Dienstag, 16. April 2024

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"Diese Politik ist nicht alternativlos, sie ist fantasielos"

Die IG Metall hat die für heute geplanten Proteste des Deutschen Gewerkschaftsbundes gegen die Reformpolitik der Großen Koalition verteidigt. Dringend notwendig seien Korrekturen in der Gesundheits-, Renten- und Finanzpolitik, sagte der Gewerkschaftsvorsitzende Jürgen Peters. Mit Demonstrationen will der Deutsche Gewerkschaftsbund in mehreren Großstädten gegen die Reformpolitik protestieren.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann | 21.10.2006
    Dirk-Oliver Heckmann: Sie sind Ihnen wahrscheinlich auch noch gut in Erinnerung, die Massendemonstrationen der Gewerkschaften gegen die Politik von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder und seine Agenda 2010. Seit die SPD aber zusammen mit der Union im Bund regiert ist es demgegenüber vergleichsweise ruhig geblieben an der Gewerkschaftsfront. Doch damit könnte jetzt Schluss sein, denn für heute hat der DGB zu Massendemonstrationen in fünf großen Städten aufgerufen. Und zwar in Berlin, Stuttgart, München, Frankfurt am Main und Dortmund. Und falls die keinen politischen Kurswechsel der Regierung zur Folge hätten, so die Drohung, könnte das nur der Anfang sein.

    Am Telefon ist jetzt Jürgen Peters, Bundesvorsitzender der IG-Metall. Schönen guten Morgen, Herr Peters.

    Jürgen Peters: Ja, schönen guten Morgen.

    Heckmann: Herr Peters, Michael Sommer hat gesagt, die Menschen könnten heute klar machen, nein zur Rente mit 67, nein zu den Einschnitten bei den kleinen Leuten, nein zur Milliardenentlastung durch die Unternehmenssteuerreform. Ist das nicht Populismus pur?

    Peters: Na mit Sicherheit nicht. Sehen Sie einmal, wenn wir sehen, dass eine Politik sich aufmacht, die Unternehmen zu schonen, im Gegenteil sogar ihnen noch Steuererleichterungen zu gewähren obwohl es überhaupt gar keinen Sinn macht, aber gleichzeitig den kleinen Leuten in die Tasche greifen will, da kann man doch nicht schweigen. Und diejenigen, die betroffen sind, ja Herrgott, Donnerwetterle, was haben die denn für Möglichkeiten außer dass sie protestieren.

    Heckmann: Aber greifen wir einmal zwei Punkte heraus, nämlich die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67, das ist von allen maßgeblichen Experten als notwendig und überfällig bezeichnet worden, und die Unternehmenssteuerreform, die soll laut SPD ja aufkommensneutral gestaltet werden, weitgehend jedenfalls.

    Peters: Erstens, diese so genannten Experten, die da über das Arbeiten bis 67 reden, erstens müssen Sie die mir erst einmal zeigen und zweitens müssen all diejenigen, die ganz bequem bis 67 arbeiten können, der überwiegende Teil, das muss man doch einmal aus der Statistik zur Kenntnis nehmen, erreichen doch das 65. Lebensjahr gar nicht. Und jetzt reden einige mit Engelszungen, arbeiten bis 67. Wir haben 4,5 Millionen Menschen, die arbeitslos sind. Wenn wir zwei Jahrgänge länger arbeiten lassen bedeutet das schlichtweg, dass unten zwei Jahrgänge nicht rein können. Das heißt also die Jugend hat keine Chance. Wer so etwas redet, redet Stuss. Hinzu kommt, viele können das überhaupt nicht durchhalten. Es sei denn alle plädieren jetzt dafür, dass in den Betrieben, insbesondere an den Bändern im Stahlwerk, die Arbeitsbedingungen so gemacht werden, dass der Leistungsdruck weggenommen wird, dass die Rationalisierung zurückgenommen wird damit die Leute bis zum 67. Lebensjahr überhaupt arbeiten können. Das ist doch Humbug. Ganz im Gegenteil, wir brauchen Ausstiegsszenarien. Deshalb sagen wir, wir müssen andere flexible Ausstiegsszenarien haben. Wir wollen, dass zum Beispiel jemand mit 40 Versicherungsjahren die Chance haben muss, ohne Rentenabschläge aus dem Arbeitsleben ausscheiden zu können, wenn er das will.

    Heckmann: Und das halten Sie für finanzierbar?

    Peters: Ja, natürlich ist das finanzierbar. Die Finanzierbarkeit liegt doch nicht darin, ob die Menschen alt oder jung sind, sondern die Finanzierbarkeit liegt darin, ob wir Geld genug haben. Und wenn wir sehen dass immer mehr versicherungspflichtige Beschäftigung zurückgedrängt wird, auch aufgrund von Politik, dann muss man sich doch nicht wundern wenn wir anschließend Finanznot haben. Wir müssen hier ein neues Finanzierungssystem wieder einmal in den Blick nehmen und nicht permanent die Leistungskürzung bei den Leuten machen.

