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"Die Zukunft Europas liegt in seinen Regionen"

Die einzelnen Regionen und damit das Heimatgefühl in Europa stärken - das fordert der Europaabgeordnete Martin Kastler (CSU) als eine Antwort auf die Wirtschaftskrise. Als ein Beispiel nennt er die Kooperation nahegelegener Regionen, die durch eine Staatsgrenze getrennt sind, zum Beispiel Baden/Elsass.

Martin Kastler im Gespräch mit Jürgen Liminski | 02.08.2012
    Jürgen Liminski: Wie weit kann, wie weit soll die Solidarität in Europa gehen? Diese Frage spaltet die Nation und die Parteien. Selbst eine geschlossene Formation wie die CSU ist sich in dieser Frage nicht einig. Die Spitze in München zieht rote Linien, während die Abgeordneten der CSU im Europaparlament, an ihrer Spitze Markus Ferber, eher das grenzenlose Europa bis hin zu den Vereinigten Staaten von Europa befürworten. Aber auch hier liegt der Unterschied im Detail, und der kann auch schon wesentlich sein. Am Telefon begrüße ich den Europaabgeordneten Martin Kastler. Er ist seit ein paar Wochen auch Präsident des Internationalen Instituts für Nationalitätenrecht und Regionalismus. Guten Morgen, Herr Kastler!

    Martin Kastler: Guten Morgen!

    Liminski: Herr Kastler, allen gemeinsam ist, dass Europa sich in einer ernsthaften Krise befindet. Ziehen Sie die gleichen Schlussfolgerungen wie Ihre Kollegen, zum Beispiel der Vorsitzende der CSU-Gruppe, dass jetzt mehr Europa angesagt ist, sprich Souveränität an Brüssel abgegeben werden muss?

    Kastler: Nun, dass wir in einer ernsthaften Bewährungsprobe sind, das ist, glaube ich, offensichtlich, und da sind wir auch einfach alle einer Meinung. Wie wir darauf reagieren, welche Schlussfolgerungen ziehen, da gibt es unterschiedliche Ansichten. Ich persönlich sag nicht einfach mehr Europa, das ist die Lösung, ich glaube, wir brauchen da schon eine ernsthafte Grundsatzdebatte, denn wir haben in der momentanen Situation so viele Fragezeichen und so einen großen Vertrauensverlust in unsere Institutionen, auch in die Politik der Währung in Europa, wo ich sage, da kann ein Einfach-Durchwurschteln und ein Mehr-Europa nicht die Lösung sein.

    Liminski: Fällt denn mit dem Euro auch das Großprojekt Europa? Sie sprachen gerade die Währung an – das sagen immerhin namhafte Europäer wie Juncker, und auch von der Bundeskanzlerin hat man das schon mal so vernommen.

    Kastler: Also da bin ich sehr vorsichtig. Ich glaube nicht, wenn man sagt, dass am Euro eine Diskussion und auch verschiedene Strategien angewandt werden, dass deswegen Europa scheitert. Europa gab es vor den europäischen Institutionen, Europa wird es auch nach den Diskussionen, die wir derzeit haben, geben, die Frage ist, in welcher Form. Und daran sollten wir auch mitarbeiten, aktiv, und keine Dinge in Abrede stellen, die wir überhaupt nicht diskutieren. Deswegen bin ich sehr, sehr kritisch mit der Aussage von Herrn Juncker jetzt auch umgegangen, der Deutschland vorgeworfen hätte, wir würden nicht genug tun und man dürfte einige Dinge gar nicht durchdenken. Also eine Arbeitshypothese, auch über einen Austritt Griechenlands oder auch eine Formation in der Eurozone, die nicht so ausschaut wie heute, das muss möglich sein.

    Liminski: Also muss man auch einen Austritt Griechenlands in Erwägung ziehen ganz konkret?

    Kastler: Es ist eine der möglichen Arbeitshypothesen, und ich glaube, das ist Realität.

    Liminski: Was sagen denn Ihre griechischen Kollegen im Europaparlament zu dieser Meinung?

    Kastler: Ja gut, die freuen sich natürlich sicher nicht, und es ist ja auch keiner so, dass wir jetzt die Griechen rausdrängen würden, das ist nicht der Fall. Aber man muss überlegen dürfen, wie wir neu uns aufstellen, und daher haben wir manch persönliche Diskussion, aber im Arbeitsverhältnis funktioniert es, und wir wollen ja doch eigentlich eine sichere Zukunft für Europa, und da sollten alle mitarbeiten.

    Liminski: Sichere Zukunft für Europa – Sie sagen, was nicht geht, oder deuten an, wo die Grenzen der Solidarität verlaufen –, wie sieht denn Ihr Europa aus?

