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Diesel-Diskussion
"Ein Ausstiegsdatum halte ich für falsch"

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat sich gegen einen konkreten Termin für einen Ausstieg aus der Dieseltechnik ausgesprochen. Der saubere Diesel müsse auf den Markt, gleichzeitig müsse aber der Strukturwandel in der Autoindustrie herbeigeführt werden, sagte die SPD-Politikerin im Dlf.

Malu Dreyer im Gespräch mit Christiane Keass | 28.08.2017
    Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, äußert sich am 03.07.2017 bei einer Pressekonferenz in Berlin zum Wahlprogramm der Unionsparteien.
    Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz (dpa/ picture alliance/ Bernd von Jutrczenka)
    Christiane Kaess: Ideologische Debatte, Missbrauch des Umweltbundesamtes – die Wellen in der Auseinandersetzung um die Diesel-Abgasaffäre schlugen auch übers Wochenende hoch. Nach wie vor ist das Problem zu hoher Stickoxid-Werte in vielen Städten ungelöst. Wenn man den Zahlen des Umweltbundesamtes glaubt, dann bringen auch die Maßnahmen des sogenannten Diesel-Gipfels nicht viel, um das zu ändern. Dort wurden vor Kurzem ja Software-Updates für bestimmte Diesel-Fahrzeuge beschlossen – in der Hoffnung, das würde Städte und Kommunen entlasten. Manchen von ihnen drohen Fahrverbote wegen zu hoher Werte, die sie nach entsprechenden Gerichtsurteilen in Zukunft dann umsetzen müssten. Teure Nachrüstungen auch bei älteren Diesel-Fahrzeugen, die will Bundesumweltministerin Barbara Hendricks durchsetzen. Die SPD-Politikerin sieht das Ende des Diesels voraus, ganz im Gegensatz zu ihrem Parteikollegen, Kanzlerkandidat Martin Schulz. Der probt jetzt den Schulterschluss mit der IG Metall und verkündet nach einem Treffen mit den Gewerkschaften, die um ihre Arbeitsplätze fürchten, er will die Voraussetzungen dafür schaffen, dass es den Diesel-Motor noch lange gibt.
    Bei den Gesprächen mit der IG Metall dabei war Malu Dreyer von der SPD, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, und sie ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!
    Malu Dreyer: Einen schönen guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Frau Dreyer, wie sehr steht Martin Schulz denn im Wahlkampf unter Druck, dass er einer Parteikollegin und SPD-Ministerin so in den Rücken fallen muss?
    Dreyer: Martin Schulz steht gar nicht unter Druck, sondern er kämpft und er sorgt dafür, dass es tatsächlich so ist, dass wir als SPD noch eine Chance haben, stärkste Partei zu werden. Wir müssen uns auseinandersetzen mit dem Thema Diesel, das ist gar keine Frage, und eins ist doch klar: Dieser Widerspruch, der da jetzt aufgemacht wird, ist nicht so ein ganz furchtbar großer Widerspruch. Wir sind uns alle einig darüber, dass tatsächlich über die CDU versäumt worden ist, über die Bundeskanzlerin, den Verkehrsminister, dass der Strukturwandel in der Automobilindustrie eingeleitet werden sollte oder musste. Das hat die IG Metall schon bereits nach dem VW-Abgasskandal angemahnt. Das ist bis heute nicht erfolgt und darüber geht es letztendlich. Wir müssen den Strukturwandel einleiten und das heißt das Zeitalter der Dekarbonisierung, der Digitalisierung und des autonomen Fahrens. Hier ist viel zu tun, das hätte längst getan werden müssen.
    "Es muss der saubere Diesel auf den Markt"
    Kaess: Nun saß ja die SPD auch mit in der Regierung, hat da vielleicht auch was versäumt. Aber der Wähler, Frau Dreyer, der fragt sich ja jetzt, welche Position ist denn die der SPD, die von Barbara Hendricks oder die von Martin Schulz, also Ende des Diesels oder kein Ende des Diesels?
    Dreyer: Ich bestehe schon darauf, dass das die originäre Aufgabe eigentlich des Verkehrsministers gewesen wäre und dass auch tatsächlich die Lobbyisten von der CDU über das Kanzleramt dafür gesorgt haben, dass in Brüssel verschärfte Abgaskontrollen nicht durchgeführt worden sind, sondern verschoben worden sind. Das ist auch die Grundlage dafür, dass die strengeren Abgastests nicht eingeführt worden sind, dass wir in dem ganzen Schlamassel sind, neben den Betrügereien, die ganz offensichtlich stattgefunden haben.
