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"Diese Krise ist gar nicht schwer genug einzuschätzen"

Mit seinem Rücktritt übernehme Heinz Fromm faktisch die politische Verantwortung dafür, dass der Verfassungsschutz über Jahre hinweg versagt habe, sagt Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen). Er fordert eine bessere Überwachung der Nachrichtendienste und Verfassungsschutzorgane.

Hans-Christian Ströbele im Gespräch mit Mario Dobovisek | 02.07.2012
    Mario Dobovisek: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich also hat das Rücktrittsgesuch von Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm angenommen. So hat er es seinen Sprecher am Mittag verkünden lassen.
    Am Telefon begrüße ich den Grünen-Innenpolitiker Hans-Christian Ströbele. Guten Tag, Herr Ströbele!

    Hans-Christian Ströbele: Ja guten Tag!

    Dobovisek: Wie schwer ist die Krise, in der der Verfassungsschutz Deutschlands steckt?

    Ströbele: Diese Krise ist gar nicht schwer genug einzuschätzen. Sie ist ganz gravierend, weil völlig klar ist, dass der Verfassungsschutz über viele Jahre in einer ganz zentralen Aufgabe versagt hat. Er hat damit schwere Schuld auch auf sich geladen und ich sehe jetzt diesen Rücktritt oder das Gesuch um die Versetzung in den Ruhestand von Herrn Fromm als erste Konsequenz. Er übernimmt damit faktisch die politische Verantwortung für dieses Versagen.

    Dobovisek: Aber tut er das denn, wenn er sich bloß in den vorzeitigen Ruhestand versetzen lässt?

    Ströbele: Ja gut. Sein Job, sage ich mal etwas flapsig, geht damit zu Ende und das ist auch richtig. Aber damit kann es überhaupt nicht sein Bewenden haben. Erstens kann es nur ein erster Schritt sein. Zweitens müssen wir auch aufklären, inwieweit Fromm persönlich auch Schuld für Fehler bei dem Versagen des Verfassungsschutzes trifft. Das werden wir weiter tun. Darüber hinaus müssen wir unsere Aufklärungsarbeit forcieren und nötigenfalls müssen wir auch den Auftrag des Verfassungsschutzes erweitern, weil es geht ja jetzt auch inzwischen nicht mehr nur um die Sachen, während der Nationalsozialistische Untergrund tätig gewesen ist, sondern auch um das, was danach geschehen ist, wie jetzt diese Aktenvernichtung, oder dass wir erfahren haben, dass in die Datei über V-Leute des Verfassungsschutzes bestimmte Personen nicht aufgenommen wurden aus "operativen Gründen". Was waren das für operative Gründe, dass selbst in dieser geheimsten Datei diese Namen nicht auftauchten? – Und die allerletzte Meldung kriegen wir jetzt aus Italien, dass die Italiener offenbar schon 2003 auf die Vorbereitung schlimmer Straftaten durch Rechtsextreme in Deutschland hingewiesen haben.

    Dobovisek: Die Geheimdienste und damit ja auch der Verfassungsschutz unterliegen der parlamentarischen Kontrolle, genauer dem Parlamentarischen Kontrollgremium, dem ja auch Sie angehören, Herr Ströbele. Reicht diese Kontrolle nicht aus?

    Ströbele: Es war schon immer völlig klar, dass wir natürlich eine so große Mammutbehörde nicht in allen Einzelheiten kontrollieren können, zumal wir ja auch für den Bundesnachrichtendienst - der ist noch viel größer - und für den MAD - der ist etwas kleiner - zuständig sind. Nein, wir sind weitgehend darauf angewiesen, was uns einmal die Bundesregierung, ich sage jetzt mal, freiwillig berichtet - das wird immer alle 14 Tage dann vorgetragen und wir beschäftigen uns damit –, und das, was Journalisten herauskriegen und was wir hin und wieder auch aus anderen Quellen hören, was wir dann dort zum Thema machen. Aber diese elf Abgeordneten sind natürlich überhaupt nicht in der Lage, diese Apparate zu kontrollieren.

    Dobovisek: Was muss also besser werden?

