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"Dieser Wahlkampf wird hart werden"

Die Grünen starten mit einem Parteitag in den Bundestagswahlkampf 2013. Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt erwartet, dass die Parteivorsitzende Claudia Roth auf der Bundesdelegiertenkonferenz wiedergewählt wird.

Katrin Göring-Eckardt im Gespräch mit Friedbert Meurer | 16.11.2012
    Friedbert Meurer: Seit über 30 Jahren gibt es die Partei Die Grünen. Was einst im alternativen Milieu begann, ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ein Grüner, Joschka Fischer, war Außenminister, in Baden-Württemberg gibt es seit letztem Jahr einen grünen Ministerpräsidenten mit Winfried Kretschmann. Was es bei den Grünen in den Anfängen nie gab, das war erstaunlicherweise eine Urwahl, eine Abstimmung der Basis also, zum Beispiel über die Frage, wer Spitzenkandidat für die Bundestagswahl werden soll. Jetzt hat die Basis gesprochen, letzten Samstag wie gehört verkündet: Katrin Göring-Eckardt wird neben Jürgen Trittin Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl. Vor allem Claudia Roth muss sich jetzt auf dem Parteitag dazu äußern, warum sie nach ihrer eigenen Schlappe trotzdem noch Parteivorsitzende bleiben will.
    In Hannover begrüße ich Katrin Göring-Eckardt. Sie ist jetzt die Spitzenkandidatin der Grünen im Bundestagswahlkampf. Guten Morgen, Frau Göring-Eckardt!

    Katrin Göring-Eckardt: Herr Meurer, schönen guten Morgen!

    Meurer: Um Sie denen noch mal ausführlicher vorzustellen, die Sie noch nicht so gut kennen: Sie sind im Osten aufgewachsen, waren 1989 bei der Bürgerrechtsbewegung "Demokratie Jetzt". Und gestern lese ich: Sie sind diejenige, die den ersten Doppelnamen in der DDR getragen hat. Stimmt diese Geschichte?

    Göring-Eckardt: Nicht ganz. Es war nicht der erste Doppelname, aber eigentlich war das nicht vorgesehen. Ein paar Sportler hatten das beispielsweise, aber in der Tat, das gab es eigentlich nicht. Und die Frage, ob ich denn heißen muss wie der Reichsmarschall im Nationalsozialismus, hat dann doch überzeugt, dass man einen solchen Doppelnamen bekommt.

    Meurer: Das war der Grund für den Doppelnamen, also nicht sozusagen ein emanzipatorischer Gedanke?

    Göring-Eckardt: Nein, denn das hatte damit gar nichts zu tun, sondern mein Mann hatte schon drei Kinder und wollte natürlich den Namen nicht verlieren und den Kindern falsche Signale setzen, und ich konnte mir ganz schwer vorstellen, Göring zu heißen.

    Meurer: Als Sie dann zu den Grünen kamen beziehungsweise "Demokratie Jetzt" ist ja quasi Teil der Partei Bündnis 90/Die Grünen geworden, war das eigentlich ein Kulturschock für Sie?

    Göring-Eckardt: Nein, Kulturschock kann man überhaupt nicht sagen. Es gab natürlich Dinge, die ungewöhnlich waren, aber ehrlich gesagt, Anfang der 90er-Jahre war irgendwie alles ungewöhnlich für jemand, der im Osten aufgewachsen ist.

    Meurer: Zum Beispiel was war ungewöhnlich bei den Grünen?

    Göring-Eckardt: Na ja, die extrem offene Gesprächskultur. Ich meine, wir hatten gelernt, dass man sich immer genau überlegen muss, was man wo sagt, und dann wurde über alles bis ganz zum Schluss und auch noch mal und noch zwei- oder dreimal diskutiert. Das war schon eine neue Erfahrung, die ich vorher ein bisschen kannte, weil ich Freunde hatte, die im Hessischen bei den Grünen waren, und das schon ein bisschen miterlebt habe. Auch in der kirchlichen Oppositionsbewegung haben wir ja viel diskutiert. Aber dass man das sozusagen in aller Öffentlichkeit machen kann, das war schon großartig.

    Meurer: Früher waren sogar die Fraktionssitzungen der Grünen mal öffentlich gewesen. Ist die offene Gesprächskultur verloren gegangen bei den Grünen?