    Es ist vollkommen klar: Es gibt einen Strukturwandel in der Automobilbranche. Den gilt es zu gestalten. Wir bestehen darauf. Es muss der saubere Diesel auf den Markt, den, den die EU auch fordert, und dann muss natürlich trotzdem der Strukturwandel herbeigeführt werden und gestaltet werden, und zwar so, dass nicht hunderttausende von Beschäftigten in Angst und Schrecken sind, sondern dass sie vertrauen können, dass gemeinsam zwischen Industrie, zwischen Gewerkschaften und der Politik dieser Wandel gestaltet wird, hin auch zu neuen Antriebsmotoren, selbstverständlich, hin zu dem Thema Digitalisierung und autonomes Fahren. Das sind alles die Herausforderungen der heutigen Zeit.
    Kaess: Aber vor Kurzem wollte Martin Schulz ja noch stärkere Kontrollen der Abgaswerte und EU-weite Quoten für Elektroautos. Wie passt das denn jetzt zu seinem Schwenk, was den Diesel betrifft?
    Dreyer: Selbstverständlich brauchen wir eine Weiterentwicklung, und ich finde den Vorschlag mit den Quoten einen sehr guten Vorschlag. Die Bundeskanzlerin spricht davon, dass das Ende des Diesels da sei, und sie setzt letztendlich sogar ein Datum, im Jahr 2050 zwar, aber das ist nicht unser Weg.
    "Ein Ausstiegsdatum halte ich persönlich für nicht angemessen"
    Kaess: Sie hat gesagt, den Diesel wird es noch viele, viele Jahre geben, eigentlich sogar Jahrzehnte.
    Dreyer: Ja. Sie hatte zunächst in einer Boulevard-Zeitung dargestellt, dass das Ende des Diesels gekommen ist. Gestern hat sie gesagt, es wird noch viele, viele Jahre den Diesel geben. Mir ist nicht ganz klar, was die CDU an dieser Stelle eigentlich vertritt. Wir wollen den Strukturwandel gestalten, aber klar ist auch, den sauberen Diesel wird es noch eine ganze Weile geben, selbstverständlich, weil ein Wandel nicht so herstellbar ist, dass man sagt, morgen wird alles ausgetauscht und dann haben wir den Wandel gestaltet. So wird es nicht gehen. Wir brauchen den sauberen Diesel, der auch vorgeschrieben ist von der EU. Ab September haben wir auch neue Werte in den Kontrollen. Dieser Diesel muss auf den Markt und wir müssen darüber nachdenken, auch in den Arbeitsgruppen, die jetzt eingesetzt worden sind, wie geht es eigentlich weiter mit der Nachrüstung der Diesel, die jetzt auf dem Markt sind, wo Verbraucher und Verbraucherinnen geprellt worden sind und die bestimmte Abgaswerte nicht einhalten. Nichts desto trotz: Die Hauptaufgabe wird sein, den Strukturwandel zu gestalten, und zwar so, dass die Beschäftigten mitgehen können, dass sie mitkommen und dass wir nicht nur Angst und Schrecken verbreiten, sondern dass wir ganz strukturiert mit diesem Thema mit den Gewerkschaften, mit der Industrie vorangehen und dieses neue Zeitalter auch gestalten.
    Kaess: Aber wenn Sie vom sauberen Diesel sprechen, das ist ja alles noch etwas unsicher, wie sauber der tatsächlich ist. Und es geht Ihnen ja darum, für die Arbeitsplätze Sicherheit zu schaffen. Warum wollen Sie dann kein Ausstiegsdatum wie zum Beispiel Frankreich und Großbritannien das ja auch machen? Denn nur das schafft ja eigentlich Sicherheit.
    Dreyer: Ein Ausstiegsdatum halte ich persönlich für nicht angemessen, denn einen Strukturwandel zu gestalten bedeutet, dass wir Ehrgeiz an den Tag legen müssen. Deshalb finde ich auch die Quote sehr gut. Aber natürlich gibt es auch heute noch unterschiedliche Wege, da hinzukommen, zu sauberen Fahrzeugen zu kommen, und deshalb finde ich einen Ausstieg falsch. Ich möchte, dass die Autoindustrie zeigt, dass sie Spitze ist. Sie ist nämlich Spitze weltweit und sie kann sich beweisen darin mit unterschiedlichsten Technologien, dass wir es schaffen, tatsächlich dieses neue Zeitalter zu gestalten. Ein Ausstiegsdatum halte ich für falsch, aber einen großen Ehrgeiz, den Strukturwandel zu gestalten, das ist absolut richtig. Das haben die Verbraucher verdient und natürlich auch unsere Umwelt.