    Ströbele: Diese Überwachung muss besser werden. Zum Beispiel müssen unsere Mitarbeiter und auch Mitarbeiter des Sekretariats in der Lage sein und das auch tatsächlich durchführen, dass sie selber in die Dienste reingehen und sich bestimmte Abteilungen vornehmen und die kontrollieren. Wir haben gerade einen Ausflug in die USA gemacht und haben gesehen, wie die das dort handhaben. Da ist das durchaus üblich. Die haben eine ganze Reihe von Kontrollkommissionen im Senat und im Kongress.

    Dobovisek: Wer mauert da auf deutscher Seite?

    Ströbele: Bisher haben da die großen Parteien immer gemauert. Es gibt eine Aufweichung dieser Linie, deshalb haben wir auch im Konsens einige Verbesserungen, zum Beispiel, dass wir Mitarbeiter beschäftigen dürfen. Die dürfen aber an den Sitzungen nicht teilnehmen. Das ist schon ein kleiner Fortschritt, das haben wir immer gefordert. Wir wollen natürlich auch, dass die auch an den Sitzungen teilnehmen, weil wir sind als Abgeordnete weitgehend auch auf die Zuarbeit von Mitarbeitern angewiesen, zumal über die Sitzungen überhaupt keine richtigen Protokolle geführt werden. Das heißt, wir sind immer nur auf unser Gedächtnis angewiesen, wenn wir uns erinnern wollen, was vor fünf oder zehn Jahren da berichtet worden ist.

    Dobovisek: Hat die Bundesregierung genug getan, um für Aufklärung im aktuellen Fall zum Beispiel der fehlerhaften NSU-Ermittlungen zu sorgen?

    Ströbele: Na vor allen Dingen – und das ist das schlimmste, was eigentlich der Verfassungsschutz falsch gemacht hat -, dass er ab 2003 - da waren ja die Polizeibehörden der Auffassung, jetzt ist Verjährung für die Straftaten, weswegen die drei gesucht wurden, eingetreten, deshalb kümmern sie sich nicht mehr darum -, da hätte das Bundesamt für Verfassungsschutz, dafür ist es da, das steht im Gesetz, hätte sich dieses Amt ganz vehement und ganz zentral um die drei kümmern müssen. Das waren Gefährder, die wurden gesucht wegen Sprengstoffdelikte. Man hatte inzwischen erfahren, dass sie sich bewaffnet haben, aber die sind offenbar völlig aus der Optik rausgeraten. Das ist meiner Ansicht nach das schwerste Versagen, was dem Dienst vorzuwerfen ist, das ist auch durch nichts zu erklären.

    Dobovisek: Jetzt gibt es so viele Dienste, Sie haben einige vorhin schon aufgezählt, es gibt dann auch die Verfassungsschutzämter der Länder und es gibt das Bundesamt für den Verfassungsschutz. Sind das einfach zu viele Behörden, die sich untereinander nicht genügend abstimmen können?

    Ströbele: Also dass die Koordination sehr zu wünschen übrig gelassen hat, das wissen wir jetzt schon. Aber wir haben auch festgestellt, dass sowohl bei Polizei in den Ländern, also beispielsweise in Bayern, auch beim Verfassungsschutz in Bayern, aber auch in Thüringen, massive Fehler gemacht worden sind, die völlig unerklärlich sind, sodass man immer wieder auch fragt, was steckt da eigentlich dahinter, dass alle versagt haben, nicht nur das eine oder andere Amt, das kann mal vorkommen, sondern alle, ...

    Dobovisek: Versagen mit System?

    Ströbele: Ja. Es gibt ja Leute, die sagen, da ist eine ordnende Hand dahinter. Das will ich nicht glauben und bisher haben wir auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür. Aber wenn man jetzt hört, dass nach Auffliegen der Gruppe bestimmte Akten, und zwar sechs Tage, sieben Tage danach, vernichtet worden sind im Bundesamt für Verfassungsschutz, dann fragt man sich natürlich doch vehement, was stand eigentlich in diesen Akten, was so schnell weg musste.

    Dobovisek: Der grüne Innenpolitiker Hans-Christian Ströbele im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen!

    Ströbele: Ja, auf Wiedersehen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.