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Dieselgate-Skandal
"Salamitaktik zersägt Vertrauen in Automobilwirtschaft"

Auch Daimler soll bei seinen Autos die Abgastests manipuliert haben. Verbraucherschützerin Marion Jungbluth spricht von einem "unvorstellbarem Vorgang". Sie machte im Dlf auch der Politik Vorwürfe: Die habe sich bei der Aufklärung der bisherigen Manipulationsfälle zu sehr vor die Autoindustrie gestellt.

Marion Jungbluth im Gespräch mit Jule Reimer | 14.07.2017
    Eine Flotte von SUV-Fahrzeugen von Daimler auf der IAA.
    Vor allem die Salamitaktik, mit der Informationen weitergegeben würden, verunsichere viele Verbraucher, kritisierte Verbraucherschützerin Marion Jungbluth Daimler im Dlf. (picture alliance / dpa / Susannah V. Vergau)
    Jule Reimer: So langsam gehe es um den guten Ruf Deutschlands. Wenn sich herausstellen sollte, dass ein weiterer deutscher Weltkonzern seine Kunden und Behörden betrogen hat, dann wäre das ein deutlicher Schaden für den gesamten Industriestandort Deutschland, wird Ulrich Kelber, Staatssekretär für Verbraucherschutz im Bundesjustizministerium, heute im "Handelsblatt" zitiert. Es sollte daher im eigenen Interesse der Branche liegen, ihre Glaubwürdigkeit und damit auch viele tausend Arbeitsplätze in Deutschland zu bewahren, so Kelber weiter.
    Seit gestern zeichnet sich ab, dass auch der Daimler-Konzern in Europa und in den USA zwischen 2008 und 2016 mehr als eine Million Autos mit unerlaubt hohem Schadstoffausstoß verkauft haben könnte. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt zitierte daraufhin Vertreter des Autokonzerns Daimler nach Berlin. Nun soll das Kraftfahrtbundesamt Daimler-Modelle daraufhin überprüfen, ob bei ihnen der Schadstoffausstoß manipuliert wird.
    In Berlin bin ich mit Marion Jungbluth vom Verbraucherzentrale Bundesverband verbunden. Frau Jungbluth, haben Sie eine Vorstellung, wie viele Autos in Deutschland jetzt von diesem neuen Skandal betroffen sein könnten?
    Marion Jungbluth: Guten Morgen. – Nein. Man liest heute in der Presse, dass es sich um bis zu einer Million Fahrzeuge handeln könnte. Allerdings hat Daimler bisher noch nicht bekannt gegeben, um welche Modellvarianten es sich konkret handelt und wie hoch die Zahl der nun neu betroffenen Fahrzeuge sein könnte.
    Noch unklar, welche Modelle betroffen sind
    Reimer: Weiß man, welche Fahrzeuge jetzt konkret betroffen sind? Oder wie können Autofahrer das rausfinden, wenn sie ein Daimler-Modell fahren?
    Jungbluth: Die Staatsanwaltschaft hat zwei Motorenvarianten überprüft. Das ist OM642 und OM651. Das können natürlich Mercedes-Besitzer im Motorblock selber nachlesen, oder vielleicht am einfachsten ihren Händler oder ihre Werkstatt anrufen und fragen, ob sie überhaupt diese Motorenvariante in ihrem Fahrzeug haben. Wir wissen allerdings noch nicht genau, welche Ausstattungsvarianten und welche Modelle wirklich konkret betroffen sind.
    Reimer: Wie stark sind da die Händler auskunftspflichtig?
    Jungbluth: Ein guter Händler – und da hoffe ich, dass Daimler das besser macht als VW – müsste natürlich die Kunden aufklären können. VW hat ja sehr zurückhaltend die Verbraucher informiert und das wäre jetzt auch ein Rat an Daimler, da proaktiver auch auf der eigenen Internetseite die Verbraucher zu informieren und wirklich alle Fakten offenzulegen und auch zu sagen, wo man sich informieren kann, was jetzt geprüft wird, was eventuell ansteht. Weil da kann natürlich keiner heutzutage mehr richtig durchschauen, welche Umrüstung, Nachrüstung oder Rückrufe es überhaupt noch bei Fahrzeugen gibt. Da wäre auch die Politik gefragt, vielleicht sogar die Bundeskanzlerin, dass sie eine Website aufstellt, wo man genau diese Sachen alle konkret nachlesen kann.
