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Die Zukunft des Iran
Vom Gottesstaat zum Global Player

"Land der Arier", Perserreich, schiitischer Gottesstaat - der Iran hat eine bewegte Geschichte. Und nahm für die USA einen festen Platz in der sogenannten "Achse des Bösen" ein. Nach der Einigung im Atomstreit 2015 sei mit einem wiedererstarkenden Iran zu rechnen, erläutert Henner Fürtig in "Großmacht Iran".

Von Thorsten Gerald Schneiders | 06.02.2017
    Sie sehen die Millionenstadt Teheran in der Abenddämmerung vom Norden in den Süden fotografiert.
    Der Anspruch, Führungsmacht zu sein und Botschaften in die Welt zu senden, ist im Iran ausgeprägt - er richtet sich nicht nur an Schiiten, sondern an alle Muslime. (Deutschlandradio / Jörg-Christian Schillmöller)
    Am Ende nimmt Henner Fürtig dem Leser jede Hoffnung. Wer darauf setzt, dass das iranische Regime seinem Ende entgegen geht, indem die Reformer nach und nach die Oberhand gewinnen, wird enttäuscht. Der Direktor des Hamburger GIGA Instituts für Nahost-Studien sieht den Iran auf dem Rückweg zur internationalen Großmacht.
    Der Gottesstaat, dem Amnesty International bescheinigt, Delinquenten an Bau-Kränen aufzuhängen, zu steinigen oder grausamen Körperstrafen wie Blendungen, Amputationen und Auspeitschungen zu unterziehen, hat nach Fürtigs Einschätzung - Zitat – "glänzende Aussichten" weiter zu bestehen. Die jahrelangen internationalen Sanktionen wegen des Atomstreits hätten einen 'Riesen' in Ketten gelegt, der nach der internationalen Einigung 2015 nun wieder frei handeln könne, schreibt er und erinnert daran...
    "...dass auch die Reformer innerhalb des Regimes agieren und deshalb ein Grundinteresse an seinem Überleben haben."
    Vom "Land der Arier" zum schiitischen Gottesstaat
    Um seine Großmacht-These zu belegen, skizziert Fürtig die lange Geschichte des Landes: Von seinen Anfängen Tausende Jahre vor Christus, als sich indoeuropäische Siedler niederließen, die sich "Arier" und ihr Siedlungsgebiet "Land der Arier" nannten, über das gewaltige Perserreich bis zur Iranischen Revolution unter Ayatollah Khomeini 1979 und der heutigen Rolle des Landes im Kampf gegen die Terror-Organisation IS in Syrien und im Irak.
    Die historischen Marksteine streift Fürtig allerdings nur kurz. Sein Hauptinteresse gilt dem 20. beziehungsweise 21. Jahrhundert. Der Autor fasst sich stets kurz. Er analysiert primär das Regierungshandeln und das Staatssystem. Seine Darstellungen sind gänzlich unaufgeregt. Keinerlei Drang zu Zuspitzungen oder Gefühlsausbrüchen ist zu spüren.
    Seine Methodik wirft aber auch Fragen auf. Die Menschenrechtsverletzungen des Regimes nehmen seltsam wenig Platz im Buch ein. Man kann Fürtig somit durchaus vorhalten, den schiitischen Gottesstaat in ein zu positives Licht zu rücken.
    Fast 22 Prozent des Budgets für Bildung
    Seine Grundhaltung ist vermutlich der Überzeugung geschuldet, den oft emotionsgeladenen und klischeebehafteten öffentlichen Debatten mit Nüchternheit zu begegnen:
    "Iran verwendet fast 22 Prozent seines Budgets für Bildungszwecke und nimmt damit sogar weltweit eine führende Position ein. Die Studentenzahlen haben sich seit der Revolution vervielfacht...", schreibt er zum Beispiel und resümiert mit Blick auf die Staaten der Region, die viele mit Ausnahme Saudi-Arabiens gewöhnlich in einem positiveren Licht sehen: "Im Ergebnis dessen können in Iran wesentlich mehr Menschen lesen und schreiben als in der Nachbarschaft."
    Es sind Überlegungen wie diese, die ihn zu der Erkenntnis gebracht haben: "Die Zeit scheint reif für einen frischen Blick auf dieses so vielfältige und oft missverstandene Land."
