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"Diese Bäume sind alle zu Tode verurteilt"

In den kommenden Wochen werden sich Millionen von Larven im hessischen Waldboden verpuppen, die dann im nächsten Frühjahr als Käfer ausschwärmen. Ein umstrittener Insektenvernichter soll das verhindern.

Von Anke Petermann | 14.08.2009
    "Ich darf Sie mal hier nach oben blicken lassen, in die Kronenbereiche hinein, Sie sehen dort sehr viele trockene Astbereiche, braune Blätter. Diese Bäume sind alle zu Tode verurteilt. Und einen dieser Bäume haben wir Ihnen hier mal umgezogen mit einem Schlepper, und Sie sehen hier im Wurzelbereich nur noch Hauptwurzeln, kaum noch diese ganz kleinen Faserwurzeln. Davon lebt der Baum im Boden. Das ist sein Speicherwerk für Nährstoffe. Die Engerlinge mögen dieses Futter furchtbar gern, das schmeckt Engerlingen sehr gut. Sie sehen hier, der gesamte Wurzelbereich ist praktisch frei von Feinwurzeln, diese Buche hatte auch keine Chance."

    Eine Katastrophe, klagt Horst Gossenauer-Marohn von Hessen-Forst. Schon sind im Pfungstädter Wald grasbewachsene Lichtungen entstanden, wo vor zehn Jahren noch Buchen und Kiefern wuchsen. Sie starben ab, ihre Wurzeln zermalmten Millionen Engerlinge, die sich in Südhessen auf 10.000 Hektar Wald ausbreiten. Gehören denn Waldmaikäfer und ihre typische Massenvermehrung nicht ins Ökosystem Wald? Massenvermehrung hat es immer gegeben, gibt Rainer Hurling von der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt in Göttingen zu:

    "Insbesondere auch in diesem Gebiet. Aber die Dichte, die wir hier erreichen, ist so noch nie beschrieben worden, und das Zweite: dass sie über so lange Zeit jetzt schon anhält, nämlich seit Anfang der achtziger Jahre, ist auch so noch nie beschreiben worden. Das ist völlig untypisch, und die exakten Gründe sind dafür auch noch nicht völlig klar. Es hat auf jeden Fall wohl auch mit der starken Belastung dieses Landschaftsraums zu tun."

    Der Grundwasserspiegel im Hessischen Ried ist ungesund niedrig für den Wald, heiße Sommer haben ihn gestresst. Und jetzt der Maikäfer als Totengräber ganzer Bestände? Die hessischen Forstexperten wollen das nicht zulassen und plädieren dafür, im kommenden Frühjahr ein Insektenvernichtungsmittel GPS-gesteuert vom Hubschrauber aus auf die zuvor ermittelten Hauptfraßflächen versprühen. Baden-Württemberg hat das vorexerziert. Dass die Käfer den Wald kahl fressen, ist eigentlich nicht das Problem, denn gesunde Bäume treiben wieder aus. Aber ein Großteil der Weibchen möchten die Förster vor der Eiablage mit dem Wirkstoff Dimethoat erledigen, damit nicht im Folgejahr Milliarden von Engerlingen die Wurzeln ganzer Waldbestände verspeisen. Beschlossen sei noch nichts, beeilen sich die Experten von Hessen-Forst zu versichern, doch der Naturschutzbund Hessen glaubt: Die Entscheidung zugunsten des Insektenvernichters ist längst gefallen. NABU-Naturschutzreferent Mark Harthun:

    "Der Einsatz aus dem Hubschrauber ist derzeit noch gar nicht zugelassen, kann aber genehmigt werden, und so ist es auch zu erklären, dass Hessen-Forst sagt, es ist noch nichts entschieden, denn die Genehmigung ist noch nicht erteilt.""

    Im Herbst will das hessische Umweltministerium entscheiden, ob Dimethoat versprüht werden darf. Über den Wirkstoff sagt der Diplom-Biologe vom NABU:

    ""Das ist ein Breitbandgift, das heißt, es wirkt ganz klar auch gegen andere Insekten, andere Schmetterlingsarten, andere Käferarten sind davon betroffen, sogar Fischarten. Was wohl nicht davon betroffen ist, sind sonst weiter Wirbeltiere, Säugetierarten, aber es gibt bedrohte Schmetterlingsarten dort in den Wäldern, die davon betroffen sein können."

    Die Mitarbeiter von Hessen-Forst halten den Befund aus Baden-Württemberg dagegen:

    "Im Grunde genommen keine nachhaltige negative Wirkung auf Fledermäuse, auf andere Insektenarten ... und Vögel ... und Vögel auch. Das hat man untersucht ... ja."

    Ob und wie Bestände anderer Insektenarten einbrachen, wurde kaum erfasst, widerspricht NABU-Experte Harthun. Seiner Ansicht nach lässt sich mit einem Insektenvertilger, der alle vier Jahre eingesetzt werden müsste, kein ökologisches Gleichgewicht wiederherstellen. Allenfalls ein Idealbild von dichtem Wald, dem die hessischen Förster nachhängen.