    Heckmann: Ich hatte einen zweiten Punkt angesprochen, nämlich die Unternehmenssteuerreform. Streuen Sie den Leuten da nicht Sand in die Augen, wenn sie da von milliardenschweren Erleichterungen sprechen für die Unternehmen?

    Peters: Also Entschuldigung, das stimmt doch. Wir haben das letzte Mal bei der Steuerreform den Unternehmen über zwanzig Milliarden in den Rachen geschmissen. Alles mit dem fröhlichen Lied auf den Lippen, wenn wir das tun, kriegen wir neue Arbeitsplätze. Und Pfeifendeckel. Wir haben jetzt festzustellen, die einen sagen, fünf bis sechs Milliarden werden wir den Unternehmen wieder zuschieben, und es könnte dann sein, dass in fünf, sechs Jahren wir dann einen Return hätten. Andere sagen, dass 16 Milliarden diese neue Steuerreform kosten würde. 16 Milliarden, das bedeutet das fehlt in den öffentlichen Haushalten, in den Ländern, in den Kommunen. Das bedeutet, dass wiederum Leistungseinschränkungen für die Bürger die Folge sein werden. Und das bedeutet im Weiteren, dass die Dinge, die wir notwendigerweise machen müssen, nämlich Investitionsprogramme, gerade kommunale Investitionsprogramme, wieder brachliegen. Das heißt, wir machen genau das grundsätzlich falsch, was in dieser Gesellschaft falsch gemacht werden kann.

    Heckmann: Herr Peters, Sie sprechen davon, dass in den vergangenen Jahren keine Arbeitsplätze, nicht genug Arbeitsplätze geschaffen worden sind, im Gegenteil, Arbeitsplätze abgebaut worden sind. Aber haben die Gewerkschaften dazu nicht auch selbst beigetragen? DGB-Chef Sommer hat jetzt eine Tarifpolitik für die Zukunft angekündigt, die das Ziel hat, die Kaufkraft zu steigern. Das sind doch schlechte Nachrichten für die Leute, die keinen Job haben, oder?

    Peters: Also wissen Sie, jedes Mal, wenn etwas in die Hosen gegangen ist, sind es die Arbeitnehmer, die Schuld sind oder mindestens eine große Schuld tragen, oder die Gewerkschaften.

    Heckmann: Vielleicht auch einen Teil der Schuld.

    Peters: Wenn die anderen zufälligerweise permanent Mitnahmeeffekte haben, dass sie hier Leute entlassen - denken Sie einmal an BenQ, denken Sie einmal an Siemens, die permanent hier wegen einer noch höheren Gewinnerwartung Arbeitsplätze vernichten und anschließend wird gefragt, haben Sie da nicht auch Schuld. Wir müssen uns einmal ein bisschen orientieren auf die Verursacher. Wir haben hier in diesem System ganz offensichtlich einige, insbesondere auch Unternehmensführer, die überhaupt gar keine Bindung mehr und auch gar keine Bindung mehr an Belegschaften suchen, sondern nur noch den Vorteil, ihren nackten Vorteil. Und denen müssen wir dann Einhalt gebieten und da ist die Politik gefordert.

    Und da sagen wir auch, insbesondere wenn solche Dinge passieren wie Verlagerungen ins Ausland, insbesondere Verlagerungen aus Kostengründen, dass hier etwas gemacht werden muss, eingeschritten werden muss. Wir wollen eine Verlagerungsabgabe, als Beispiel. Hier muss man tätig werden und nicht einfach die Hände in den Schoss legen und zugucken, wie das dann weitergeht. Also wir erwarten hier, dass eine aktive Politik gemacht wird, eine aktive Politik auch für Beschäftigung. Und das bedeutet, dass auch der Staat wieder seine Investitionstätigkeit in Gang setzen muss, Investitionen in die Zukunft und das bedeutet vor allen Dingen für Beschäftigung.

    Heckmann: Sind das nicht Rezepte - Entschuldigung Herr Peters, dass ich da einhake - aus den 70er Jahren, die schon ihre Erfolglosigkeit unter Beweis gestellt haben?

