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Diener vieler Herren

Der New Yorker Choreograf William Forsythe hat in Frankfurt ein Stück inszeniert, dessen Titel er vorher nicht verraten wollte. Nun ist bekannt: Es heißt "Theatrical Arsenal II" und ist eine Mischung aus Tanz und Videoinstallation.

Von Wiebke Hüster | 21.11.2009
    Man weiß gar nicht, welches Video aus William Forsythes neuem Stück "Theatrical Arsenal II" man komischer finden soll. In dem einen schleudern zwei langhaarige junge Männer ihre Mähnen, als spielten sie Luftgitarre bei einem imaginären Rockkonzert, der eine allerdings tut dies in Badehose und mit einem Kanupaddel bewaffnet. Ganz sinnlos ist ihr Haareschleudern auch wieder nicht: Sie versuchen damit, ihr heftig qualmendes Lagerfeuer zu entfachen. Der Hauptdarsteller des zweiten Videos trägt keine Perücke; es handelt sich um eine Katze, die in Nahaufnahme in die Kamera grimmassiert wie die Grinsekatze aus Lewis Carroll's "Alice im Wunderland".

    Man muss lachen, aber ein bisschen fühlt man sich in Forsythes theatralischem Arsenal auch wie Alice. Denn wenn die Grinsekatze bei Lewis Carroll verschwinden und nur ihr Grinsen zurücklassen kann, so lässt Forsythes Stück ungefähr vergleichsweise viel verständlichen Inhalt im Bühnenraum stehen. Und vermutlich würde der Choreograf ähnlich prompt und unwirsch antworten wie die Herzogin, als Alice sie fragt, warum ihre Katze so grinse: "Na weil es eine Grinsekatze ist". Also könnte Forsythe antworten, na, die Katze grinst, weil sie in einem Stück postmodernen Fragment-Theaters mitspielt. Lassen wir die Frage, denn von dieser Art Antworten fühlt man sich meistens nur schlecht.

    Oben auf der über der Szene schwebenden Filmleinwand grinst nachher eine Katze, zuvor haben irrsinnige Paddler und Camper versucht, ein Feuer anzufachen. Und unten auf der Bühne passieren dazu Dinge, die nicht weniger rätselhaft sind. Während die Paddler ihre Kopfe kreisen lassen, spricht Forsythes Tänzerin Dana Caspersen letzte Wahrheiten aus. Wie die Jahre vergingen, merkt sie an, sei es doch merkwürdig zu beobachten, wie alles einst Sublime bald herabkomme zu nichts als neuem Stoff für Komödien. Das ist vielleicht der einzige ernste Satz an diesem Abend.

    Seine scherzhafte Variante ist eine Art Publikumsbeschimpfung à la Peter Handke. Dana Caspersen adressiert das Publikum: "It's just me, you and a pile of Crap" - Wir sind allein mit ihr, unserer Führerin durch einen ganzen Hades voller Theaterschrott. Über unseren Köpfen läuft ein schlechtes Video, unten eine Szene, die uns zu Tode langweilt, ja, das sei nämlich ihre Intention gewesen, uns zuzuschauen, wie wir uns zu Tode langweilten.

    Na prima. Fast hätte es geklappt. Forsythe – der sich auf dem Programmzettel nicht mehr namentlich als Regisseur oder Choreograf auflisten lässt – steht hinter der Bühne und remixt oder sampelt Versatzstücke früherer Produktionen. Die Eingeweihten wispern sich Stücknamen wie "Eidos/Telos" oder "The Loss of Small Detail" zu. Die Unbekümmerten krümmen sich vor Lachen, während Amancio Gonzalez als spanischer Zwerg über die Bühne kobolzt. Und immer wieder hält man für Momente den Atem an, wenn die Tänzer den Crap, den Blödsinn sein lassen und tanzen, wie sie eben nur bei Forsythe tanzen, noch dazu in Stephen Galloways sublimen Kostümen.

    Noch gibt es Momente, in denen der Tanz nicht rein zum Stoff von Komödien herabgesunken ist. Noch behauptet er sich. Aber man fragt sich, ob Forsythe, in dem er sich all diesen Klamauk gestattet, wirklich so klug handelt. Nicht dass sich irgendwann der Autor des Stücks zu Tode langweilt, bevor sein Publikum ein ähnlich grausames Schicksal ereilen kann. Die Herzogin möge ihre Grinsekatze einpacken und entfernen, die Katze und das Grinsen.