    Kastler: Also ich persönlich glaube, die Zukunft Europas liegt in seinen Regionen. Das ist das alte Schlagwort, was in letzter Zeit leider ein bisschen zu kurz kommt. Europa der Regionen – das ist eigentlich etwas, was wir immer mehr auch vollführen sollten. Wir haben zwar einen Ausschuss der Regionen, wir haben einen Kongress der Gemeinden und Regionen Europas, all die Dinge werden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen – leider. Und ich muss sagen, wir haben in Europa auch keine gemeinsame europäische Öffentlichkeit. Das war ja auch zu Recht die Kritik des Bundesverfassungsgerichtes, und ich glaube, die Menschen leben in ihren Regionen und sind meistens mit ihren Regionen viel mehr verwurzelt als mit einem Gebilde Europa. Das zeigen auch die jüngsten Umfragen, dass die europäische Jugend, wenn es um Europa ging, eigentlich mehr in ihren Regionen verwurzelt ist – ob das Bayern ist, ob das Sachsen ist, ob das eben auch Tschechien ist oder Polen. Das sind Regionen, die ein neues Gewicht erlangen. Wie wir die Regionen dann definieren letztlich, das ist, glaube ich, eine Aufgabe, die wir hier dann auch angehen sollten. Und das Europa der Regionen, bin ich überzeugt, ist die Antwort auf die Krise.

    Liminski: Das erinnert an eine Debatte, Herr Kastler, in den 70er-, 80er-Jahren, als einige Parlamentarier – damals vergeblich – für einen Senat der Regionen in Straßburg plädierten, eine Art zweite Kammer wie der Bundesrat. Wollen Sie diese Debatte neu beleben?

    Kastler: Warum nicht? Also ich sehe in den aktuellen Debatten, dass wir eine Frage nach einer zweiten Kammer oder auch einer Diskussion, wie wir die Beteiligung der kommunalen Selbstverwaltung der Regionen auch stärken können ... Wir haben ja auch viele positive Entwicklungen seit diesen Jahren. Wenn Sie sich nur einmal anschauen, wie unsere Grenzregionen zusammenarbeiten, sodass sie eigentlich keine Grenzregionen sind, sondern vielleicht Nationalgrenzen, überwinden der Regionen – das ist kein schöner Begriff, aber das sind quasi Best-Practice-Beispiele. Wenn ich in meine Regionen Bayerischer Wald/Böhmerwald schaue, wenn ich in die Region Baden/Elsass schaue und all diese Regionen zeigen im Kleinen, wie gut hier eigentlich Europa vor Ort bei den Menschen ankommt. Das wird auch positiv gesehen, und es ist quasi weit weg von Brüssel.

    Liminski: In Deutschland hat man offenbar eine panische Angst vor plebiszitären Elementen, aber die Entscheidungen, die demnächst möglicherweise anstehen – Stichwort Souveränitätsabgabe –, sind die ohne Volksbefragungen zu machen?

    Kastler: Ich bin überzeugt davon, wir brauchen viel mehr plebiszitäre Elemente, wir brauchen mehr Bürgernähe, und dieses "Mehr Demokratie", davor dürfen wir nicht Angst haben, auch als gewählte Abgeordnete in einem Parlament, sondern wir müssen es mit nutzen, dass wir die Vertrauenskrise, die wir haben, auch dann umwandeln in mehr Glaubwürdigkeit und mehr Vertrauen. Dafür ist für mich das Plebiszit eine der Möglichkeiten, die wir mehr nutzen könnten. Europa hat ja einen ersten Schritt getan mit der europäischen Bürgerinitiative, über eine Million Stimmen, die man sammelt in mehreren Ländern in Europa, das ist der erste Schritt. Aber ich glaube, unser Wunsch könnte sein, dass wir in den Staaten Europas, die zusammen sich fest binden, auch an einem Tag meinetwegen mit einem Thema auch das Volk befragen und dann entsprechend auch handeln können.

    Liminski: Eine ganz kurze Frage noch und bitte auch eine kurze Antwort: Sehen das auch Ihre Kollegen von der CSU im Europaparlament so?

    Kastler: Das ist nicht ohne Diskussionen möglich. Im Moment bin ich gerade bei Volksbefragungen und Plebisziten sicherlich einer, der weit voranmarschiert.

    Liminski: Die Regionen und damit das Heimatgefühl in Europa stärken und mehr Vertrauen in die Wähler haben, mehr plebiszitäre Elemente wagen – all das fordert der Europaabgeordnete Martin Kastler, CSU. Besten Dank für das Gespräch, Herr Kastler!

    Kastler: Vielen Dank! Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.