    Peters: Erstens sind sie nie, nie angewendet worden und zweitens, all die Rezepte die wir jetzt fahren, die fahren wir in der Tat sein 40, 50 Jahren. Und immer wieder dasselbe, Gürtel enger schnallen, dann wird es besser. Und wir stellen fest, es wird immer schlechter. So ist es doch nicht, also man muss doch einmal sehen, was ist denn bisher passiert. Bisher ist passiert, sparen, sparen, sparen. Wir haben uns zu Tode gespart, in der Folge weniger Arbeitsplätze, in der Folge mehr Arbeitslosigkeit. Wir sagen, wir brauchen ein offensives Beschäftigungsprogramm. Das bedeutet zum einen, dass wir die Investitionen der Unternehmen sicherlich mit fördern, zum anderen, dass die öffentlichen Investitionsprogramme wieder gestärkt werden. Wir liegen dort in Europa am Ende der Skala, nicht etwa am Anfang. Wir geben nur noch 1,4 Prozent des Bruttosozialprodukts für öffentliche Investitionen aus, im Durchschnitt Europas liegen wir bei 2,5 Prozent. Wir haben das, was wir notwendigerweise machen müssen, nämlich öffentlich geförderte Beschäftigung, immer hinten angestellt und stigmatisiert. Dabei müssen wir gerade hier in die Offensive gehen, besonders für die, die an dem Arbeitsmarkt heute überhaupt gar keine Chancen mehr haben, zum Beispiel Ältere, aber auch die jungen Einsteiger. Hier müssen wir etwas tun und zwar konkret und nicht etwa nur Instrumente diskutieren oder solch eine Debatte führen wie heute Unterschichten, oder die, die den mangelnden Aufstiegswillen haben.

    Heckmann: Herr Peters, Sie haben die Debatte um die neue Unterschicht, die so genannte, angesprochen. Die Union fordert Verschärfungen bei Hartz IV. Bereuen Sie es jetzt als Gewerkschaften, dass Sie Ex-Kanzler Schröder dermaßen Knüppel zwischen die Beine geworfen haben? Denn ansonsten hätten wir möglicherweise ja noch weiterhin eine rot-grüne Bundesregierung.

    Peters: Also wir haben gar nichts zu bereuen und im Übrigen haben wir nicht Knüppel in die Beine geschmissen, sondern wir haben gesagt, dass die Politik, die gemacht wird, gegen die Menschen gerichtet ist, jedenfalls gegen die Mehrheit der Bevölkerung. Und das ist unsere Aufgabe darauf hinzuweisen, wenn es denn schon in den Parlamenten relativ ruhig zugeht. Wir sind nicht dazu da, eine Regierungspolitik abzusegnen, wenn sie gegen die Mitglieder der Gewerkschaften läuft. Im Gegenteil, dann haben wir aufzustehen und haben uns gegen eine solche Politik zu wehren. Wir sagen ja auch nicht nur nein, sondern wir haben ja Vorschläge gemacht. Und das Interessante ist, jedes Mal wenn wir Vorschläge gemacht haben, haben wir bei den Zuhörern große Aufmerksamkeit und Beifall erfahren. Jawohl, das ist richtig, wurde uns gesagt und anschließend wurde etwas anderes gemacht. Das ist doch etwas, was man auf Dauer nicht hinnehmen kann und auch nicht hinnehmen muss. Die Gewerkschaften haben eine eigenständige Position.

    Heckmann: Die Gewerkschaften haben eine eigenständige Position und sie haben die Position, dass sie die so genannte Basta-Politik der Großen Koalition kritisieren. So jedenfalls hat es DGB-Chef Sommer formuliert. Die sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute sprachen in ihrem Herbstgutachten stattdessen von einer Mutlosigkeit der großen Koalition.

    Peters: Ja, das kann man ja so sehen, oder so sehen. Sehen Sie, es gibt einige, denen gefällt diese Politik. Das kann ich sogar verstehen, sie sind die Nutznießer, sie klatschen Beifall dazu und sagen, noch schärfer, noch schärfer. Wir aber sagen, es ist doch keine richtige Politik für die Mehrheit der Menschen, wenn ich sie permanent belaste und andere, einige wenige, immer mehr entlaste. Dabei kann jeder die Statistik lesen: Der Armuts- und Reichtumsbericht dieser Bundesregierung weist aus, die Armen werden immer ärmer und die Reichen immer reicher. Das kann doch nicht gewollte Politik sein, es sei denn, es ist von dieser Regierung gewollt, dann sollen sie sich auch dazu bekennen. Dann bedeutet es auch, dass die Bevölkerung wissen muss, dass hier eine Politik gemacht wird, die ganz einseitig die Reichen begünstigt und die nicht Begüterten belastet, so zum Beispiel in der Gesundheitsreform, in der Rentenreform, auch in der Steuerpolitik. Dann soll man sich dazu bekennen und nicht so tun, als ob das eine alternativlose Politik ist. Diese Politik ist nicht alternativlos, sie ist fantasielos.

    Heckmann: Zum Aktionstag gegen die Politik der großen Koalition war das Jürgen Peters, der Bundesvorsitzende der IG-Metall. Herr Peters, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Peters: Ja, auf Wiederhören.