abräumt. Beider Haltung ist ausgestellte Pose: wie der Männerkopf sich Frauenkörper bei der Arbeit vorstellt. Und tatsächlich ist "Charleys Tante" nicht weit bei diesen ulkigen Onkels. Die Inszenierung müsste sich von nun an mächtig Mühe geben, um diesen Geist der Heiterkeit wieder zurück in die Flasche zu stopfen.
    Das Ritual beginnt, wenn Finzi und Koch die albernen Frauen-Perücken ablegen – eine spielt nun die (abwesende) Herrin, die andere bleibt Zofe. In dieses neue Verhältnis fließt all der Hass auf die Herrin, aber auch die gegenseitige Verachtung beider dafür, dass sie ja mitspielen im Gefüge gesellschaftlicher Macht. Die breite Spiegelwand in der Mitte des leeren Raums lässt sich drehen – Johannes Schütz zitiert ziemlich unverfroren Mark Lammerts drehbare Wand für Dimiter Gottscheffs Fantasie über "Die Perser", damals mit denselben männlichen Protagonisten. Auf der Rückseite vom Spiegel hängen die Kleider von Madame. Schon über die Wahl des Kleides, das nun die falsche Zofe anlegen soll, streiten die beiden. Und über noch viel mehr.
    "Solange! Über Dich könnte ich ganz andere Dinge erzählen." / "Du? Du." / "Allerdings. Wenn ich wollte." / "Wer droht hier wem? Was? Du zögerst?" / "Versuchs nur. Schieß Du zuerst."
    Nicht mal das Gift wirkt
    Klar wird schnell: Die Bediensteten haben Monsieur der Liebschaft mit einer von ihnen bezichtigt; so haben sie auch Madame treffen und zerstören wollen. Monsieur aber meldet sich per Telefon. Die Polizei hat ihn gerade wieder frei gelassen - als Madame heim kommt (Bernd Stempel, der mit langem Körper und kahlem Kopf noch monströser wirkt im Habitus der Frau), wird ihr die Freilassung eine Weile verheimlicht. Und als fast alle Tricks und Täuschungen nicht mehr wirken, wollen die Zofen die Herrin vergiften: mit Lindenblütentee. Aber Madame will nicht trinken, lieber den befreiten Gatten beglücken - nun trinkt Claire, wieder in der Rolle der Herrin, diesen Tee. Aber nicht mal das Gift darin wirkt. Ein Schulterzucken steht am Ende - dumm und schief gelaufen, das Ganze. Entwarnung! Alles nicht so bös' gemeint!
    Natürlich ist das ein kleiner, feiner und sehr eleganter Abend - wie sollte es anders sein mit diesem Meister-Trio auf der Bühne? Und doch fehlt so viel! Abwesend ist vor allem Jean Genet selbst - dessen konsequente Anti-Bürgerlichkeit, als Künstler wie als homosexueller Mann und Mensch, könnte oder müsste sich doch zeigen, irgendwie: Und die gegengeschlechtliche Besetzung weist im Grunde doch auch den richtigen Weg. Aber Schmerz und Verletzung des Ausgeschlossen-Seins sollten vielleicht auch kenntlich werden!
    Der Raum für die psychologische Zimmerschlacht ist aber längst nicht abstrakt genug, er lässt überhaupt nicht an das Gefängnis denken, dem der (abwesende) Monsieur gerade entkommen ist, in dem "Die Zofen" aber immerzu leben werden, selbst ohne Hoffnung auf den Tod.
    Was für radikale und rabiate Fantasien möglich würden, gerade mit den Männern als Frauen, gerade mit diesen einzigartigen Akteuren. Panteleev aber lässt sich mit ihnen auf keine einzige ein. Stattdessen doch nur auf Charleys Tante. Wie schade.
    Szene aus "Die Zofen" von Jean Genet im Deutschen Theater Berlin. v.l.n.r.: Samuel Finzi; Bernd Stempel; Wolfram Koch
    Ein feiner Abend, doch gleichzeitig fehlt der Inszenierung viel (dpa / Claudia Esch-Kenkel)