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"Diese Lebendigkeit wog alle Schönheit der anderen Frauen auf!"

In diesen Tagen feiert man in Frankreich den 200. Geburtstag des Schriftstellers Jules Amadée Barbey D‘Aurevilly (2. No. 1808 - 23. April 1889). Bei uns kümmert sich seit einigen Jahren der Berliner Matthes und Seitz Verlag um das immense Werk des "Walter Scott" der Normandie, wie er sich selbst einmal nannte. Jetzt ist gerade sein früher Roman "Die alte Maitresse" aus dem Jahr 1851 in der Übersetzung von Carolin Vollmann erschienen. Richard Schroetter stellt uns Barbey D‘Aurevilly und seinen Romans "Die alte Maitresse" vor.

Eine Besprechung von Richard Schroetter | 03.11.2008
    "Ich lese Barbey D‘Aurevilly, La vieille maîtresse (Die alte Maitresse), das französischte Buch, welches ich kenne, kühl, keine eigentliche Stimmung, aber von unnennbarer Grazie, Feinheit und Esprit. Diese Eigenschaften erscheinen hier mit einer unerhörten Präzision und ohne in lächerliche Übertreibungen oder Verzerrungen zu verfallen. Das französischte Buch im guten Sinne. Es ist auf den Trümmern des 18. Jahrhunderts aufgebaut, dessen ganzer Geist noch darin lebt, aber gereinigt durch den Geist eines schon modernen Menschen."

    So begeisterte sich anno 1897 der Schriftsteller Oscar A. H. Schmitz. Schmitz, der selbst im Stile Barbeys einen schmalen Erzählband veröffentlichte, war nicht der einzige Barbey-Verehrer östlich des Rheins. Franz Blei, Alfred Kubin, Harry Graf Kessler, Robert Musil und Rilke zählen dazu. Auch Carl Schmitt und dessen Freund Ernst Jünger lasen mit Interesse seine Werke.
    Gerade den jungen Schriftstellern, den Ästheten und Intellektuellen des fin de siècle, die begeisterte Nietzsche- Leser waren und nach literarischen Entsprechungen suchten, imponierte Barbeys Tonfall, sein Spott, die coole Mischung aus Freigeist, Bosheit und Bonhommie und auch sein Abscheu vor der heraufziehenden modernen Mediokratie.
    Jules Amedée Barbey D‘Aurevilly war ein hoch produktiver Schriftsteller. Die französische Gesamtausgabe seiner Werke umfasst 17 Bände. Romane, Gedichte, Essays, Kritiken, Briefe und mehrere große kulturgeschichtliche Werke. Er hatte lange in Paris als streitbarer Kritiker gewirkt, sich für Baudelaire und gegen Flaubert, Victor Hugo und die Naturalisten ausgesprochen, bevor man ihn - nach dem verlorenen Krieg 1871 - als ernst zu nehmenden Schriftsteller entdeckte.
    Seine 'Diabolischen Geschichten' waren ein Skandalerfolg, weil in ihnen stets die Niedertracht über die Gerechtigkeit siegt. Sie wurden gleich mehrfach ins Deutsche übersetzt. Auch der glanzvolle Essay über den Dandy erlangte Kult-Status bei uns. Barbey‘s aristokratisch verbrämter Individualismus gehörte auch zum Programm des épater le bourgeois als Reaktion gegen den opportunistischen Zeitgeist der Epoche.
    Der Roman Die alte Maitresse, erschienen 1851, zählt zu den ersten Werken des 'reifen Barbey'. In ihm verarbeitet er eigene Erlebnisse aus der Epoche seiner Pariser Dandy-Jahre. In jenen Tagen führte er ein ähnlich lockeres Leben wie der Protagonist des Romans Ryno de Marigny, ein adliger Nichtsnutz und Spieler.

    "Er hatte unstet gelebt, ... sich mit seiner Familie überworfen ...war mehrere Mal aus Paris verschwunden, aber jedesmal dorthin zurückgekehrt. Sein Leben und noch mehr seine tiefsten Gefühle waren ein Abgrund, in den man keinen genauen Einblick hatte ...Wie alle ehrgeizigen Menschen, die das Leben enttäuscht, wie alle starken Seelen, die durch äußere Umstände in ihrer Entfaltung gehindert wurden, suchte er seine Befriedigung in flüchtigen Rauschzuständen. Aber hinter den Ausschweifungen des Libertin hätte ein guter Beobachter einen jener Männer erkannt, von denen Shakespeare sagte ; "Jeder Zoll ist ein Mann"."

    Aber ist dieser ”Mann" noch für die bürgerliche Ehe zu retten? Mit dieser Frage eröffnet der Roman. Ryno, er hat zu dem Zeitpunkt die Dreißig überschritten, verliebt sich in die 10 Jahre jüngere Hermangarde, "eine engelsgleiche Schönheit", die überdies noch "eine der reichsten Erbinnen Frankreichs" ist. Rynos Lebenslauf ist nicht ganz so fleckenlos wie der seiner zukünftigen Frau, aber um einiges interessanter. Seit 10 Jahren unterhält er eine Beziehung zu der Kurtisane Vellini. Mit der neuen Beziehung soll dieses Kapitel endgültig beendet werden.
    Die Vellini, eine Spanierin - ihren Vornamen erfahren wir nicht - ist das Kind einer Herzogin und eines Toreros. Mit ihren 36 Jahren ist sie ein altes Mädchen bzw. eine alte Maitresse, das heißt, nicht die Frau, mit der ein Mann, der noch etwas werden will, die Ehe eingehen kann. Sie ist "wild und zigeunerhaft", "eine teuflische Frau", wie es heißt, eine femme fatale , will sagen: Ryno steht nach wie vor in ihrem Bann.