    Fürtig vergleicht die Iranische mit der Französischen Revolution
    Aus politikwissenschaftlicher Sicht liegt durchaus ein Erkenntnisgewinn darin, sich mehr auf die DNA des Regimes zu konzentrieren und weniger auf sein äußeres Erscheinungsbild. Das außenpolitische Abarbeiten an Teherans diplomatischen Provokationen und Menschenrechtsverletzungen jedenfalls hat in vierzig Jahren kaum Veränderungen im Land bewirkt. Im Gegenteil: Fürtig zufolge führte dies in der Vergangenheit immer wieder zu diversen Fehlurteilen und politischen Niederlagen im Umgang mit der Islamischen Republik Iran. Erst durch die Verhandlungen im Atomstreit habe sich, so Fürtig, erstmals die Chance ergeben, aus diesem Teufelskreis auszubrechen:
    "Einschätzungen der innen- und außenpolitischen Gegner der iranischen Revolution, dass diese in der Krise sei oder gar kurz vor dem Zusammenbruch stehe, sind seit 1979 Legion. Sie haben sich bisher aber stets als unwahr erwiesen. Dabei fehlt es in Iran keineswegs an Krisen. Die häufigen Fehlurteile erklären sich vielmehr dadurch, dass sie die eigentliche Substanz der iranischen Krisenhärte übersehen: Es kann nicht oft genug betont werden, dass Staat und Regime das direkte Ergebnis einer der wenigen Massenrevolutionen der Neuzeit sind."
    Und solche Massenrevolutionen kennzeichnen laut Fürtig drei Aspekte: Ein besonderes Sendungsbewusstsein mit universellem Anspruch, Druck und Bedrohungen von außen sorgen für eine Wagenburg-Mentalität, und drittens: Revolutionen dieser Größenordnung sind langlebig und werden vor allem durch innere Faktoren gefährdet. Fürtig vergleicht die Iranische Revolution mit der Französischen Revolution von 1789, die trotz Unterbrechungen letztlich nicht als gescheitert gelte, und der, wie er schreibt, abgebrochenen so genannten russischen Oktoberrevolution von 1917, die jahrzehntelang fortgewirkt habe.
    Der Revolutionsexport gehört seit Khomeini zur festen Agenda des Gottesstaates. Der Anspruch, Führungsmacht zu sein und Botschaften in die Welt zu senden, ist im Iran entsprechend ausgeprägt - er richtet sich nicht nur an Schiiten, sondern an alle Muslime, unabhängig von der oft beschworenen Todfeindschaft mit der größten islamischen Konfessionsgruppe, den Sunniten. Der Iran beeinflusst seit Langem zahlreiche Akteure im Nahen- und Mittleren Osten - darunter Terror-Unterstützer wie die Hisbollah oder die Hamas, deren radikal-sunnitische Ausrichtung Teheran pragmatisch übergeht.
    Ethnischer Pluralismus verursacht Konflikte
    Als Achillesferse des Irans sieht Fürtig dessen ethnischen Pluralismus. Mit seinen fast 80 Millionen Einwohnern ist das Land ein Vielvölkerstaat, in dem Perser, Azeris, Kurden, Araber, Belutschen und andere leben. Neben Sunniten kommen Religionsgruppen hinzu mit langen historischen Traditionen wie Zoroastrier, Juden, Christen oder Bahai. Konflikte sind da vorprogrammiert. Äußere Bedrohungen sieht der Iran-Kenner mithin weniger als existentielle Gefahr für den Staat: weder den Konflikt um die regionale Vorherrschaft mit dem Königreich Saudi-Arabien noch die Feindschaft zu Israel, die für den Iran seit 1979 ebenso konstitutiv sei wie die Feindschaft zum, wie es heißt, "Großen Satan" USA - die während der Amtszeit der Präsidenten George W. Bush und Mahmud Ahmadinedschad einen Kulminationspunkt erreichte.
    Fürtig fasst die Geschichte des Irans kompakt zusammen. Wirklich Neues erfährt man am Ende der Lektüre nicht. Und was angesichts der iranischen Menschenrechtsverletzungen auf manche befremdlich wirken dürfte: Das Buch ist ein klares Plädoyer für Realpolitik im Umgang mit einem wiedererstarkenden Iran:
    "Die europäische und namentlich die deutsche Außenpolitik tun gut daran, sich konzeptionell und praktisch auf diesen Umstand einzustellen."
    Henner Fürtig: "Großmacht Iran. Der Gottesstaat wird Global Player."
    Quadriga Verlag, 288 Seiten, 24 Euro