    "Wir brauchen saubere Luft, aber wir brauchen auch einen Wandel"
    Kaess: Gut. Frau Dreyer, wir haben verstanden. Es geht der SPD um die Arbeitsplätze. Deshalb offenbar auch diese Aussage von Martin Schulz jetzt zum Diesel. Aber wie weit wollen Sie dabei gehen? Die AfD, die macht ihren Wählern das Angebot, eine Diesel-Garantie bis 2050. Das ist dann das sicherste Versprechen, um Arbeitsplätze zu erhalten.
    Dreyer: Das ist ganz genauso falsch, wie ein Ausstiegsdatum zu benennen, zu sagen, man erhält den Diesel bis dahin. Das ist auch überhaupt nicht sinnvoll in einer Welt, wo sich Technologien wandeln. Wir müssen den Ehrgeiz haben, auch im Automobilbereich, dass wir für eine saubere Umwelt sorgen, aber dass wir umgekehrt einen Wandel auch so gestalten, dass die Technologien so schnell umgestellt werden, dass auch Beschäftigte mitkommen. Das nennt man Gestaltung eines Strukturwandels, gemeinsam mit den Akteuren, das heißt mit dem Management und mit der IG Metall beziehungsweise den Gewerkschaften. Ein Datum zu setzen, halte ich persönlich für falsch. Eine Quote zu setzen, damit man den Ehrgeiz zeigt, dass wir schnell sein wollen, das ist der richtige Weg.
    Kaess: Frau Dreyer, es ergibt sich hier für die SPD eventuell noch ein ganz anderes Problem, nämlich eines einer möglichen Regierungskoalition. Die Grünen, die wollen nur in eine Koalition gehen, die das Ende des Verbrennungsmotors einleitet, und zwar auch mit einem ganz konkreten Datum. Ist die Option verbaut?
    Dreyer: Die Option ist aus meiner Sicht nicht verbaut. Diese Frage können Sie an jeden anderen möglichen Partner stellen, der bestimmte Voraussetzungen festlegt, dass ohne die es nicht läuft, ein Koalitionsvertrag nicht läuft. Wir kämpfen für die eigene Stärke in der SPD und danach wird man sehen, wer kann mit wem letztendlich dann koalieren und zu welchen Verabredungen kommt man.
    Kaess: Aber wenn ich hier mal einhaken darf? Die Positionen dazu sind ja klar und da liegt die SPD ja im Moment sogar näher bei der CSU, denn CSU-Chef Horst Seehofer, der macht wiederum die Regierungsbeteiligung nach der Wahl abhängig vom Festhalten am Verbrennungsmotor. Das wird dann auch bald die SPD-Linie sein?
    Dreyer: Na ja, gut. Das ist ja ein schönes Spiel. Wenn die CSU das fordert und die CDU offen bleibt und im Wagen bleibt, dann können Sie diese Frage dort genauso adressieren. Ich betone noch einmal: Wir kämpfen für die eigene Stärke in der SPD. Alles andere kommt nach dem Wahltag. Und für uns ist vollkommen klar, dass wir diesen Strukturwandel gestalten wollen, dass wir ehrgeizig sein wollen. Wir brauchen saubere Luft, aber wir brauchen auch einen Wandel, der die Beschäftigten mitnimmt, und insofern sind wir nicht näher an der CSU, sondern wir haben eine klare eigene Vorstellung davon, wie wir den Wandel gestalten wollen, und wir kämpfen für eine Mehrheit der SPD.
    Kaess: Frau Dreyer, zum Schluss noch. Wie will die SPD eigentlich ihre Vorschläge zur Lösung des Abgasskandals noch glaubhaft vermitteln, wenn ein SPD-Ministerpräsident, Stephan Weil in Niedersachsen, als Aufsichtsratsmitglied bei VW hier völlig versagt hat?
    Dreyer: Das ist Ihre Interpretation, meine nicht. Martin Schulz hat vor einiger Zeit schon als allererstes, lange vor der CDU, seinen Fünf-Punkte-Plan vorgelegt, wie wir uns den Strukturwandel in der Automobilbranche vorstellen. Wir wünschen uns sehr, dass wir es gemeinsam schaffen, diesen Wandel zu gestalten, aber natürlich selbstverständlich auch mit der Arbeitnehmerschaft, und das heißt nicht, dass wir mit ihnen verbandelt sind, sondern es ist das Normalste auf der Welt, dass in einer Branche, die unsere Leitbranche ist, in der 800.000 Menschen beschäftigt sind, dass wir nicht über ihre Köpfe agieren, sondern gemeinsam mit ihnen diesen Wandel gestalten, und zwar in dem Sinne, dass wir Automobilland Nummer eins bleiben, auch was neue Technologien betrifft, und umgekehrt dafür sorgen, dass auch die Luft rein ist in unseren Städten.
    Kaess: … sagt Malu Dreyer von der SPD, Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz. Danke für Ihre Zeit heute Morgen.
    Dreyer: Ich danke Ihnen, Frau Kaess.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.