    "Die Senora Vellini war nicht mehr jung und noch nie hübsch gewesen. ... Sie war klein und mager. Ihre Haut, der es an Schmelz fehlte, hatte einen Ton, der fast so dunkel war wie der Wein, den man aus den verbrannten Trauben ihrer Heimat keltert. Ein zu großer, von blauschwarzem Flaum überschatteter Mund, zusammen mit einer ungewöhnlich flachen Brust, gaben der Senora das Aussehen eines jungen Mannes, der sich verkleidet hat; ja so sah sie aus, und dieser Anblick enttäuschte zunächst, schockierte auf den ersten Blick, ließ uns sagen, die Senora sei hässlich. ... Aber wenn irgendeine Leidenschaft oder eine Laune sie hochschnellen ließ .... dann war sie, ... nein nicht schön, aber voller Leben - und diese Lebendigkeit wog alle Schönheit der anderen Frauen auf! Ihre Schönheit erschuf der Ausdruck - dieser auf dem Grund unserer Seele verborgene Gott - durch eine überwältigende Metamorphose..."

    Die Vellini ist in jeder Hinsicht aufregend und niemals langweilig. Wie ihre jüngere Schwester, Merimées Carmen, beherrscht sie das theatralische Fach. Mit dieser Figur einer Circe schuf Barbey sozusagen das weibliche Pendant zum exzentrischen Dandy-Außenseiter, das heißt eine Frau, die sich außerhalb des bürgerlichen Sittenkodex - und diese Normen damit infrage stellt. Ryno versucht sich ihr zu entziehen. Er verlässt Paris und übersiedelt nach der Heirat mit Hermangarde in die Normandie.

    "Lange Spaziergänge, unterbrochen von göttlichen Unterhaltungen mit dem tausendfachen Reiz der Intimität! Ach! Sie vergaßen Paris und die Welt und alles, es gab nur noch sie und die Einsamkeit."

    Doch die Idylle trügt. Die Entziehungskur misslingt. Die Vellini verfolgt den Geliebten und gewinnt ihn zurück. Ryno hält, um die bürgerliche Fassade zu wahren, an der Beziehung mit Hermangarde jedoch pro forma fest. Und Hermangarde spielt das Spiel sogar mit. Mit dem ironischen Hinweis, man habe Ryno einen Ministerposten in Aussicht gestellt, lässt es der Autor bewenden. In der Öffentlichkeit steht Ryno als Ehrenmann da. Gewisse Assoziationen an Prinz Charles und Camilla Parker Bowles mögen hier nicht von der Hand zu weisen sein.
    Barbey, der mitten in der Niederschrift des Romans zum Katholizismus zurück fand, fürchtete, seine Geschichte könne als eine Schule des Lasters ausgelegt werden. Deshalb schickte er vorsichtshalber nachträglich noch ein beschwichtigendes Vorwort der zweiten Auflage des Romans hinterher.

    "Sollte der katholische Künstler vor den Verführungskünsten des Lasters zurückweichen? Sollte er die Beredsamkeit der Leidenschaften ersticken? Sollte er sich davon fern halten, das eine wie das andere zu malen, weil sie beide mächtig sind? ... Nein! Gott, der Schöpfer aller Dinge, verbietet dem Künstler keines davon, unter der Bedingung freilich, dass dieser daraus kein Instrument der Verführung mache .."

    Damit hat sich Barbey, anders als ein Nicolai Gogol, der sein Werk als sündig empfand und teilweise vernichtete, oder der späte Tolstoi, der die Kunst selbst zum Laster erklärte, entschieden für die künstlerische Freiheit und Wahrhaftigkeit ausgesprochen. Der Kampf um diese gegen den Voluntarismus der Moral ist wohl das eigentliche geheime Thema, das hinter und mit dem Liebeskonflikt des Romans verhandelt wird. Was Barbey unter Katholizismus wirklich verstand, kann man seinen sehr lesenswerten Aufsätzen und Essays entnehmen. Anders als im Fall Julien Greens etwa, stand Barbeys Katholizismus bei uns unter dem Verdacht, nur mehr eine Attitüde zu sein. Schon deswegen würde sich eine Übersetzung lohnen. Harry Graf Kessler, der sich intensiv in seinen Tagebüchern mit Barbey beschäftigte, schreibt dazu :

    "... Barbey gelesen. Viel Albernheiten, aber ein verteufeltes Temperament .. Richtig ist allerdings, dass alles Wertvolle in der französischen Literatur seit Chateaubriand, oder fast alles, katholisch ist. Aber dieser Katholizismus ist nur eine Haltung, ein Verzicht, kein Glaube. Durch diesen Verzicht auf jede eigene Tiefe konzentriert sich die Sensibilität auf die Oberfläche, auf den Vordergrund des Lebens, insofern fördert er den Künstler. Aber zugleich beschränkt er sein Gebiet; und vielleicht kann eine Kultur nicht dauernd so jedes Hinabgehen unter die Oberfläche vermeiden."


    Jules Barbey d`Aurevilly : Die alte Maitresse
    (Roman - aus dem Französischen von Caroline Vollmann und mit einem Nachwort versehen von Carolin Fischer - 512 Seiten, gebunden - Euro 29,80 / CHF 49,90