    Göring-Eckardt: Das kann man, glaube ich, nicht sagen. Wenn man sich anguckt, wie sehr gerade grüne Abgeordnete und Mitglieder in den sozialen Netzwerken beteiligt sind, dann wird man nicht sagen, da fehlt Transparenz. Aber es ist trotzdem gleichzeitig gut, dass man in einer Fraktionssitzung beispielsweise auch erst mal intern diskutieren kann, Argumente ausprobieren kann, auch sich anders zuhört, als wenn man jeweils immer gleich öffentlich redet. Also ich glaube, eine Mischung aus beidem, das macht schon sehr viel Sinn. Und die Transparenz muss am Ende hergestellt werden, ja klar, aber trotzdem ist es wichtig, aufeinander hören zu können.

    Meurer: Es ist viel geschrieben worden in den letzten Tagen über Sie, nach dieser überraschenden Urwahl zur Spitzenkandidatin mit weit über 40 Prozent. Stört es Sie, dass Sie in praktisch allen Artikeln als "bürgerliche Kandidatin" bezeichnet werden?

    Göring-Eckardt: Ja das kommt immer darauf an, wie man bürgerlich versteht. Da nimmt sich ja jeder das, was er braucht. Und dass ich jemand bin, der sagt, Bürgerlichkeit, das hat mit Verantwortung übernehmen auch für die anderen zu tun und nicht nur für sich selber, da würde ich sagen ja, dieser klassische verantwortungsbewusste Staatsbürger oder der Citoyennieté, wie man im Französischen sagt, da gehöre ich sicherlich dazu – ja.

    Meurer: Bürgerlich sein heißt oft nicht links sein. Sind Sie nicht links?

    Göring-Eckardt: Das bin ich nicht. Bürgerlich sein heißt oft spießig sein. Ich glaube, spießig bin ich nur tendenziell. Aber links in der Sozialpolitik bin ich auf jeden Fall, und das ist mir auch ein ganz wichtiges Anliegen. Ich glaube übrigens, dass das auch zu dem verantwortlichen Bürgertum dazugehört, dass sie in den Städten der Republik, in Organisationen, die sich um andere kümmern, auch am anderen Ende der Welt, engagiert sind, und das ist für mich ein ganz zentrales Thema. Ich will nicht, dass die Schwächsten in der Republik irgendwie das Gefühl haben, sie gehören gar nicht dazu, schon selber das Gefühl haben.

    Meurer: Also Sie verstehen sich als eine bürgerliche Linke. Waren Sie das zu Agendazeiten, als Sie Fraktionsvorsitzende waren im Bundestag und die Agendapolitik mit betrieben haben, nicht?

    Göring-Eckardt: Doch, da war ich das auch, weil die Frage, was bedeutet es eigentlich, wenn man so eine extrem hohe Zahl von Arbeitslosen hat, wie kann man dafür sorgen, soweit das Politik überhaupt kann, die wieder in den Arbeitsprozess hineinzuholen, und welche Instrumente gibt es dafür. Und damals gab es ein Vorbild, das war die Stadt Köln, die das schon sehr gut gemacht hat, die sehr viele Jugendliche in den Arbeitsprozess, in Ausbildung holen konnte, obwohl es diese hohen Zahlen gab, und wir haben uns im Grunde dort einiges abgeschaut. Und man muss ganz klar sagen, erstens, wir haben selber Fehler gemacht, falsche Annahmen gehabt, und haben beispielsweise das Schulessen nicht mehr vom Sozialamt bezahlen lassen, sondern das in die Regelsätze getan. Das hat dazu geführt, dass 80 Prozent der Kinder sehr schnell abgemeldet waren, also total kontraproduktiv. An vielen Stellen haben wir uns nicht durchsetzen können, das muss man auch sagen, gerade wenn es um so was ging wie Fort- und Weiterbildung. Da sind wir an einem damals Wirtschaftsminister Clement gescheitert.

    Meurer: Aber viele Dinge haben Sie doch alle mitgetragen, als Fraktionsvorsitzende dafür auch gesorgt, also Hartz-IV-Sätze, gegen die es Montagsdemonstrationen gab. Viele sagen jetzt, heute, Frau Göring-Eckardt, reden Sie da mit einem anderen Duktus.

    Göring-Eckardt: Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass es richtig war, die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzulegen – ganz eindeutig. Ich bin auch nach wie vor der Meinung, dass es richtig war, Angebote zu machen, die mit Fördern zu tun haben. Und was falsch war, ist – und das muss man auch klar sagen -, dass wir uns damals darauf eingelassen haben, dass es Sanktionen gibt statt mehr Hilfen – ganz eindeutig. Und wenn man sich die Regelsätze anschaut – auch darüber haben wir damals diskutiert -, heute, ganz klar, nach dieser Zeit, auch nach der schwarz-gelben Bundesregierung, sind die Regelsätze verfassungswidrig. Und insofern: Über solche Dinge rede ich heute nicht anders, sondern nach dem, wie wir heute damit umgehen müssen. Weil es kann ja nicht sein, dass wir verfassungswidrige Regelsätze haben für Menschen, die am ganz unteren Ende sind.

