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"Dieser Betrag wird nie kommen"

Die erwarteten Einnahmen aus einem Steuerabkommen mit der Schweiz entsprängen einer "blühenden Fantasie", sagt der NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD). Zudem könnten deutsche Steuersünder noch bis Jahresende ihre Schweizer Gelder in andere Anlagen transferieren.

Das Gespräch führte Dirk Müller | 23.11.2012
    Dirk Müller: Böse sind sie, ein bisschen zumindest, die Schweizer. Diesen Eindruck haben viele Politiker hierzulande vermittelt, zumindest mit Blick auf Zehntausende Schwarzgeldkonten mit Milliarden-Einlagen im Land der Eidgenossen. Der Druck ist dann nahezu übermächtig geworden auf die Regierung in Bern, von Berlin, von Paris und aus den USA. Ein faires Steuerabkommen musste also, sollte also her zwischen Deutschland und der Schweiz. Die Alpenrepublik hat dann ihrerseits alles auf den Weg gebracht, nun liegt die Entscheidung im Bundesrat und damit bei den Sozialdemokraten.
    Eine Durchsage: Wir warten auf den Anruf von Norbert Walter-Borjans, Finanzminister von NRW. Wir waren um diese Zeit hier gemeinsam verabredet, doch leider haben wir bisher noch keinen Anruf bekommen.
    Unsere Durchsage hat offenbar gefruchtet. Ganz hart in seiner Haltung, also ein Neinsager zum Abkommen mit der Schweiz, ist auch Norbert Walter-Borjans, Finanzminister von Nordrhein-Westfalen (SPD), bei uns jetzt am Telefon. Guten Morgen!

    Norbert Walter-Borjans: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Borjans, trauen Sie sich noch, in die Schweiz in Urlaub zu fahren?

    Walter-Borjans: Ich habe mit der Schweiz kein Problem. Die Schweiz ist ein schönes Land, die Schweizer sind nette Menschen. Es geht hier vor allem um Steuerhinterzieher aus Deutschland und es geht um Schweizer Banken, die ihnen dabei helfen. Den Unterschied habe ich immer wieder gemacht und vor diesem Hintergrund fahre ich auch in die Schweiz, mache das ja auch immer wieder, um zum Beispiel auch an Diskussionsrunden teilzunehmen.

    Müller: Und da haben Sie keine Angst, dass Sie irgendwie Banden in die Hände fallen, wie Sigmar Gabriel das gesagt hat?

    Walter-Borjans: Nein. Ich weiß ja, um was für eine Form von Wirtschaftskriminalität es geht, und ich spreche das deutlich aus. Ich kriege auch Rückmeldungen aus der Schweiz, dass man das sehr respektiert, auch wenn man unterschiedlicher Auffassung ist. Aber ich finde, zwischen zwei Nachbarstaaten muss man auch Klartext reden können und deutlich machen, wo die Grenze ist, wenn der eine sein Geld damit verdient, dass der andere einen Schaden hat.

    Müller: Machen wir einmal die Rechnung auf. Wir haben eben Wolfgang Schäuble auch kurz zugehört. Zehn Milliarden, damit rechnet der Finanzminister als Einmalzahlung, und dann jedes Jahr 700 Millionen Euro. Das ist ja nicht wenig auf das Konto der Bundesrepublik. Warum lassen Sie das scheitern?

    Walter-Borjans: Das ist fantastisch, aber es entspringt eben auch einer blühenden Fantasie. Und Wolfgang Schäuble hat mir selbst mal gesagt, wie er auf die zehn Milliarden gekommen ist, denn garantiert sind ja nur zwei Milliarden Franken in diesem Abkommen, 1,7 Milliarden Euro. Und Wolfgang Schäuble hat mir gesagt, nur weil sein britischer Kollege die Garantie, die er bekommen hat, einfach versechsfacht hat und in den Haushalt eingestellt hat, hat er gesagt, wenn ich das bei mir täte, hätte ich zehn Milliarden. Ich finde, das ist eine sehr dünne Art, etwas zu schätzen. Dieser Betrag wird doch nie kommen, wenn gleichzeitig in diesem Abkommen steht, dass bis zum Jahresende alle, die ihr Geld in der Schweiz haben, auf andere Formen der Anlage, die nicht von dem Abkommen betroffen sind, oder in andere Länder übertragen können. Wo soll denn dann dieser Wert herkommen, mit dem man jetzt lockt?

