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Diesel-Skandal
Stockende Rückrufaktionen und frustrierte Abgeordnete

Kritik an der Bundesregierung im Umgang mit dem Diesel-Skandal gab es schon häufiger. In den Entwürfen zu den Sondervoten wird aber auch Kritik an der freiwilligen Rückrufaktion geübt. Um was geht es da genau? Hintergrundrecherchen aus dem Hauptstadtstudio.

Von Nadine Lindner | 21.06.2017
    Der Auspuff eines Volkswagen auf einem Mitarbeiterparkplatz, fotografiert am 11.05.2016 mit dem Verwaltungshochhaus vom VW Werk in Wolfsburg (Niedersachsen).
    Nicht nur die Marke "Made in Germany" hat unter dem VW-Abgasskandal gelitten. (dpa / Julian Stratenschulte)
    Es handelt sich um einen Aspekt, der bislang nicht allzu stark beachtet wurde.
    Zur Vorgeschichte: Nach dem Auffliegen hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) eine Untersuchungskommission eingerichtet. Die legte vor über einem Jahr ihren Bericht vor. Darin gibt es um eine Gruppe, bei denen zwar keine illegalen Abschalteinrichtungen gefunden wurden, wo sich aber die Abweichungen zwischen Prüfstand und Straße auch nicht "technisch ausreichend" erklären lassen. Es bestehen also weiterhin Zweifel, die auch im Bericht der Untersuchungskommission "Volkswagen" zusammengefasst sind.
    Als Reaktion wurde der freiwillige Rückruf von 630.000 Autos mit den Autoherstellern vereinbart. Die sollen umgerüstet und in einen technisch zulässigen Zustand gebracht werden.
    Aus den Entwürfen für die Sondervoten zum Abschlussbericht des Untersuchungsausschuss, die dem Hauptstadtstudio vorliegen, wird deutlich, dass die Linken daran harte Kritik üben.
    Herbert Behrens, Verkehrspolitiker der Linken: "Das ist nicht mehr als Symbolpolitik und erfasst das Problem nicht im Mindesten. Es ist eindeutig, es gibt extrem starke Abweichungen der Abgaswerte im normalen Fahrbetrieb. "
    Auch Oliver Kirscher, stellvertretender Fraktions-Chef der Grünen, spricht von einer "Show-Veranstaltung".
    Ist diese Kritik denn berechtigt? Sie haben für uns den Stand der freiwilligen Service-Aktion mal recherchiert. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
    Es gibt mehrere interessante Erkenntnisse. Ein Fazit ist, dass die freiwillige Rückrufaktion eine Black Box bleibt. Sie ist wenig transparent, denn es gibt keine verlässlichen Zahlen dazu, wie nah man der Zielmarke des Verkehrsministeriums von 630.000 Wagen schon gekommen ist.
    Eine Sprecherin des Verkehrsministeriums erklärte Anfang Juni auf Anfrage, dass die betreffenden Wagen von der Untersuchungskommission des Verkehrsministeriums geprüft wurden. Sie wurden zur sogenannte "Gruppe 2" zugeordnet, zu ihr gehören Wagen, an denen technische Zweifel bestehen: "Fahrzeuge mit auffällig hohen NOx-Werten, die technisch nicht ausreichend erklärbar schienen."
    Aber selbst mit zeitlichem Vorlauf von einem Tag konnte das Verkehrsministerium nicht mitteilen, wie viele Autos bereits umgerüstet sind. Presseanfragen seien direkt an die Hersteller zu stellen. Veränderungen in der freiwilligen Service-Aktion seien nicht vorgesehen.
    Eine Bilanz beziehungsweise eine Information der Öffentlichkeit seitens des Ministeriums wie die freiwillige Aktion verläuft - zum Beispiel zum Ende der Legislaturperiode - ist nicht geplant. Das BMVI plant also nicht, die selbstgesetzte Zielmarke von 630.000 Wagen von sich aus zu überprüfen.