    Reimer: Liegen denn die Fakten bei Daimler ähnlich, soweit wir sie wissen, muss man ja auch sagen, wie bei VW? Handelt es sich um eine ähnliche Form von Manipulation? Es gibt da ja auch Graubereiche, Thermofenster, wo es dann doch irgendwie erlaubt ist, dass dann plötzlich der Schadstoffausstoß nicht mehr kontrolliert wird.
    Jungbluth: Genau. Bisher gab es ja diesen freiwilligen Rückruf wegen der Thermofenster, die sehr großzügig ausgelegt worden sind. Das ist ein Graubereich, der nicht direkt als unzulässige Abschalteinrichtung gilt. Offensichtlich hat die Staatsanwaltschaft aber jetzt Hinweise, dass doch die Abgasnachbehandlung nur auf dem Prüfstand funktioniert und quasi auf der Straße komplett oder mehr oder weniger ausgeschaltet ist. Das ist natürlich ein unvorstellbarer Vorgang.
    Darf ich mit meinem Auto in die Stadt fahren?
    Reimer: Was sollte ich als womöglich betroffener Daimler-Fahrer jetzt machen, außer dass ich mal nachschaue, ob ich überhaupt betroffen bin? Kann ich was tun?
    Jungbluth: Im Moment ist es noch ein bisschen zu frisch, es sei denn, man hat schon die Einladung zu diesem freiwilligen Rückruf bekommen, den Daimler-Händler anzurufen und zu fragen, was ist denn jetzt los, klärt uns auf. Oder vielleicht auch die örtlichen Politiker aufzufordern, proaktiver Informationen an die Verbraucher zu geben, das Kraftfahrtbundesamt endlich verbraucherfreundlicher aufzustellen, sodass ich da mindestens sofort die Möglichkeit habe zu erfahren, ist mein Auto betroffen, was steht überhaupt an, was wird im Moment in der Politik diskutiert, darf ich mit meinem Auto in Zukunft überhaupt noch in die Stadt fahren, wie entwickelt sich der Wertverlust?
    Reimer: Einen Politiker, weil Sie die Politik ansprachen, wollen wir mal hören: Winfried Hermann, Verkehrsminister in Baden-Württemberg, heute Morgen im Deutschlandfunk:
    Winfried Hermann: "In der Summe des Skandals in den letzten zwei Jahren, muss man sagen, musste man den Bundesminister und seine Behörden schieben, und eigentlich hat man erst gehandelt, wenn genügend schlechte Schlagzeilen überall zu lesen waren. Das war alles sehr zögerlich, die Aufklärung war zögerlich und die Reaktionen zum Teil offenbar unvollständig, denn man hat ja mit Daimler vereinbart, dass ein Teil der Fahrzeuge freiwillig korrigiert werden. Aber das war ja höchstens ein Bruchteil dessen, worum es jetzt vermutlich geht. Insofern muss ich schon sagen, er hätte mehr tun müssen. Er hat mich am Anfang ja auch angegriffen. Ich habe ja öffentlich sehr früh gefordert, es ist der Bundesminister gefragt, es sind die unabhängigen Institutionen des Bundes gefragt zu Nachuntersuchungen, und da war er sehr zögerlich."
    "Salamitaktik zersägt das Vertrauen in die Automobilwirtschaft"
    Reimer: Der Verkehrsminister von Baden-Württemberg, Winfried Hermann, heute Morgen. – Wo, glauben Sie, ist in der Politik der Schwarze Peter? Brüssel beschuldigt ja auch ein bisschen Berlin, Berlin beschuldigt Brüssel in den EU-Vorgaben, das sei nicht klar gewesen.
    Jungbluth: Erst mal wundert man sich ja schon. Wir hatten eine Untersuchungskommission, die von dem Bundesverkehrsminister eingerichtet worden ist. Wir hatten einen Untersuchungsausschuss im Bundestag. Und jetzt kommt die Staatsanwaltschaft und bringt noch neue Fakten auf den Tisch.
    Ich glaube, dass bei der ganzen Aufklärung die Politik sich zu sehr vor die Autohersteller gestellt hat und nicht die Verbraucher geschützt hat. Und das ist langfristig gesehen nicht der richtige Weg, weil eine direkte, harte, unmittelbare Aufklärung und Behebung des Schadens wäre wahrscheinlich für die Industrie insgesamt besser gekommen, weil diese Salamitaktik zersägt regelrecht das Vertrauen in die Automobilwirtschaft.
    Reimer: Marion Jungbluth vom Verbraucherzentrale Bundesverband. Danke schön für diese Informationen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.