    Meurer: Frau Göring-Eckardt, morgen, heute Abend auf dem Parteitag gibt es die Vorstandswahlen. Claudia Roth tritt wieder an. Wie passt das zusammen? Nur jedes fünfte Mitglied will sie als Spitzenkandidaten haben. Bei jeder anderen Partei müsste sie als Vorsitzende doch zurücktreten.

    Göring-Eckardt: Es ist morgen die Vorstandswahl. Ich bin sehr froh, dass Claudia Roth kandidiert, bin auch eigentlich ganz sicher, dass sie ein gutes Ergebnis bekommt. Aber Sie sagen zurecht, bei jeder anderen Partei. Da sind die Grünen eben anders. Bei uns wird nicht auf jedes Amt und jede Funktion geworfen nach dem Motto, da gibt es nur eine einzige Spitze, sondern die Mitglieder haben abgestimmt über die Spitzenkandidatur für den Wahlkampf. Claudia Roth bewirbt sich jetzt als Parteivorsitzende, und das ist auch etwas, was sie gut kann, und ich bin vor allen Dingen überzeugt, in diesem Wahlkampf, da brauchen wir einfach alle Kräfte und der wird hart werden und deswegen ist das auch ein Zeichen für Zusammenhalt, dass wir auch nach so einer Urwahl, und nachdem zwei gewonnen haben – ich bin halt der Meinung, die anderen haben nicht verloren, aber zwei haben eben gewonnen -, dass wir danach sagen, so, und jetzt soll die ganze Partei zusammenstehen und in diese Wahlauseinandersetzung gehen.

    Meurer: Für die Partei ist es vielleicht gut. Aber was ist das für eine öffentliche Wirkung: erst eine Parteivorsitzende – Pardon! – absägen und dann wiederwählen?

    Göring-Eckardt: Nein, sie ist ja nicht als Parteivorsitzende abgesägt worden, sondern es sind nur zwei andere als Spitzenkandidaten bestimmt worden. Und das ist bei den Grünen in der Tat ja so, dass man diese Funktionen unterscheidet. Wir hatten früher die ganz strenge Trennung von Amt und Mandat, die haben wir heute etwas aufgeweicht. Aber insofern: Das gehört auch zur Kultur der Grünen dazu, dass unterschiedliche Leute in unterschiedlichen Funktionen wichtig sind.

    Meurer: Bleiben Sie Bundestags-Vizepräsidentin, Frau Göring-Eckardt?

    Göring-Eckardt: Ja. Also ich meine, im Bundestagspräsidium sind ja bewusst Menschen aus allen Fraktionen. Die haben auch alle Parteiämter in irgendeiner Form. Sie sind Spitzenkandidat für ihre Landesliste, oder stellvertretender Parteivorsitzender, oder waren Schatzmeister. Und das Wichtige ist ja, dass bei der Leitung der Sitzungen und bei dem, was in der Verwaltung für das Präsidium zu entscheiden ist, dass es da Neutralität gibt, und das traue ich mir zu.

    Meurer: Aber als Präses der Synode der EKD lassen Sie Ihr Amt ruhen. Was ist da der Unterschied?

    Göring-Eckardt: Der Unterschied ist natürlich, dass ich da eine mehr herausgehobene Position habe, und vor allem, dass ich nicht möchte, dass im Wahlkampf verwechselt wird, was sagt sie denn jetzt als Kirchenfrau und was sagt sie als Politikerin. Da habe ich auch selber drum gebeten, im Rat der EKD und im Präsidium der Synode, dass auch diejenigen, die gesagt haben, wieso, das kann man doch weiter machen, das lässt sich doch verbinden, wir Evangelischen wollen doch, dass sich Menschen in der Politik engagieren, ich habe darum gebeten, dass ich das Amt ruhen lasse, damit solche Verwechslungen nicht entstehen.

    Meurer: Die Spitzenkandidatin der Grünen für die Bundestagswahl 2013, Katrin Göring-Eckardt, bei uns im Deutschlandfunk. Danke und auf Wiederhören nach Hannover!

    Göring-Eckardt: Ich danke Ihnen auch – einen schönen Tag!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.