    Auch das Kraftfahrbundesamt als Prüfinstanz für die Nachbesserungen sagt öffentlich nichts. Die Pressestelle des Kraftfahrbundesamts ließ eine Anfrage per Mail des Deutschlandradios zum Fortgang der freiwilligen Maßnahmen vom 8.6.2017 unbeantwortet.
    Und noch eine Sache wurde heute deutlich: Auch die Bundestagsabgeordneten bekommen diese Informationen nicht. Oliver Krischer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen, hat bei der heutigen Pressekonferenz beklagt, dass selbst der Verkehrsausschuss des Bundestags diese Zahlen nicht kenne. Eine Abgeordnete der Großen Koalition, Kirsten Lühmann, SPD, bestätigte das ebenfalls. Es gebe keine rechtliche Handhabe dafür, die Verantwortung liege bei den Unternehmen.
    Nachfragen bei den Hersteller selbst ergaben unterschiedliche Antworten. Einige konnten oder wollten gar nicht sagen, wie weit sie sind. Andere kommen gut voran. Audi hat noch nicht mal angefangen.
    Ein Blick noch in den Entwurf der Sondervoten von Grünen und Linken zum Untersuchungsausschuss: Für die Grünen ist die freiwillige Rückrufaktion nicht ausreichend. Sie schreiben, dass die zugelassenen Fahrzeuge die Abgaswerte einhalten müssten. Dafür sollten sie einem verpflichtenden Rückruf unterzogen werden statt einer freiwilligen Aktion. (S. 68 Sondervotum)
    Der Verkehrsminister halte mit dem freiwilligen Rückruf weiter seine schützende Hand über die Auto-Industrie. (S. 71) Die Hersteller müssten keine weiteren Konsequenzen tragen. Dobrindt schütze die Industrie statt für Verbraucher und Umwelt einzustehen.
    Für die Linkspartei bleiben nach mehreren Monaten im Untersuchungsausschuss noch viele Fragen offen. Sie bezweifeln in ihrem Sondervotum zum Abschlussbericht:
    "Inwiefern sich die von den Herstellern der Gruppe II, bei denen die Untersuchungskommission Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschaltstrategie hatte, veranlassten "freiwilligen" Maßnahmen sich auf den CO2-Ausstoß auswirkt, ist ebenfalls offen." (S. 43)
    Es kann also sein, so die Linksfraktion, dass sich nach der freiwilligen Nachrüstung zwar die Stickoxid-Werte bessern, die CO2-Werte dafür aber verschlechtern.
    Prinzipiell glaubt die Linksfraktion, dass es sich bei der freiwilligen Umrüstung um eine Art Symbolpolitik handelt.
    "Es widerspricht jeder Lebenswahrscheinlichkeit, dass Hersteller dem KBA freiwillig – wie sich herausgestellt hat – äußerst kostspielige Umrüstmaßnahmen als eine Art Qualitätsverbesserung anbieten, um die "Zweifel" zu beseitigen, wenn sie sich dazu rechtlich nicht veranlasst sehen. Die Vermutung liegt nahe, dass es eine "Deal" zwischen Herstellern und BMVI gegeben hat, wonach der Bund auf die offizielle Feststellung einer Rechtswidrigkeit verzichtet, wenn sich die Hersteller im Gegenzug zu einer "freiwilligen" Umrüstung verpflichten." (S. 51)
    Wie geht es weiter mit den Ergebnissen aus dem Untersuchungsausschuss?
    Nächste Woche debattiert der Bundestag über die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses. Dann geht er in die Sommerpause. Wie die politischen Mehrheiten nach der Bundestagswahl im September aussehen, ist unklar. Also auch, ob es noch mal eine Neuauflage eines Untersuchungsausschusses geben wird.
    Grüne und Linken haben noch viele offene Fragen, zum Beispiel bei den Abweichungen im CO2-Ausstoß oder der möglichen Neuordnung der Typengenehmigung bzw. Kontrolle. Ob sie beantwortet werden, lässt sich noch nicht absehen.