    Müller: Aber zwei Milliarden ist auch nicht Peanuts?

    Walter-Borjans: Nein, das ist nicht Peanuts. Aber es ist extrem viel weniger als das, was die Menschen hätten bezahlen müssen, wenn sie ehrliche Steuerzahler gewesen wären. Und der Preis, der dafür dann auch noch zu zahlen ist, ist ja, dass wir in der Zukunft dann auf Ermittlungen verzichten müssen, sehr begrenzt nur noch ermitteln dürfen, und damit Tür und Tor öffnen, dass dann später wieder Steuerhinterzieher in ruhigem Schlaf ihr Geld in die Schweiz bringen können, vorher die Einkommenssteuer nicht bezahlen. Der Schaden, der dadurch entsteht, ist von niemandem beziffert worden und ist nie dagegengerechnet worden. Der wird mit Sicherheit höher sein als die zehn Milliarden, die man sich jetzt erträumt.

    Müller: Aber wenn das so kommt – Sie sagen gleich Nein im Bundesrat, davon gehen jetzt alle aus, die SPD-Front steht -, wenn das so kommt und das Steuerabkommen kippt, dann gibt es auch nicht zwei Milliarden oder wie auch immer, sondern dann höchstens noch Schweizer Käse?

    Walter-Borjans: Nein. Wir haben bislang in den letzten zwei Jahren über Selbstanzeigen eine Nachversteuerung von zweieinhalb Milliarden bundesweit gehabt. Wir haben runde 500 Millionen, die aus der Auswertung etwa von Datenträgern nachversteuert worden sind. Das ist nicht das Optimum. Ich möchte gerne eine geregelte Lösung.

    Müller: Sind das illegale CDs, von denen Sie reden?

    Walter-Borjans: Das sind keine illegalen CDs. Wir haben höchstrichterliche Sprüche: Genauso wie Sie bei Drogendelikten oder Rechtsextremismus auch Daten aus der Szene, auch erworbene Daten aus der Szene verwerten dürfen, ist das auch bei dem schwerwiegenden Delikt der Steuerhinterziehung. Und es geht jetzt darum, dass man auf dieser Grundlage das alles nicht aus der Hand gibt, sondern dass man sagt, wir wollen ein anständiges Abkommen, etwa wie die USA auch darauf bestanden haben, dass die Schweiz sich am Datenaustausch beteiligt und dass dann eben richtig versteuert werden kann, und dann wird mehr hereinkommen als das, was man sich jetzt erwünscht.

    Müller: Wir haben ein bisschen spät angefangen, deswegen haben wir nicht mehr viel Zeit. Letzte Frage: Sehen Sie in irgendeiner Form Bewegung bei der Schweiz, die das alles wiederum in Bewegung im Land gesetzt haben, was ja nicht so einfach war, dass Bern noch einmal bereit ist, darüber zu reden?

    Walter-Borjans: Die Schweiz hat da sicher jetzt innenpolitisch ein paar Probleme. Sie schickt seit Monaten ihren Botschafter, Bankenvertreter durch die Bundesrepublik, zu mir im Übrigen auch. Das macht deutlich, wie interessiert die Schweiz daran ist, eben wieder Ruhe zu bekommen. Und deswegen wird die Schweiz auch nach einem Nein Interesse haben, zu einer Lösung zu kommen, und ich gehe davon aus, dass es dann auch aus unserer Sicht eine bessere wird, als die, die jetzt auf dem Tisch liegt.

    Müller: Bei uns heute Morgen kurz im Deutschlandfunk Norbert Walter-Borjans, Finanzminister von Nordrhein-Westfalen (SPD). Danke, dass das noch geklappt hat, einen schönen Tag.

    Walter-Borjans: Ja, vielen Dank. Tschüß, Herr Müller.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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